Buchkritik

Oliver Schlaudt – Zugemüllt. Eine müllphilosophische Reise durch Deutschland

Stand
Autor/in
Andrea Gnam

Eine etwas andere Deutschlandreise: Nicht zu den Schönheiten des Landes, sondern zu seinen Mülldeponien, mit all ihrem Gestank und all ihrem sehr nachhaltigen Gift. Eine erhellende philosophische Betrachtung über die zunehmende Vermüllung unserer Welt, die wir nur zu gern verdrängen.

Der Philosophieprofessor Oliver Schlaudt unternimmt eine Bildungsreise durch Deutschland: Nicht Kirchen, Museen, reizvollen Landschaften gilt sein Interesse, sondern den Müllbergen und unserem Verhältnis zu dieser Hinterlassenschaft. Müll ist in der Moderne immer komplexer und gefährlicher geworden. Wir haben allzu lange verdrängt, dass Schadstoffe überall zu finden sind, von den entlegensten Regionen der Erde bis zum Ungeborenen im Mutterleib. 

Eine Deutschlandreise zu den Müllhalden 

Oliver Schlaudt besucht Bitterfeld, das Ruhrgebiet, die Insel Flotzgrün, wo BASF seinen Sondermüll ablud, und Gorleben. Als Physiker beschreibt er die überaus kritische Lage mit naturwissenschaftlich geschultem Blick, als habilitierter Philosoph mit kulturhistorischem Interesse: Der Leser kommt in den Genuss beider Betrachtungsweisen.

Analysiert wird der unvermeidliche Müll, den jeder Organismus mit seinem natürlichen Stoffwechsel produzieren muss. Zum einen

als eine naturhistorische Tatsache (…) als unvermeidliche Folge der Entstehung komplexer Systeme und schließlich des Lebens im All.

Mit der Herstellung von Feuer aber wird erstmals ein Energiestrom zum Kochen genutzt, ohne dass man ihn selbst körperlich verzehrt.

Mit dem Verbrennungsrückstand ist auch der Müll in der Welt. Schlaudt spricht von einem „unheilbaren Riss“:

Die Moderne ist dreckig – dreckig wie noch keine Zeit zuvor. Dahinter (…) steckt die Entwicklung des „exosomatischen“ Stoffwechsels, also die Auslagerung körperlicher Funktionen in externe Technologien, mit der erstmals in der Natur- und Kulturgeschichte Müll anfällt, der von der Biosphäre nicht mehr resorbiert werden kann.  

 Müll als mahnende Altlast 

Betrachtet man indes den Müll philosophisch, so ist er in Form und Ausdehnung ein weitgehend unbekanntes Gebiet. Ein Beispiel dafür sind die toxischen Hinterlassenschaften des Chemiekombinats in Bitterfeld. 5000 Chemikalien sind im Boden gelagert, deren untereinander eingegangene Verbindungen unbekannt sind.

Ohne ständiges Abpumpen und Klären des Grundwassers wäre dort in weitem Umkreis kein Leben möglich. Die Schadstoffschleuder Bitterfeld, so schlägt Schlaudt vor, sollte als mahnende Altlast in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen werden. 

Was also tun? Stellt sich sowohl als philosophische, wie auch als technische Frage. Paradoxerweise entsteht Müll dort, wo Sauberkeit und Ordnung besonders großgeschrieben werden. Schon nach kurzem Gebrauch im Alltag sortieren wir industriell gefertigte Gegenstände aus, da sie nicht mehr den aseptischen Glanz des Neuen und Perfekten ausstrahlen und übergeben sie dem Müll:

Der industrielle Dreck ermöglicht uns die Illusion von Reinheit, und diese lässt uns umgekehrt jenen übersehen. Hygiene ist die Form, in welcher unser Müllregime sich selbst verhüllt. Diese Einsicht ergänzt die Kritik der Hygiene um eine ganz neue Dimension: Hygiene als Ideologie (...) ohne die die Müllmoderne nicht funktionieren würde, weil der Müll dann als das erschiene, was er ist: ein unhaltbarer Skandal

Recycling ist nur bedingt eine Lösung.  

Ein Buch wie guter Humus, das Privates und Hochtheoretisches mischt 

Schlaudt sieht mit dem Künstler Friedensreich Hundertwasser das Prinzip des Humus als metaphorischen Gegenpart zum Recycling. Beim Humus gibt es keine Trennung der Substanzen und keine Vorkehrung für die Zukunft: Jedes neue Leben wächst heran auf dem Humus der alten, abgestorbenen Lebewesen. Was das für die Müllberge bedeuten mag, bleibt offen.

Empfehlenswert ist das Buch vor allem, da es wie guter Humus verschiedene Denkweisen und konkrete Eindrücke vor Ort miteinander vermengt. Es wird analysiert und erzählt, Privates und Hochtheoretisches finden zueinander, das kurzweilige Vorgehen schafft für das bedrückende und gerne verdrängte Thema die notwendige Aufmerksamkeit. 

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