Diese Bücher sind „brat“
Was folgende Bücher vereint, ist die Präsenz der weiblichen Protagonistinnen. Es sind starke Frauenfiguren, die in deren jeweiligen Sommern ihr vollstes Ich zum Besten tragen. Sommer, in denen sie ihre eigenen Bedürfnisse nach vorne stellen und nach Lust und Leidenschaft handeln. Ganz reibungslos und unchaotisch mag das Leben und Handeln der Frauen nicht immer sein, doch „görig“ sind sie allemal.
Neongrüner Sommer
Es wird sich nicht mehr abgeschminkt in diesem „Brat Summer“, keine Vorschriften befolgt und sich schon gar nicht an irgendwelche Konventionen gehalten. Im Internet macht aktuell wieder ein Social-Media-Trend die Runde, der dazu aufruft, das eigene authentischste Ich zu zeigen und nach Lust und Laune zu leben.
Der Begriff „Brat“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Göre“. Zum Trend gemacht hat ihn die britische Sängerin und Songwriterin Charli xcx. Sie verwandelt das bisher negative Bild des frechen, verzogenen und ungepflegten Mädchens in ein positives und empowerndes.
In ihrem neuen Album „Brat“ singt Charli xcx von komplizierten Freundschaften, an soziale Situationen gebundene Ängste und Emotionen, aber auch vom Spaß haben und Feiern. Auf dem Albumcover steht das Wort „brat“ in schwarzen schlichten Lettern auf einem neongrünen Hintergrund und dient nun als Vorlage für massenhaft Memes. So legt sich diesen Sommer ein neongrüner Film über das Internet: Haare werden gefärbt, grüne Outfits getragen und schleimgrüne Drinks gemixt.
Internet-Hype um Charli XCX-Album Kamala Harris und der „Brat Summer“: Ein Pop-Phänomen erreicht den US-Wahlkampf
Auf TikTok ist der „Brat“-Sommer angebrochen. Hintergrund ist ein Pop-Album von Charli XCX. Auch das Wahlkampf-Team von Kamala Harris ist auf den Internet-Trend aufgesprungen.
Auch Kamala Harris konnte dem Hype nicht entgehen. Kaum trat Joe Biden als US-Präsidentschaftskandidat zurück, twitterte Charli xcx schon: „Kamala IS brat“. Fans schneiden sympathische Momente der neuen Präsidentschaftskandidatin zusammen, legen einen neongrünen Hintergrund und den Song „360“ der Trendsetterin darüber und der Clip geht viral.
Hochstaplerin in den Hamptons
Als feiernde Göre kann auch die 22-jährige Protagonistin Alex in Emma Clines Roman „Die Einladung“ bezeichnet werden. Ihren Sommer verbringt sie in einer Millionärsvilla in den Hamptons, wo sie ein luxuriöses Leben auf den Kosten ihres Sugar Daddys Simon lebt. Doch Alex, die eigentlich als Callgirl arbeitet, verhält sich unangemessen und wird rausgeworfen.
In New York ist sie unerwünscht – es warten verärgerte Mitbewohner*innen, denn Alex bezahlte die Miete nicht, und ein wütender Klient, dem Alex Geld und Drogen klaute, auf sie. Dorthin zurück kann sie also erst mal nicht. Stattdessen will sie sich unter die High Society mischen, auf Simons Sommerparty schleichen und ihn davon überzeugen, sie doch wieder bei sich aufzunehmen.
Alex trifft nicht nur auf eine unterkühlte Partygesellschaft, sondern auch auf vorgeschriebene Rollenbilder. Sie weiß sich anzupassen in dieser Gesellschaft, die eigentlich nicht ihre ist. Bei den Reichen und Schönen biedert sie sich an, um in ihre Kreise aufgenommen zu werden. Alex erkennt ihre missliche Lage, das Chaos, in dem sie lebt. Ihr Ziel hat sie jedoch klar vor Augen und weiß, wie sie andere um den Finger wickeln kann, um dieses zu erreichen.
Streiche spielende Mädchen-Clique
„Brat“ steht nicht nur für die „Göre“ als Einzelgängerin. Es bezieht sich auch auf die Freundschaft zwischen Mädchen und Frauen, das gegenseitige Empowern – was aber nicht bedeutet, dass Freundschaften immer unkompliziert und frei von Neid oder Missgunst sein müssen.
Um eine trotzige Mädchen-Clique, die gemeinsam durch einen kleinen Ort in Florida streift, geht es in Dizz Tates Coming-of-Age-Roman „Wir, wir, wir“. Geschrieben hat Tate ihr Debüt größtenteils aus der Wir-Perspektive. Was zunächst befremdlich wirken kann, bestärkt gleichzeitig den kollektiven Zusammenhalt der Gruppe.
Aus der Langeweile heraus spielen die Teenager Streiche und lungern herum. Zu deren Beschäftigungen zählt auch, Sammy, die Tochter des Predigers, zu beobachten. Die Mädchen sind fasziniert von ihr. Sie bewundern sie für ihren Mut, sich die Haare abzuschneiden und dafür, dass sie einfach tut, wonach ihr ist.
Bis Sammy plötzlich verschwindet und die Dynamik innerhalb der Clique ins Negative schwappt. Die Gruppe weiß mehr über das Verschwinden, das den ganzen Ort in Aufruhr bringt. Doch keins der Mädchen traut sich, nach vorne zu treten und die anderen im Stich zu lassen.
Roadtrip voller weiblicher Lust und Begierde
In Miranda Julys neuem Roman „Auf allen vieren“ ist es eine Frau Mitte Vierzig, die entscheidet, aus ihrem Alltag auszubrechen und ihrer Sehnsucht nachzugehen. Die namenlose Ich-Erzählerin schenkt sich selbst zum Geburtstag einen Roadtrip von Los Angeles, wo sie mit ihrer Familie lebt, nach New York.
An ihrem geografischen Ziel kommt die Erzählerin nicht an. Dafür trifft sie bereits kurz nach ihrer Abfahrt auf einen jüngeren Mann, der an einer Tankstelle ihre Autoscheibe putzt. Sie beginnt eine Affäre mit ihm, mietet sich in ein Motelzimmer ein und entdeckt ihre weibliche Lust und Begierde nach Intimität wieder. Ihr Leben als Ehefrau und Mutter, die Konventionen, die daran geknüpft sind, fängt sie an zu hinterfragen und neu für sich zu definieren.
Es geht also um Empowerment in diesem Sommer. Und darum, sich von Normen zu lösen und Erwartungen den Rücken zu kehren. Im sogenannten „Brat Summer“ ist alles erlaubt – solange es sich gut anfühlt und keine Rechtfertigungen folgen müssen. Der Hedonismus des Jahres 2024 sozusagen.