Buchkritik

Simon Sahner, Daniel Stähr – Die Sprache des Kapitalismus

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Was ist dran an den Heldenreisen ins Reich der Milliardäre? Warum hat Steve Jobs das iPhone gar nicht erfunden? Und ist „grünes Wachstum“ eine Mogelpackung? Simon Sahner und Daniel Stähr geben aus linker Perspektive Antworten auf solche Fragen in ihrem Buch „Die Sprache des Kapitalismus“.

In vielen gesellschaftlichen Bereichen spielt Sprachkritik eine immer größere Rolle. Sie basiert auf einer Grundüberzeugung der modernen Sprachphilosophie: Realität werde durch Sprache erst geschaffen oder zumindest stark mitgeformt. Wer die Sprache ändert, ändert auch die Realität, so der Glauben.  

In diesem Sinn haben sich der Literaturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr nun die Sprache des Kapitalismus vorgenommen. Sie wollen den Bildern, Mythen und Selbsterzählungen unserer Wirtschaftsform auf den Grund gehen.  

Preise, die keine sind 

So kritisieren sie die Rede von den „steigenden“ oder gar „explodierenden“ Preisen. Das klinge so, als handelte es sich um einen Automatismus. In Wahrheit würden die Preise jedoch von den Unternehmern erhöht. Die oft katastrophischen Metaphern dienten dazu, davon abzulenken.

Sahner und Stöhr sehen – nicht nur hier – die Notwendigkeit staatlichen Regulierens: „Die ‚Tsunamis‘ der Finanzwelt lassen sich verhältnismäßig einfach aufhalten. Wenn wir Angst vor einer ‚Flut‘ an Preiserhöhungen haben, hat die Regierung die Möglichkeit, durch Preisobergrenzen zu reagieren. Dadurch wird aus dem vermeintlichen Tsunami eine harmlose Welle.” 

Das mag in einzelnen Fällen funktionieren. Erstaunlich aber, dass die beiden Sprachkritiker nicht mitbedenken, dass staatlich festgesetzte Preise im Wortsinn gar keine Preise mehr sind. Preise bilden sich per definitionem auf Märkten. 

Die Heldengeschichten der Finanzwelt 

Interessant sind die Ausführungen über die Helden-Narrative der Finanzwelt, etwa in den Selbstdarstellungen erfolgreicher Börsenhändler oder in Filmen wie „Wall Street“, die vordergründig die Gier kritisieren, deren skrupellose Helden aber vielfach zu Idolen junger Börsenhändler wurden. Auch im Silicon Valley ist der geniale Einzelkämpfer der Protagonist vieler Heldenreisen ins Reich der Milliardäre. Steve Jobs zum Beispiel.

Sahner und Stähr relativieren sein Genie mit Thesen der linken Mode-Ökonomin Mariana Mazzucato, die dargelegt habe, “…dass keines der technischen Bestandteile des iPhones tatsächlich von Apple geschweige denn von Steve Jobs persönlich erfunden wurde. Vielmehr handelt es sich bei allem, was Smartphones so nützlich macht, um staatlich geförderte und innerhalb staatlicher Strukturen entwickelte Neuerungen: der Touchscreen, der Zugang zum Internet oder auch das GPS. Steve Jobs ist kein technischer Visionär, sondern eher ein Marketing-Genie, das staatlich finanzierte Innovationen in die richtige Kombination gebracht hat und so zum Multimillionär geworden ist.” 

Eine interessante Perspektive. Allerdings zeigt sich auch hier, dass das Vertrauen der Autoren in staatliche Lenkung und staatliche Institutionen ebenso groß ist wie ihr Misstrauen gegenüber marktwirtschaftlichen Akteuren.

Über weite Strecken ihres Buches stellen sie wirtschaftsliberale Formeln auf den Prüfstand, wie die von „Leistungsträgern der Gesellschaft“, der „unsichtbaren Hand des Marktes“, der „Gratismentalität“ oder der schwarzen „Welfare Queen“. Manchmal ist das eher banal als augenöffnend, etwa wenn die Autoren uns von der Fragwürdigkeit des Begriffs „Arbeitnehmer“ überzeugen wollen, weil die doch eigentlich ihre Arbeitskraft „geben“. 

Ideologische Schlagseite 

Am Ende wird die „Sprache des Kapitalismus“ als Hindernis beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel kritisiert. Wohllautende Formeln wie „grünes Wachstum“, „Technologieoffenheit“ oder das Konzept der „Klimaneutralität“ würden hinwegtäuschen über die massiven Transformationen, die die Autoren für nötig erachten.

Spätestens, wenn sie eine postkapitalistische Zukunft beschwören und sich dabei auf Theorien wie Ulrike Hermanns „Überlebenswirtschaft“ oder den „Degrowth-Kommunismus“ des japanischen Marxisten Kohei Saito beziehen, wird die ideologische Schlagseite ihres ostentativ gegenderten Buches offenkundig. Wenn man es jedoch kritisch liest, kann man dennoch einige Orientierung für die aktuellen ökonomischen Debatten gewinnen.  

Mehr Literatur zum Thema Kapitalismus

Buchkritik Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden

Hat der Kapitalismus in Zeiten des Klimawandels eine Zukunft? Nein, sagt die taz-Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem neuen Buch.
Rezension von Günter Kaindlstorfer.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 352 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-462-00255-3

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Buchkritik Kohei Saito – Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus

Während der Corona-Pandemie wurde die Studie des 35-jährigen japanischen Philosophen Kohai Saito in Japan zum Bestseller. Die Klimakrise, so der Autor, sei mit dem jetzigen Wirtschaftssystem, dem Kapitalismus, nicht zu bewältigen. Der Kapitalismus ist Vergangenheit, Degrowth-Kommunismus die Zukunft. Ein kluges Buch, das zum Nachdenken anregt.
Rezension von Stefan Berkholz.
Aus dem Japanischen von Gregor Wakounig
dtv, 320 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-423-28369-4

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Wolfgang Schneider