Wer sich einen Hund anschaffen möchte, wird es sich nach dieser Lektüre vielleicht noch einmal überlegen. Hiromi Itō beschreibt in „Hundeherz“ mit vielen anrüchigen Details die Vergreisung ihrer geliebten Schäferhündin Take. Ein beherztes Buch über Alter und Vergänglichkeit sowohl bei Mensch und Tier.
Es kommt nicht oft vor, dass eine Autorin mitten im Text eine Warnung ausspricht:
Tatsächlich geht es über weite Strecken dieser autobiographischen Erzählung von Hiromi Itō um Fäkalien in diversen Aggregatzuständen. Der nett-niedliche Titel „Hundeherz“ führt in die Irre. Denn vor allem macht sich hier der Hundedarm geltend. Kaum erstaunlich, denn es geht ums Altern und Hinsterben.
Heldin des Buches ist die vormalige 40-Kilo-Schäferhündin Take. Am Ende ist sie – in Menschenjahren gerechnet – eine abgemagerte Hundertjährige, dement und inkontinent und kaum noch fähig zu laufen. Und dennoch ein unverzichtbarer Teil im Rudel der Schriftstellerin.
Dazu gehören weitere Hunde, darunter ein an Epilepsie leidender Papillon, ein bissiger Schuppenpapagei, drei Töchter und der zweite Ehemann, ein erklärter Hundefeind, der hier viel zu erdulden hat.
Von Hunden und Menschen
Wenn Hiromi Itō von Hunden erzählt, erzählt sie zugleich von Menschen. Das hat bisweilen fast etwas Magisches. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Kalifornien, alle paar Wochen macht sie die weite Reise in die japanische Stadt Kumamoto, wo ihr hochbetagter Vater zum Pflegefall geworden ist. Aber sie kann nicht ständig bei ihm sein, wie es ihr Gewissen eigentlich von ihr fordert.
Die unendlich geduldige Fürsorge, die sie der siechen Schäferhündin zukommen lässt, ist nicht nur eine rituelle Kompensation für das Versäumte. Vielmehr scheint es ihr, als würde die Liebe, die sie Take entgegenbringt, irgendwie doch auch dem Vater zugutekommen. Menschlicher und tierischer Pflegefall werden eins:
Die Philosophie der Ausscheidung
Der inkontinente Vater trägt eine Windelhose, beim Hund geht das nicht. Da sich Take überall unwillkürlich entleert und die anderen Hunde sich daraufhin auch keinen Zwang mehr auferlegen, gibt es ständig etwas einzusammeln und aufzuwischen.
Immer unerträglicher wird der Gestank im Haus und der beißende Uringeruch auf der Terrasse. Die Autorin entschuldigt sich für den „total verkoteten Text“, aber so sei das eben, wenn man mit alten Hunden lebe. Auch mit dem Vater ist es ein Dauerthema:
Hiromi Itō erscheint die tätige Hilfe bei der Notdurft als größte Probe auf die Liebe zu einem Wesen, ob Mensch oder Hund. Take einschläfern? Das kommt für sie nicht in Frage.
Komik und Elend
Zum Charme des Textes gehören die scherzhaften Einwürfe und die raffinierten Perspektivwechsel von Mensch zu Hund. Gerade weil das Schreiben aus Tier-Sicht heikel ist, bedarf es des Humors, der sich besonders schön im Kapitel „Take ist hetero und sexistisch“ entfaltet.
Erstaunlicherweise richten sich die Gefühle der Hündin für das andere Geschlecht auch auf gut aussehende Menschenmänner, denen gegenüber sie sich in ihren vitalen Jahren kokett und schmeichelnd verhielt.
„Hundeherz“ ist ein Tierbuch wie kein anderes, ungemein ehrlich und erfahren, voller scharfer Beobachtung und freundlichem Verzeihen; Elend und Ekel mit Komik bändigend. Und es ist mehr als ein Tierbuch: eine tabulose Reflexion über Gebrechlichkeit und Fürsorge.
Mehr von Autorin Hiromi Itō
Buchkritik Hiromi Ito - Dornauszieher. Der fabelhafte Jizo von Sugamo
Die pflegebedürftigen Eltern in Japan, der frustrierte Ehemann daheim in Kalifornien und die unter Depressionen leidende Tochter: Alle schreien nach Hiromi. Und Hiromi funktioniert. Hilft allen. Verausgabt sich. Und sehnt sich nach Erlösung. Hiromi Itos "Dornauszieher" ist ein sprachmächtiges Romanpoem, das mit Verve und Witz die Leiden einer Frau mittleren Alters aufarbeitet.
Rezension von Isabella Arcucci.
Aus dem Japanischen und mit einem Nachwort von Irmela Hijiya
Matthes & Seitz Verlag, 331 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-7518-0053-2
Mehr Hunde in der Literatur
Lesung und Diskussion Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt
Ein alternder Schauspieler, der um seine Frau trauert und seine Abgründe verschweigt. Und zwei Besucherinnen, die ihn in seinem Rückzugsort aufstören. Ein klug komponiertes Alterswerk, dessen Falltüren gut verborgen sind.