Buchkritik

Hiromi Itō – Hundeherz

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Wer sich einen Hund anschaffen möchte, wird es sich nach dieser Lektüre vielleicht noch einmal überlegen. Hiromi Itō beschreibt in „Hundeherz“ mit vielen anrüchigen Details die Vergreisung ihrer geliebten Schäferhündin Take. Ein beherztes Buch über Alter und Vergänglichkeit sowohl bei Mensch und Tier.

Es kommt nicht oft vor, dass eine Autorin mitten im Text eine Warnung ausspricht:

Vielleicht sollte ich als Untertitel hinzufügen: Nicht während des Essens lesen!

Tatsächlich geht es über weite Strecken dieser autobiographischen Erzählung von Hiromi Itō um Fäkalien in diversen Aggregatzuständen. Der nett-niedliche Titel „Hundeherz“ führt in die Irre. Denn vor allem macht sich hier der Hundedarm geltend. Kaum erstaunlich, denn es geht ums Altern und Hinsterben.  

Heldin des Buches ist die vormalige 40-Kilo-Schäferhündin Take. Am Ende ist sie – in Menschenjahren gerechnet – eine abgemagerte Hundertjährige, dement und inkontinent und kaum noch fähig zu laufen. Und dennoch ein unverzichtbarer Teil im Rudel der Schriftstellerin.

Dazu gehören weitere Hunde, darunter ein an Epilepsie leidender Papillon, ein bissiger Schuppenpapagei, drei Töchter und der zweite Ehemann, ein erklärter Hundefeind, der hier viel zu erdulden hat.  

Von Hunden und Menschen 

Wenn Hiromi Itō von Hunden erzählt, erzählt sie zugleich von Menschen. Das hat bisweilen fast etwas Magisches. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Kalifornien, alle paar Wochen macht sie die weite Reise in die japanische Stadt Kumamoto, wo ihr hochbetagter Vater zum Pflegefall geworden ist. Aber sie kann nicht ständig bei ihm sein, wie es ihr Gewissen eigentlich von ihr fordert.

Die unendlich geduldige Fürsorge, die sie der siechen Schäferhündin zukommen lässt, ist nicht nur eine rituelle Kompensation für das Versäumte. Vielmehr scheint es ihr, als würde die Liebe, die sie Take entgegenbringt, irgendwie doch auch dem Vater zugutekommen. Menschlicher und tierischer Pflegefall werden eins: 

Mein Vater ist so schwach, dass er mit offenem Mund schläft, wie eine Mumie kurz vor der Vollendung. Take liegt mit schlaffen Gliedmaßen da, wie ein toter Kojote am Straßenrand. (…) Ihre hilflose Haltung, wenn sie gestürzt ist, ihr trauriger Gesichtsausdruck, das alles sieht so sehr nach meinem Vater aus, als sei mein Vater in sie gefahren.  

Die Philosophie der Ausscheidung 

Der inkontinente Vater trägt eine Windelhose, beim Hund geht das nicht. Da sich Take überall unwillkürlich entleert und die anderen Hunde sich daraufhin auch keinen Zwang mehr auferlegen, gibt es ständig etwas einzusammeln und aufzuwischen.

Immer unerträglicher wird der Gestank im Haus und der beißende Uringeruch auf der Terrasse. Die Autorin entschuldigt sich für den „total verkoteten Text“, aber so sei das eben, wenn man mit alten Hunden lebe. Auch mit dem Vater ist es ein Dauerthema: 

Wenn ich mit meinem Vater telefoniere, sprechen wir meistens über Durchfall und Stuhlgang; manchmal rührt es mich, wie wesentlich die Ausscheidung das menschliche Leben bestimmt. Es fängt mit der Ausscheidung an und endet mit der Ausscheidung. 

Hiromi Itō erscheint die tätige Hilfe bei der Notdurft als größte Probe auf die Liebe zu einem Wesen, ob Mensch oder Hund. Take einschläfern? Das kommt für sie nicht in Frage.  

Komik und Elend 

Zum Charme des Textes gehören die scherzhaften Einwürfe und die raffinierten Perspektivwechsel von Mensch zu Hund. Gerade weil das Schreiben aus Tier-Sicht heikel ist, bedarf es des Humors, der sich besonders schön im Kapitel „Take ist hetero und sexistisch“ entfaltet.

Erstaunlicherweise richten sich die Gefühle der Hündin für das andere Geschlecht auch auf gut aussehende Menschenmänner, denen gegenüber sie sich in ihren vitalen Jahren kokett und schmeichelnd verhielt.  

Das habe ich häufiger erlebt. Ein Ausdruck, der besagte, sie wäre jederzeit bereit, eine Ehe zwischen Mensch und Tier einzugehen, wenn die Männer es nur wünschten. 

„Hundeherz“ ist ein Tierbuch wie kein anderes, ungemein ehrlich und erfahren, voller scharfer Beobachtung und freundlichem Verzeihen; Elend und Ekel mit Komik bändigend. Und es ist mehr als ein Tierbuch: eine tabulose Reflexion über Gebrechlichkeit und Fürsorge.  

Mehr Hunde in der Literatur

Lesung und Diskussion Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt

Ein alternder Schauspieler, der um seine Frau trauert und seine Abgründe verschweigt. Und zwei Besucherinnen, die ihn in seinem Rückzugsort aufstören. Ein klug komponiertes Alterswerk, dessen Falltüren gut verborgen sind.

SWR Bestenliste SWR2

Buchkritik Katharina Hacker – Die Gäste

Mitten in der Pandemie erbt eine Sprachwissenschaftlerin ein Café in Berlin: Das ist bevölkert mit allerlei seltsamen Typen und schauspielerisch talentierten Ratten. Ein Berlin-Roman der anderen Art: magisch, poetisch, schräg.

SWR2 lesenswert Magazin SWR2

Buchkritik Sigrid Nunez - Der Freund

Für „Der Freund“ wurde Sigrid Nunez mit dem renommierten amerikanischen National Book Award ausgezeichnet. Der Roman erzählt berührend von einer jahrzehntelangen Freundschaft und von einer ungewöhnlichen Beziehung zwischen Mensch und Hund.

SWR2 lesenswert Magazin SWR2

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider