Der Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker beendet seine herausragende Romantrilogie um die oberösterreichische Bauernfamilie Fischer. Das Psychogramm einer bäuerlichen Gesellschaft am wirtschaftlichen und kulturellen Abgrund.
Anfangs brennen noch keine Felder.
Über diesen etwas eintönigen Satz denkt Luisa Fischer seit geraumer Zeit nach, weil es vor ihrer Tür offenbar dauernass ist. Das Wetter und die sogenannte Wirklichkeit bieten Luisa den Stoff für einen ersten Roman. Sie ist zurückgekehrt in die oberösterreichische Heimat und möchte sich als Schriftstellerin neu erfinden.
In der von landwirtschaftlichen Betrieben geprägten Region sieht sie auch ihre Halbbrüder Alexander und Jakob wieder, die in Kaiser-Mühleckers Prosawerken „Fremde Seele, dunkler Wald“ bzw. „Wilderer“ im Mittelpunkt standen: Während der ehemalige Soldat Alexander unter den psychischen Nachwirklungen eines Auslandseinsatzes leidet, hat Jakob den verschuldeten Bauernhof der Eltern übernommen.
Beide Söhne schaffen es nicht, sich von familiären Prägungen zu lösen und ein glückliches Leben zu führen. Weil Luisa lange Zeit im Ausland lebte, stand sie bislang am Rand der Verwicklungen im heimischen Rosental. Sie hat zwei Kinder, die in Schweden und Dänemark bei unterschiedlichen Vätern leben und die in Luisas Gedankenraserei gar nicht gut wegkommen.
Unzuverlässige Erzählerin
Reinhard Kaiser-Mühlecker hat sich für eine personale Erzählperspektive entschieden: Die Geschehnisse werden ausnahmslos aus der Sicht Luisas vorgetragen, die zwar von Beginn an nicht zuverlässig, aber eben doch so reflektiert wirkt, dass man ihr manche Übertreibung durchgehen lässt.
Das Spiel mit Fremd- und Eigenzuschreibungen, die Projektion eigener Leiderfahrung auf andere Familienmitglieder ist ein zentrales Thema in „Brennende Felder“. Nach dem Scheitern der Ehen beendet Luisa ihre amourösen Eroberungsfeldzüge keineswegs. Auf die „Liste ihrer Liebhaber“ gerät auch Robert Fischer und damit jener Mann, der sie zwar aufgezogen hat, aber nicht ihr leiblicher Vater ist.
Die Mutter hatte einen One-Night-Stand, und der Erzeuger war noch in der ersten Liebesnacht verschwunden. Kein Wunder, dass Luisa oft im „Nebel der Erinnerung“ herumirrt und selten zur Ruhe kommt. Kaum hat sie einen Typen verführt, wird ihr auch schon wieder langweilig.
Ökonomische und emotionale Verwerfungen in einer Bauernfamilie
Es ist nicht leicht, die emotionalen Wirrnisse und wirtschaftlichen Verwerfungen in der Familie Fischer immer nachzuvollziehen. Im Mittelteil des Buchs fragt man sich, worauf die Geschichte hinauslaufen mag. Auch Luisas Ausführungen zu dem Roman, an dem sie gerade arbeitet, lesen sich alles andere als erhellend. Die Vermutung, man lese das Werk, das Luisa gerade schreibt, wird sich als Trugschluss erweisen.
Fest steht: Die Härte des Bauernlebens hat alle Mitglieder der Familie Fischer schwer gezeichnet. Eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die im betrieblichen Überlebenskampf nötig ist, scheint auch Luisas Handeln zu bestimmen. So unklar die Motive der Hauptfigur nämlich sein mögen, so dominant zeichnet Kaiser-Mühlecker ihr Verhalten: Mit Robert, den Luisa nun liebevoll Bob nennt, bezieht sie eine Villa am Rande des Heimatdorfs.
Das ungleiche Paar wird von den Nachbarn skeptisch beäugt. Vor allem Halbbruder Jakob, der unter den nicht nur ökonomisch waghalsigen Aktionen des Vaters immer gelitten hatte, lehnt die seltsame Liaison ab. Eines Tages kommt Bob schwerverletzt nach Hause.
Der Tod ist immer präsent
Bob will sich zu den Hintergründen der brutalen Auseinandersetzung nicht äußern, spricht lediglich von einer „alten Geschichte“. Was in diesem Setting nicht ungewöhnlich ist. Alle haben hier irgendwelche Leichen im Keller. Schließlich kommt Robert Fischer auf sehr mysteriöse Weise ums Leben. War es ein tragischer Unfall oder doch Mord, wie Luisa vermutet?
Der Tod ist allgegenwärtig in Kaiser-Mühleckers agrarischen Romanmilieu. Mal stirbt ein Bauer in einem „Futterautomaten“, dann nimmt sich die Frau eines Landwirts das Leben. Luisas Partnerjagd aber geht unverdrossen weiter: Sie lernt Ferdinand kennen, einen Bauern in der Nachbarschaft, den sie zwar erst für Bobs Tod verantwortlich macht, ihn dann aber an sich zu binden weiß.
Ferdinand hat einen autistischen Sohn, was nicht nur in der Schule zu Problemen führt. Der alleinerziehende Vater bewirtschaftet allen Widrigkeiten zum Trotz den Familienbesitz, arbeitet fürs Landwirtschaftsministeriums in Wien und schreibt Fachartikel über „trockenresistente Kulturpflanzen“. Luisa setzt alles daran, sich in die neue Umgebung einzufügen, emotionale Abhängigkeiten zu etablieren.
Sie hilft Anton bei den Mathe-Aufgaben, unterstützt Ferdinand im Haushalt. Doch die Stimmung kippt abermals. Luisa stört sich zunehmend am schwer zugänglichen Anton, der wohl immer auf Hilfe angewiesen sein wird. Auch Ferdinand kann es der Frau, die um mehr Aufmerksamkeit bettelt, nicht länger recht machen, vor allem …
Brennende Mähdrescher
Nach den Regenmonaten herrscht nun auch in Oberösterreich eine für die Landwirtschaft bedrohliche Trockenheit. Mit der mühsamen Arbeit der Bauern möchte sich Luisa aber nicht beschäftigen. Fasziniert schaut sie in die Ferne und bewundert das vermeintliche Naturspektakel: Es sieht aus, als würden die Felder brennen. Die Mähdrescher und Ballenpressen sind bei den hohen Temperaturen tatsächlich in Brand geraten, das Feuer hat aber noch nicht auf die trockenen Äcker übergriffen.
Die Wahrheit interessiert Luisa nicht. Im Grunde freut sie sich, dass das Werk der Bauern, unter deren Lieblosigkeit sie in Kindertagen gelitten hat, nun in Flammen steht. Luisa lebt zunehmend in einer Wahnwelt, was sich auch in der Sprache des Romans niederschlägt. Mit unheimlicher Konsequenz hat Kaiser-Mühlecker die regendurchnässte Prosa, die zunächst von dunklen Wäldern und vereinsamten Seelen handelte, in brennende Wortfelder überführt.
Überall lodern nun die Lügen, die sich auf überraschende Weise zu einem stringenten Gesamtbild fügen. Aus einer triebfixierten Narzisstin ist ein Engel des Todes geworden, der Empathie zu simulieren weiß, um die hergestellte Nähe kaltblütig auszunutzen. Luisa wartet nur noch auf die passende Gelegenheit, um Anton aus dem Weg zu räumen.
Abschluss einer herausragenden Familientrilogie
Ob Luisa auch ihre ehemaligen Gatten, die sich inzwischen mit allen Mitteln von ihr fernzuhalten versuchen, mit solchen Hassgefühlen verfolgte? Selbst die eigenen Kinder verweigern sich den Spontanbesuchen in Dänemark und Schweden. Ob sie insgeheim ahnen, wie gefährlich der Umgang mit der Mutter ist?
Die erstaunlichen Wendungen dieser Geschichte lassen auch die beiden vorangegangen Romane von Kaiser-Mühleckers Familientrilogie in einem anderen Licht erscheinen, vor allem das Drama des Bauern Jakob im Vorgängerbuch „Wilderer“. Der Autor führt seine Figuren zwar grundsätzlich in den Abgrund. Aber Luisas Lebensweg ist besonders schrecklich. Was über viele Seiten als weibliche und literarische Selbstbehauptung daherkommt, hat sich zu einem pathologischen Zerstörungsprogramm entwickelt.
„Brennende Felder“ ist der überzeugende Abschluss einer dreiteiligen Familiengeschichte, die als Psychogramm einer bäuerlichen Gesellschaft am wirtschaftlichen und auch kulturellen Abgrund zu lesen ist. Der Schriftsteller und Landwirt Reinhard Kaiser-Mühlecker kann die Nöte seiner Figuren so anschaulich beschreiben wie kaum jemand in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Empathische Introspektion trifft bei ihm auf metaphorischen Realismus.
Die präzisen Naturbeschreibungen kommen dabei ohne Verklärung aus; charakterliche Defizite und verwerfliche Handlungen werden nicht mit moralinsauren Erklärungen entschuldigt. Insofern sind die Stoffe, die der Schriftsteller in langen Spannungsbögen und mit schwarzem Humor auszubreiten vermag, nichts für zarte Gemüter. Reinhard Kaiser Mühlecker hat mit seiner Romantrilogie um die Bauernfamilie Fischer ein herausragendes Werk vorgelegt.
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S. Fischer Verlag, 350 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-10-397104-0
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