Buchkritik

Aufwühlender Roman „Maniac“ von Benjamín Labatut über Künstliche Intelligenz

Stand
Autor/in
Tobias Wenzel

Der in Santiago de Chile lebende Autor Bejamín Labatut hatte in seiner Kindheit Angst vor Monstern. An diese Erfahrungen anknüpfend schreibt er in seinem Roman „Maniac“ über das neue Monster unserer Zeit: Künstliche Intelligenz – eine Maschine, die menschliche Züge annimmt.

Entwicklung der KI begann mit Hochleistungscomputer „Maniac I“

Für den Autor ist KI eine beängstigende Entwicklung, die mit dem ersten Hochleistungscomputer „Maniac I“ begann. Um ihn dreht sich dieser aufwühlende Roman, außerdem um die Frage, ob KI und Mensch irgendwann nicht mehr auseinander zu halten sein werden, und ob es die Fähigkeit zu lieben ist, die beide für immer unterscheiden wird.

Der Roman „Maniac“, der die Ambivalenz von Irrationalität und Wahn in der Wissenschaft aufzeigt, endet damit, dass die KI den Südkoreaner Lee Sedol, den weltbesten Spieler im strategischen Brettspiel Go, vernichtend schlägt. Da tun die nüchternen Worte des chilenischen Autors gut: 

In dieser Minute scheinen das Potenzial und auch das Risiko der Künstlichen Intelligenz grenzenlos zu sein. Aber es gibt nichts Grenzenloses. Auch die KI wird Grenzen und Schwachpunkte haben. Wir müssen herausfinden, was ihre Schwachpunkte sind, um von der KI zu lernen und um uns vor ihr in acht zu nehmen.

Der Physiker Paul Ehrenfest beging 1933 Suizid aus Angst vor der Quantenphysik

Andererseits beunruhigen mich auch diese Worte. Denn sie sind die Antwort auf eine Frage, die nicht ich mir ausgedacht habe, sondern die KI ausgespuckt und dann mit meiner geclonten Stimme vorgelesen hat. Labatut hat die Maschine nicht vom Menschen unterscheiden können. 

Im Roman begeht der depressive österreichische Physiker Paul Ehrenfest 1933 Suizid, weil er das Gefühl hat, mit der Quantenphysik sei „ein Dämon in der Seele der Physik herangewachsen“. Mit Ehrenfest kann sich identifizieren, wem die KI heute vor allem Angst macht.

Mathematiker John von Neumann war begeistert von den Möglichkeiten der KI

Wer dagegen schon jetzt nur begeistert auf die KI blickt, dürfte eher vom Menschentyp des ungarisch-US-amerikanischen Mathematikers John von Neumann sein, der im Zentrum des Buchs steht. Das heute fast vergessene Genie entwickelte den ersten Hochleistungscomputer MANIAC, war ein Pionier der Künstlichen Intelligenz, arbeitete allerdings auch an der Entwicklung der Atombombe mit.

Sie beharren darauf, dass es etwas gibt, was eine Maschine nicht kann. Wenn Sie mir konkret sagen, was genau eine Maschine nicht kann, kann ich immer noch eine bauen, die genau das leistet.

 Macht die Künstliche Intelligenz uns Menschen also in Zukunft überflüssig? 

 Nein, überhaupt nicht. Wir sollten nicht vergessen, dass es vieles gibt, was sich nicht in die Sprache der Mathematik überführen lässt. Die Liebe lässt sich nicht formal beschreiben. Wir sind also das Gegenteil von überflüssig. Der Mensch ist ein Wunder. Er ist Schrecken und Wunder.

Lesetipp Benjamin Labatut – Das blinde Licht. Irrfahrten der Wissenschaft

So spannend wurde Wissenschaftsgeschichte vielleicht noch nie geschrieben. In „Das blinde Licht“ erzählt der chilenische Autor Benjamín Labatut von deutschen Naturwissenschaftlern, deren Entdeckungen bahnbrechend waren, die aber auch viele Menschen – zumal nicht selten sich selbst – ins Unglück gestürzt haben.
In vier großen Kapiteln, in denen sich naturwissenschaftlicher Sachverstand und literarische Essayistik brillant verbinden, erzählt Benjamín Labatut von den Physikern Werner Heisenberg und Karl Schwarzschild, dem Mathematiker Alexander Grothendieck und dem Chemiker Fritz Haber.
Die flämische Autorin Charlotte Van den Broeck, die selbst unlängst mit dem hervorragenden Essayband „Wagnisse“ über gescheiterte Architekten hervorgetreten ist, hat Labatuts Buch kürzlich gelesen und kann es „von Herzen empfehlen“, wie sie sagt. Denn es gelingt Benjamín Labatut, „meisterlich, die Grenze zwischen Wahnsinn und Wissenschaft“ auszuloten.
Lesetipp von der Autorin Charlotte Van den Broeck.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Suhrkamp Verlag, 187 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-518-42922-8

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Warum so negativ? Warum zeichnet Science-Fiction immer ein eher dystopisches Bild von der Zukunft? Die Künstliche Intelligenz spielt dabei selten die Rolle des romantischen Helden. Können wir über KI also nur im Apokalypse-Modus nachdenken?

Isabella Hermann ist Politikwissenschaftlerin und Speakerin auf dem Gebiet der Science-Fiction. Sie meint, die düsteren Geschichten voller Weltzerstörung hätten mit Sehgewohnheiten zu tun: “Vor allem bei Kinofilmen und Blockbustern ist es eine Erwartungshaltung.” Das falle in die Kategorie “disaster porn” und sage mehr über uns Menschen aus als über die Technik selbst.
Mit welchen Folgen? “Bestimmte Bilder sacken ins kollektive Gedächtnis ein”, sagt Hermann. Da sei zum einen das rote Auge von HAL 9000, dem Bordcomputer aus Stanley Kubricks Film “2001: Odyssee im Weltraum” oder auch die Terminator-Fratze des von Arnold Schwarzenegger verkörperten Androiden.

Problematisch sei auch, dass die KIs im Trainingsprozess selbst wieder mit den Mensch-gegen-Maschine-Plots gefüttert werden. “Es liegt genau an diesen fiktiven Geschichten, die jetzt real werden, weil die KI-Systeme sie wiederholen.” Der problematischen Silicon-Valley-Ideologie “move fast and break things” könne man nur Bildung und Aufklärung entgegensetzen. Insgesamt appelliert Hermann aber daran, pragmatisch zu bleiben: “Vielleicht ist wirklich das Problem, dass uns die KI irgendwann einmal auslöschen möchte. Dann lag ich falsch. Oder wir gucken lieber, um was ich mich jetzt kümmern muss, denn wir leben ja schon mit KI.”

Zum Glück gibt es Ausnahmen! Isabella Hermann hat einen Lesetipp für uns, mit einer positiven KI-Figur. Sie empfiehlt den Roman “Pantopia” von Theresa Hannig.

Welche KI-Figur gefällt euch am besten? Habt ihr weitere Themen oder Feedback? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de.

Links zur Folge:
Theresa Hannigs Roman “Pantopia”:
https://www.fischerverlage.de/buch/theresa-hannig-pantopia-9783596706402

Isabella hat eine Einführung in das Science-Fiction-Genre geschrieben: https://www.junius-verlag.de/Programm/Zur-Einfuehrung/Science-Fiction-zur-Einfuehrung.html

Isabella Hermanns Science-Fiction-Hörspielpodcast "Das was Morgen": https://1.ard.de/das_war_morgen_cp

Hosts: Christian Batzlen und Pia Masurczak
Showrunner: Philine Sauvageot

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