Buchkritik

Barbara Bleisch – Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre

Stand
Autor/in
Margrit Irgang

Die Philosophin Barbara Bleisch erzählt klug und mit ansteckender Begeisterung von der schwierigen Lebensspanne zwischen fünfunddreißig und fünfundsechzig, die eine Zeit großer Erfüllung sein kann.

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In den mittleren Jahren, also zwischen fünfunddreißig und fünfundsechzig, stellt sich oft ein Gefühl innerer Leere ein. Man blickt auf das bisher Erreichte zurück und fragt sich, ob das nun alles gewesen sein soll oder ob da noch etwas ganz Neues kommen kann. Die Philosophin Barbara Bleisch, Jahrgang 1973, lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Lebensmitte für eine Zeit großer Fülle hält.  

Die mittleren Jahre können sich als eine Zeit erweisen, in der wir hoffentlich von unserer Lebenserfahrung profitieren und gefestigt im Leben stehen, zugleich aber den jugendlichen Übermut abgelegt haben, weil wir bereits erfahren konnten, dass sich Langmut, Sorgfalt und Geduld auszahlen. Sie werden damit – aristotelisch verstanden – zu ‚Jahren des Mittleren‘, in denen wir zu den besten Versionen unserer selbst heranzuwachsen vermögen.

Die Landschaft der eigenen Möglichkeiten 

Die mittleren Jahre sind eine Art terra incognita. Die früheren Entscheidungen sind oft nicht mehr stimmig, aber neue Wege sind noch nicht in Sicht. Eine gute Ausgangssituation für eine philosophische Untersuchung, findet Barbara Bleisch und zitiert Ludwig Wittgenstein, der die Einsicht, sich nicht auszukennen, als Grundform jedes philosophischen Problems ansah.

Barbara Bleisch erteilt keine wohlfeilen Ratschläge. Sie hat vielmehr eine, wie sie es nennt, „Landkarte für die Wanderung durch die Landschaft der eigenen Möglichkeiten“ geschrieben. Mit Barbara Bleisch auf diese Wanderung zu gehen, ist faszinierend und erhellend.

Während wir in der Jugend lernen mussten, uns gegen Autoritäten abzugrenzen und eine eigene Stimme zu finden, müssen wir uns in der Lebensmitte aufrichtig mit uns selbst befassen ... 

…indem wir uns die Freiheit nehmen – aber auch immer von Neuem den Mut aufbringen -, uns dem zuzuwenden, was uns überzeugt, begeistert und erfüllt. Dabei ist dieser Prozess stets ein suchender, schrittweiser, ein Vor und Zurück, nicht zuletzt auch weil das, was wir erfahren, uns seinerseits wieder prägt und formt und wiederum anders und neu wählen lässt. 

Endlichkeit bedeutet Bedrohung, aber auch Intensivierung 

Im Sinne Sokrates’ dreht und wendet Barbara Bleisch jedes Argument und fragt, ob nicht auch das Gegenteil zutreffen könnte. Unsere Endlichkeit zum Beispiel bedeutet sowohl Bedrohung, lässt sich aber auch als Intensivierung erleben: In der uns noch verbleibenden Zeit müssen wir unsere Entscheidungen bewusster treffen, lernen aber das, was wir erleben, mehr zu schätzen. Für Heidegger war das Nachdenken über den eigenen Tod sogar eine „Bedingung des gelingenden Lebens“. 

Die mittleren Jahre sind allerdings auch anfällig für Krisen, denn die vorläufige Bilanz des gelebten Lebens enthält Erfolge und Höhepunkte ebenso wie enttäuschte Hoffnungen. Barbara Bleisch empfiehlt, Umwege und Abwege nicht zu bereuen, denn oft fehlten uns zum Zeitpunkt der Entscheidung wichtige Informationen oder der eingeschlagene Weg hat uns so verändert, dass wir die Entscheidung heute anders bewerten. Gerade die Umwege, schreibt Bleisch, gehören zu unserem wichtigsten Erfahrungsschatz.

Ein inspirierender Wanderführer 

Dieses Buch bietet eine Fülle an Fragen und Einsichten und ist ein inspirierender Wanderführer durch eine Lebenszeit, die voller Stolpersteine ist. Welches Fazit zieht Barbara Bleisch aus dieser Lebenszeit, in der sie sich selbst befindet?  

Lieber überschäumend vor Träumen und Sehnsüchten sein und einsehen müssen, dass nicht alles gelebt werden kann, was einen reizt, als ein langweiliges Schalentier oder eine deprimierte Person, die gar keine Sehnsucht kennen.

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