Buchkritik

Laura Naumann – Haus aus Wind

Stand
Autor/in
Kristine Harthauer

Seit ihrer Kindheit arbeitet Johanna als Synchronsprecherin. Jetzt, mit 29, erlaubt sie sich eine lang überfällige Pause. An der Algarve strandet sie im Surferparadies, lernt die Profi-Surferin Luz kennen und findet sich in einer aufregenden Dreiecksbeziehung wieder. Alles könnte so schön sein - wären da nicht die Flashbacks und das Herzrasen. Laura Naumann erzählt eine sommerlich-schmerzhafte, berührende Geschichte über eine junge Frau, die ihre eigene Stimme sucht.

Wie Treibgut wird Johanna an diesen Strand in der Algarve gespült. Sie kriegt keine Luft, schluckt Wasser, weiß nicht, wo unten, wo oben ist. Die Leine des Surfbretts verheddert sich und schneidet in ihren Körper.

Was hast du dir denn gedacht, Johanna? Dachtest du, das wär so einfach? Das hättest du einfach so drauf? Nur vom Zugucken gelernt? Könntest es nachmachen, ohne es geübt zu haben? Warum denkst du, sind hier überall Surfschulen? Nur du brauchst keine? Weil du den Cartoon mit den surfenden Pinguinen so mochtest? Was ist los mit dir? Wirst du endlich mal wieder normal?

Synchronsprecherin strandet im Surferparadies

Endlich wieder normal werden, endlich dieses diffuse Angst-Rasen in der Brust loswerden und über die Ex-Freundin hinwegkommen. Vielleicht hat Johanna einen Burnout, vielleicht auch eine Depression. Anstatt einen Arzt aufzusuchen, wählt sie eine andere Lösung: Sie reist ans Meer.

Zwei Wochen Algarve und eine Pause von der Arbeit. So der Plan. Seit ihrem 11. Lebensjahr hat sie eine Karriere als Synchronsprecherin. Als Kind lieh sie ihre Stimme der Hauptfigur einer erfolgreichen Serie. Danach ging die Arbeit einfach immer weiter:

Ich wurde die deutsche Feststimme von zwei sehr berühmten und drei mittelberühmten Schauspielerinnen. Ich habe Hörbücher und Lerneinheiten eingelesen und mich im Alltag aus unangenehmen Situationen herausgewunden, indem ich auf Synchrongeknödel umschaltete – ein Trick, mit dem sich jede Unterhaltung ad absurdum führen lässt: so sprechen, als würde man das synchronisieren, was man sagt. Wirkt Wunder, auch bei Streits, wenn man sagt:
– Oh man ey, das macht mich echt wütend, das macht mich verdammt nochmal wütend, verstehst du das? -  anstatt wirklich wütend zu werden.

Späte Coming of Age-Geschichte

„Haus aus Wind“ heißt Laura Naumanns Debütroman. Ihre Hauptfigur Johanna schickt sie darin mit Ende 20 auf eine späte Coming of Age-Reise mit schwerem Gepäck: Ihre Kindheit und Jugend waren bestimmt von ihrer Karriere.

Mit Eltern, die Johanna zwar unterstützten, aber sonst wenig Zeit für sie hatten, sogar froh waren, ihre Tochter nachmittags in Synchronstudios zu parken. In Johannas Hinterkopf - und in einigen SMS-Nachrichten - spukt außerdem noch immer ihre Ex-Freundin Rosa.

Und dann natürlich Johannas größtes Problem: 18 Jahre lang hat sie erfolgreich Sätze anderer Leute synchronisiert. Für sich selbst zu sprechen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, das kann sie nicht.

Ich hab Rosa im Ohr, die mir vorwirft, dass ich immer jemanden brauche, der oder die oder dey mir Sätze gibt, die ich nachplappern kann. Erschreckend glaubwürdig kann ich jeden Satz abliefern, oft beim ersten, spätestens aber beim dritten Take. So dass man sich im Umkehrschluss immer fragen muss, ob ich wirklich meine, was ich sage, oder ob es nur so klingt.

Sexismus im Surf-Sport

Mit all diesen Fragen reist Johanna an die Algarve. Surfen, Strand und Sonne, das könnte die ideale Zuflucht sein. Ist es auch irgendwie - dank der Menschen, die sie trifft. Wie etwa Luz: eine kleine, drahtige Person mit dreckigem Lachen und viel Energie. Sie arbeitet als Surflehrerin und nimmt Johanna unter ihre Fittiche.

Doch eigentlich ist sie Profisurferin, der Weltmeister-Titel war ihr so gut wie sicher. Ein Foto, mit dem sie als lesbisch geoutet wurde, kostete sie die Karriere. Luz küsst Frauen - damit wurde die Surferin zum Kassengift in diesem Sport, der noch immer voll von Sexismus ist.

Frauen müssen nicht nur gut Wellen reiten können, um eine Medaille zu gewinnen. Die meist männliche Jury erwartet bei Wettbewerben den sogenannten Rapunzel-Move: Die Athletinnen surfen dabei mit offenem Haar - für mehr Punkte, wie Johanna von Luz erfährt:

Vor dem Wettkampf lösen die Sportlerinnen ihre Zöpfe und Dutts, um sich anschließend mit wedelnden Zotteln in die Wellen zu stürzen. Das sei zum einen extrem unpraktisch, wie man sich ja vorstellen könne, weil die Haare einem so ständig ins Gesicht fliegen, und zum anderen auch die schlechtere Option für die kostbaren Haare, die eh unter dem ständigen Salzwasser leiden. Dennoch sei Haare auf eines der ungeschriebenen sexistischen Gesetze bei Surf-Wettkämpfen. Je länger die Haare, desto besser für die Karriere.

Schmerzhaft-schöner Sommerroman

Sexismus im Sport, Homophobie, aber auch die Suche nach neuen Formen von Freundschaft, Beziehung und weiblicher Solidarität - davon erzählt Laura Naumann ebenfalls in ihrem Roman, in dem Männer im Allgemeinen und Surferboys im Besonderen keine Rolle spielen.

Stattdessen findet sich Naumanns Heldin in einem Liebesdreieck mit zwei queeren Frauen wieder - natürlich mit Luz und mit der schon etwas älteren, sehr femininen und selbstbewussten Robyn. All das bringt Naumann leichtfüssig zusammen.

Sie lässt ihre Figuren in Interaktion treten, erzählt viel über Dialoge und gibt zugleich Johannas inneren Kämpfen Raum. Hier zeigt sich sprachliches und dramaturgisches Talent, das Laura Naumann als mehrfach ausgezeichnete und an großen deutschen Bühnen tätige Theaterautorin geschult hat.

Am Ende wird Johanna mehrere Monate an der Algarve bleiben. Das Meer lässt sie nicht gehen. Und der Sommerroman „Haus aus Wind“ entpuppt sich als schmerzhaft-schöne Geschichte über einen tiefen menschlichen Wunsch: Ohne Scham leben und lieben zu können.

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Kristine Harthauer