Buchkritik

Joann Sfar – Der Götzendiener

Stand
Autor/in
Max Bauer

„Der Götzendiener“ – Joann Sfar zeichnet, wie er Zeichner wurde
Joann Sfar ist einer der erfolgreichsten Comicautoren Frankreichs. Über Frankreich hinaus berühmt wurde er vor allem mit der Comic-Serie „Die Katze des Rabbiners“. Der Bestseller handelt von einer sprechenden Katze, die die Tora studiert, theologisch-philosophische Diskussionen führt, aber auch ganz handfeste Abenteuer erlebt. Zuletzt hat Joann Sfar sehr persönlich von seinem Leben erzählt. In seinem Buch „Die Synagoge“ geht es um seinen Vater und die vielen Erlebnisse mit antisemitischen Anfeindungen. Jetzt zeichnet Joann Sfar über seine Mutter. Eine Mutter, die er kaum kannte, denn sie starb, als Joann Sfar drei Jahre alt war. Was ihr Fehlen mit seinem Drang, Comics zu zeichnen zu tun hat, erfährt man in dem Band „Der Götzendiener“.

Natürlich hat der Comic-Autor Joann Sfar mehrere Götter. Einer von ihnen ist Serge Gainsbourg.

Am 2. März 1991 erfuhr ich in einer Seilbahn vom Tod Serge Gainsbourgs. Ich bin in dem Wintersportort, in dem meine Mutter siebzehn Jahre zuvor gestorben ist. Ich nehme Gainsbourgs Tod zu ernst. Irgendwas läuft hier schief. Ich wusste kaum etwas vom Tod meiner Mutter, also weine ich um Serge Gainsbourg.

Comic über die Leere nach dem Tod der Mutter

Über Serge Gainsbourg hat Joann Sfar 2010 einen Spielfilm gedreht. Doch die Trauer um das tote Idol steht hier für eine andere Trauer: Joann Sfars Mutter ist gestorben als er drei Jahre alt war. Jahrelang verschwieg ihm sein Vater, ein angesehener Rechtsanwalt in Nizza, ihren Tod. Die Mama sei verreist. In seinem neuesten autobiografischen Band „Der Götzendiener“ setzt sich der Comic-Zeichner Joann Sfar mit der Leere auseinander, die der Tod seiner Mutter hinterlassen hat.

Ein Elefant im Raum. Ich kann ohne Ende essen. Ich fühle mich nie voll. Manchmal tusche ich sogar schwarze Flächen mit einer Schreibfeder. Das ist sehr befriedigend. Aber es hört nie auf.

Gespräche prägen diesen Band, Gespräche von Joann Sfar mit seinem Psychotherapeuten und einem Rabbi in Nizza. Aber Theologie und Psychoanalyse bilden nur einen Rahmen. Wirklich persönlich ist dieser Comic, weil Joann Sfar sich auf die Suche macht, nach den Ursprüngen seiner Kunst. Warum ist er Zeichner geworden? Mit dem Zeichnen und Malen haben jedenfalls die wenigen Erinnerungen an seine Mutter zu tun.

Suche nach den Ursprüngen seiner Kunst

Zum Beispiel Asterix: Meine Mutter lebt da noch. Ich male mit dem Kugelschreiber in ihren Asterix-Erstausgaben herum. Nicht, um sie zu beschädigen. Sondern, weil ich betört bin von Uderzos Zeichnungen und davon träume, das auch zu können. Oder besser, mich auf die eine oder andere Weise an seinen Zeichnungen zu beteiligen. Aber diesmal bekomme ich wenige Komplimente. Und auch nicht, als Mama geweint hat, weil ich die weißen Tiere auf einer Kinderdecke ausgemalt hatte. Ich sehe meine Mutter mit hochgekrempelten Jeans im Bad, wie sie weinend die Decke reinigt. Ich weiß, dass es meine Schuld ist, und es macht mich noch heute traurig. Denn es ist eine der lebendigsten Erinnerungen an sie.

Wenn sein Therapeut ihn auf das Fehlen der Mutter anspricht, antwortet Sfar, dass er lieber ein Buch darüber zeichnen würde. Das Zeichnen, das Leben in Bildern, das Leben als Bildermacher: Wenn es die Leere füllt, wird es dann zum Lebensersatz, eine Flucht vor dem Leben?

Wenn du ein Bild mehr liebst als die Wirklichkeit, bist du verloren. Hier ein konkretes Beispiel: Ich bin bei einer Brünetten und verschüchtert. Sie will unbedingt, dass ich mit ihr schlafe. Wir haben uns gerade kennengelernt. Ich fühle mich unwohl. Sie anzusehen, würde mir reichen. Sie macht alles viel schneller als ich. Sie ist vor mir nackt. Das stresst mich. Ich ziehe mich mental zurück. Ich fange an, sie in meinem Kopf zu zeichnen. Wussten Sie das? Dass ein Zeichner sogar ohne Stift in der Hand zeichnet? Wenn ich zeichne, krieg ich keinen hoch. Mit einer Autorität wie der von Francois Mitterand oder meiner Großmutter väterlicherseits, erklärt sie: Und doch wird es passieren müssen! Schließe die Augen! Und sobald ich die Augen schließe, krieg ich einen hoch. Verstehen Sie? Zeichnen und Leben, beides gleichzeitig ist nicht so einfach.

Der Comiczeichner – ein Götzendiener?

Eine typische Joann Sfar Szene. Auch, was den Humor betrifft. Denn unten auf der Seite mit der Sex-Szene, die von der Kunst handelt, die dem Leben in die Quere kommt, zeichnet Sfar eine Katze, die einen Vogel gefräßig anschaut und ihm zuraunt: Schließ die Augen! Und vom kleinen Witz springt Joann Sfar dann unvermittelt zum nächsten großen Thema: Neben der Trauer und dem schwierigen Verhältnis von Kunst und Leben befragt Sfar auch seine jüdische Identität. „Götzenanbetung ist, wenn man sich lieber einem Bild anvertraut als der Welt.“ Sagt der befreundete Rabbi zu dem jungen Comiczeichner. Das zweite Gebot Moses, das Bilderverbot: vielleicht folgt es auch der lebensklugen Einsicht, dass ein Glaube, der sich perfekte Bilder macht und in der bildlichen Perfektion erstarrt, das Leben mit erstarren lässt.

Bin ich als Comiczeichner dann ein Götzendiener, der „sich in eine Welt flüchtet, die nicht diese Welt ist“? Fragt sich der junge Joann Sfar. Und die existentialistische Frage zieht sich durch den Band. Joann Sfar hat Philosophie studiert. Aber so grundsätzlich er die Fragen von Tod und Leben und Kunst stellt, so spielerisch sind seine Antworten. Denn alle Antworten liegen in den Zeichnungen selbst. Sfar ist für seinen ungenau-krakeligen, expressiven Stil berühmt. Die Rahmen der Panelbilder sind nicht präzise geometrisch gezogen, sondern mit freier Hand und erinnern an die Form von Sprechblasen. Das heißt, jedes Bild ist gewissermaßen eine große Sprechblase. Deutlicher geht es kaum, wenn man als Comicautor vor allem seine Zeichnungen sprechen lassen will.

Zeichnen ist Leben

Mitten im neuen Band stellt Joann Sfar die Frage, ob das Zeichnen selbst seine Religion ist. Und die Antwort enthält den ganzen Joann Sfar. Denn er erzählt mit wilden Strichen, wie im Mittelalter ein paar anarchistische Mönche, den altfranzösischen Fuchsroman, den „Roman de Renart“, mit seinen humoristischen Parabeln verfassen. Das ist so kindlich wie ironisch, so abenteuerlustig wie fantasievoll. Man versteht sofort, warum die klassischen Superhelden und B-Movie-Monster für Sfar so wichtig sind, wie seine philosophischen Studien. „Schreiben wir, was wir sehen. Also Quatsch!“ ist das Motto der mittelalterlichen Klosterschreiber. Und ganz in diesem Sinne antwortet Joann Sfar auf die Frage, ob es schlimm sei, sich in eine Welt zu flüchten, die nicht diese
Welt ist: Nein! Ich liebe es!

Man muss in der Küche arbeiten, oder im Wohnzimmer, inmitten seiner Liebsten. Man braucht Cafés, Bänke, den Wind und dass man unentwegt gestört wird. Das Zeichnen wird nicht abhandenkommen. Zu versuchen, weniger zu zeichnen, wenn man es so sehr liebt, ist morbid. Wenn Du das Gefühl hast, bei deinen Toten zu sein, wenn du schreibst, brich alles ab. Zeichnen, das ist das Leben!

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Max Bauer