Buchkritik

Michael Köhlmeier – Im Lande Uz. Gedichte

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Michael Köhlmeier schreibt Gedichte über eine Welt am Abgrund. „Im Lande Uz“ lautet der Titel seines neuen Lyrikbandes, der von gesichtslosen Machtapparaten, kommenden Kriegen und dem Niedergang der Intellektuellen handelt. Das Buch mit Querverweisen auf die Bibel und die Beatliteratur ist ein Abgesang auch aufs eigene Lebenswerk. Hoffnung findet der kulturpessimistische Dichter im Garten.

Mit den ersten Zeilen des Auftaktgedichts, das den programmatischen Titel „In klammen Zeiten“ trägt, wird eine neue Vorkriegsstimmung beschrieben. Eine kühle Feuchte scheint eine lange Lebens- und Wortgemeinschaft zu lähmen, während sich andere auf hitzige Schlachten vorbereiten.

Die Helden rüsten sich, / Unser Haus zu zerstören, / und wir – – / schleifen die Argumente.

Der Alltag der meisten Menschen geht wie gewohnt weiter, mit Bootstouren und Spielen, die wie eine absurde Ablenkung vor der drohenden Apokalypse erscheinen. Anders als diese „Oper des kleinen Mannes“ sieht das Drama der Intellektuellen aus: Die mahnenden Reden sind gehalten, die politische Entwicklung war nicht aufzuhalten.

Das lyrische Wir zieht sich ins Private zurück. Michael Köhlmeier hat den Band seiner Frau, der Schriftstellerin Monika Helfer gewidmet. Sie ist das vertraute Gegenüber in diesen autobiographischen Versen, in denen Liebeserklärung und politische Verzweiflung miteinander verbunden sind. 

Deine Sorgen sind berechtigt, / dein Lachen ist schön. / Was soll ich nach größeren Worten suchen, / wenn die großen uns nicht schützen konnten.

Gedichte als Schutz vor der Resignation

„… ja, wenn die großen Reden gehalten sind, wenn die größten Worte uns nicht schützen konnten, dann ist es eine Einsicht in diese erschütternde Begrenztheit des Intellektuellen, dass die größten Gedanken vor der kleinsten Handlung kapitulieren. Ich bin aber nicht resigniert. Allein die Tatsache zu schreiben, etwas zu beschreiben, zum Beispiel den Gaumen anzuregen, wenn man das Wort ‚Himbeer‘ niederschreibt, allein das tröstet mich und schützt mich vor der Resignation.“

Zahlreiche Gedichte im ersten Zyklus des Bandes, der mit dem Titel „Im Haus des Feindes, im Haus des Freundes“ überschrieben ist, gleichen einer aphoristischen Selbstbefragung.

Die Themen, die den bald 75-jährigen Schriftsteller Michael Köhlmeier immer schon beschäftigt haben, tauchen auch in seiner bitter-brillanten Poesie wieder auf: Die fortwährende Gewaltgeschichte der Menschheit, die ideologische Rechtfertigung terroristischer Mittel für angeblich heilige oder offen barbarische Zwecke.

Die Sehnsucht nach der Gartenidylle angesichts der gesellschaftlichen, aber auch persönlichen Leiderfahrung. „Was ist genug?“ fragt die lyrische Stimme und schaut zum Beispiel auf die letzte Ruhestätte des früh verstorbenen Kindes.

Die Kerzen auf dem Grab unserer Tochter – sind sie würdig / genug? / Die Gedanken an ihr Gesicht, wenn sie Sorgen hatte – sind sie / sorgenvoll genug?

„Ich habe eine kleine Novelle geschrieben, die heißt: ‚Idylle mit dem trinkenden Hund‘, die sich um den Tod unserer Tochter dreht, aber erzählerisch das so auszubreiten, das habe ich nicht geschafft. Das geht vielleicht auch gar nicht, weil die Gedanken und alle diese Dinge, die mich an meine Tochter erinnern, sich nicht in eine wohl organisierte Erzählung fassen lassen. Da ist die die Lyrik näher. Da schützt mich die Lyrik mehr vor der Verzweiflung als die Erzählung.“

Höllenhymnen einer zerstörten Welt

Michael Köhlmeier verzichtet auf das große lyrische Besteck, auf festes Versmaß und strenges Reimschema, als wolle er seine Gedanken weder durch eine opulente noch durch eine zu strenge Ästhetik einhegen. Diese Lyrik muss, passend zum Inhalt, nahezu formlos sein. Das zentrale Stilmittel ist der fein gesetzte Zeilenumbruch.

In vielen Versen geht es um eine politische Elite, die nur noch schwer zu fassen ist: „Wer kein Gesicht hat, / beansprucht Macht.“ Und um die Macht zu erhalten, werde dann die altbekannte Propaganda abgespult, etwa für den Schutz der Familie sei gesorgt.

„Noch als wir uns sicher fühlten, war bereits Krieg“ heißt es im Gedicht „Gebt Obacht!“. Der „Bürger am Bahnsteig“ hält nämlich schon einen faustgroßen Stein in der Hand, und Offiziere „töten den Nachwuchs anderer“. Nahezu folgerichtig landen wir im zweiten Teil des Bandes in einer zerstörten Welt.

Das titelgebende Zentralstück des Buchs ist ein düsteres Langgedicht. „Im Lande Uz – Kantate zu den wüsten Jahren“ heißen die Höllenhymnen, die an Allen Ginsbergs „Howl“ erinnern. Köhlmeiers „Im Lande Uz“ ist allerdings nicht nur ein Heulgesang mit Bezügen zur Beatliteratur, sondern eben auch die Fortschreibung einer biblischen Geschichte, die den Autor bis heute beschäftigt.

„Das Buch Hiob in der Bibel beginnt mit den Sätzen: Im Lande Uz lebte ein Mann namens Hiob, und diese schmerzliche Tatsache, dass diesem Mann Hiob alles angetan wurde, was man einen Menschen nur antun kann, ihm die Kinder nehmen, ihm all seinen Besitz nehmen, ihn schlagen mit Ausschlag und mit der Verachtung seiner Freunde – und das alles nur wegen einer Wette zwischen dem Teufel und Gott. Der Teufel sagt, na ja, gut, dass der Hiob zu dir hält, das ist deswegen, weil du ihm alles hinten und vorne reingeschoben hast. Und Gott sagt, dann nimm ihm alles weg, und dann schauen wir mal, wie er dann reagiert. Das ist so schmerzlich, das hat die Menschen nie losgelassen und hat mich auch nie losgelassen, die Lektüre vom Buch Hiob.“

Was aber hat die biblische Figur uns heute noch zu sagen? Wie verhalten wir uns, wenn wieder neue Schreckensnachrichten eintreffen? Hiob blieb bis zuletzt gottesfürchtig. Köhlmeier beklagt in seiner Kantate, dass nicht wenige Zeitgenossen ihre letzten Wertmaßstäbe ins Gegenteil verkehrt haben und sich ein erlösendes Unheil herbeiwünschen.

Haben nicht die Kühnsten unserer Generation sich nach der / Katastrophe gesehnt, die ihnen die Nadel in der Beuge, die / Flasche am Hals, die Selbstmordgedanken in der Freizeit, die / heimlichen Hochzeiten im späten Herbst, die Karrieren ins / Graue, die Blamagen vor den diversen Vermittlungsinstituten erspart hätte? / Und die Klügsten, haben sie nicht gehofft, ihre Genossen retten zu / dürfen am Tag der Rache? / Und was ist mit den Frommen, glaubten sie nicht, einen Unter- / gang verdient zu haben, wenigstens einen?

Kulturpessimismus und Selbstkritik

Der Niedergang im Lande Uz, das für Köhlmeier nicht nur in der Bibel existiert, sondern auch noch im Hier und Heute, betrifft alle Bereiche: „In Film und Fernsehen herrscht Schäbigkeit“, heißt es an einer medienkritischen Stelle.

Der „Mangel an Schönheit“ habe alle und jeden verdorben. Der radikale Kulturpessimismus spart auch nicht mit Selbstkritik, die in Form eines Reuegebets mit repetitiver Struktur gleich einem Rosenkranz gefasst ist.

Mangel an Schönheit machte mich unglücklich und böse. / Mangel an Schönheit machte mich zynisch und bleich. / Mangel an Schönheit machte, dass ich mich langweilte und zu den / Sternen aufsah, ohne zu staunen. / Mangel an Schönheit machte mich verlegen vor meinem eigenen / Leben. / Mangel an Schönheit machte mich müde und lebensmüde.  / Mangel an Schönheit machte mich neidisch und missgünstig. / Mangel an Schönheit machte mich feige. / Mangel an Schönheit verheerte die Welt, und ich frohlockte / darüber.“

Im dritten und letzten Teil des Buchs gibt es eine „Landkarte eines Verbrechens“ mit biographischen Fetzen. In wenigen Zeilen werden die Lebensläufe von Menschen umrissen, die aus unterschiedlichen Gründen schuldig geworden sind.

Ob nun aus einem „Mangel an Schönheit“ oder einfach nur, weil es in den gegenwärtigen Verhältnissen offenbar kaum Chancen auf einen alternativen Lebensweg gab:

Alwin war / der jüngste Sohn / der letzten Familie, deren Leben / darin bestand, / vor die Hunde zu gehen. Drei / seiner Brüder / saßen / im Gefängnis, / da war er / erst dreizehn.

„Das ist ein abwesender Roman. Wenn man sagen würde, schreib einen Roman und dann hau neunzig Prozent raus. Das sind kleine Anhaltspunkte, die dem Leser sagen: Lass deine Einbildungskraft spielen und ergänze das dazwischen.“

Ein reflektierter Wahrheitssucher

Der Moralist Köhlmeier hat also doch noch nicht aufgegeben, sein Publikum zum Selberdenken zu animieren; er feiert die literarischen Zwischenräume, weil den Worten zunehmend nicht zu trauen ist.

„Es wird so viel gelogen heutzutage“ lautet der letzte Satz des Gedichtbandes, der etwas zu allgemein und etwas zu pathetisch klingen könnte, wenn nicht zuvor sehr detailliert von den Unwahrheiten im „Haus des Freundes“ und den noch viel schlimmeren Lügen im „Haus des Feindes“ die Rede gewesen wäre.

Michael Köhlmeier bleibt auch in seiner lyrischen Wehklage ein reflektierter Wahrheitssucher. Den „bis ans Ende wohlgebauten Sätzen“, wie es im Schlussgedicht heißt, misstraut er. Es sind daher gerade die Momente der sprachlichen Verstörung, die diesen Gedichtband stark machen.

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Carsten Otte