Die kanadische Autorin und Umweltaktivistin Naomi Klein hat ein weiteres anspruchsvolles Buch folgen lassen, der Titel: „Doppelgänger. Eine Analyse unserer gestörten Gegenwart“. Es ist eine beklemmende Bestandsaufnahme unserer Verdrängungen und Projektionen in einer Welt, die auf Kosten anderer funktioniert.
Man benötigt für dieses Buch einen langen Atem. Denn Naomi Klein unternimmt eine tiefgreifende Analyse der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Welt.
Ausführlich widmet sie sich zunächst einer feministischen Schwester im Geiste, Naomi Wolf. Unter der Corona-Pandemie radikalisierte sich Wolf, rückte immer tiefer ins Lager der Verschwörungstheoretiker, verkörperte fortan alles, wogegen Naomi Klein ein Leben lang gekämpft hat und wurde, das war das Bedrückendste für die Klimaaktivistin, in den digitalen Medien mit ihr verwechselt.
Die Verdrängung der Gegenwart
Aus dieser Spiegelung mit dem digitalen Phantom entwickelt Naomi Klein ihre tiefschürfende Analyse und weist auf blinde Flecken in der Geschichte und unsere beschränkten Blickwinkel auf Phänomene in der Gegenwart hin. „Eine Analyse der gestörten Gegenwart“, lautet der Untertitel.
Leugnungen in uns
Schattengestalten, Doppel-Ichs, Selbstverleugnung, Verschwörungstheorien allerorten – und die Verdrehungen durch die rasenden digitalen Medien kommen hinzu. Es finde eine „Neuordnung der Politik“ statt, schreibt Naomi Klein und sieht darin „eine der wichtigsten Hinterlassenschaften von Covid“. „Schattenzonen“ sind entstanden.
„Eine Welt, die in Flammen steht“
Als säkulare Jüdin nimmt Naomi Klein schließlich die Kriege im Nahen Osten in den Blick. Israel-Palästina lasse sich nicht „als verwirrender ethischer Konflikt zwischen zwei unversöhnlichen semitischen Zwillingen abtun“, schreibt Klein. Vielmehr sei es „das bisher letzte Kapitel (…) einer Welt, die jetzt in Flammen steht“. Und Naomi Klein schlägt einen großen Bogen durch die unheilvolle Geschichte der Menschheit.
Naomi Klein hat eine Selbstbefragung verfasst, die jeden Leser und jede Leserin zum Innehalten und Reflektieren der eigenen Person anregen kann. Ein sehr nachhaltiges Buch der Klimaaktivistin.
Mehr Literatur von Naomi Klein
Buchkritik Naomi Klein - Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann
Zehn Jahre verbleiben noch, um eine Trendwende einzuleiten und die Klimakatastrophe aufzuhalten. Naomi Klein plädiert für einen radikalen Systemwandel. Rezension von Stefan Berkholz. Aus dem amerikanischen Englisch von Gabriele Gockel, Sonja Schumacher und Barbara Steckhan Verlag Hoffmann und Campe ISBN 978-3-455-00693-3 352 Seiten 24 Euro
Mehr Literatur zu Themen der Gegenwart
Buchkritik Elizabeth Kolbert - Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft
Überall auf der Welt bedrohen invasive Arten die einheimische Natur. Bisweilen hat der Mensch ganz gezielt fremde Arten eingeführt. Doch das hat, wie die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Elizabeth Kolbert in ihrem Buch 'Wir Klimawandler' ausführt, nur selten zum Erfolg geführt. Jetzt versuchen die Menschen, den von ihnen verursachten Klimawandel mit technischen Eingriffen einzudämmen. Ob das gelingen kann?
Rezension von Johannes Kaiser.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Suhrkamp Verlag, 240 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-518-43004-0
Buchkritik Michael E. Mann – Moment der Entscheidung
Noch ist der Untergang der Menschheit abzuwenden, meint Michael E. Mann, einer der führenden internationalen Klimatologen. Seine Einblicke in die Erdgeschichte machen Hoffnung, denn die physischen und technologischen Voraussetzungen für die Rettung seien noch gegeben, es mangele nur am politischen Willen.
Rezension von Gerhard Klas
Buchkritik Konrad Paul Liessmann – Lauter Lügen und andere Wahrheiten
Politik und Moral, Kultur und Zensur, Freund und Feind, Winnetou, der Weltuntergang - das sind nur einige der Themen, mit denen sich Konrad Paul Liessmann in "Lauter Lügen" auseinandersetzt, geistvoll und mit Entschiedenheit zugleich.
Rezension von Eberhard Falcke.
Paul Zsolnay Verlag, 254 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-552-07342-5