Der Ermittler Alexander Koslow wird in die russische Provinz geschickt, um Todesfälle in einem Kinderheim aufzuklären. „Der Schatten einer offenen Tür” zeichnet ein Bild des heutigen Russlands.
Das russische Provinzstädtchen Ostrog wird von einer Selbstmordserie heimgesucht: Im Kinderheim des Ortes haben sich drei Teenager nacheinander und auf ganz unterschiedliche Weise umgebracht. Einen Zusammenhang zwischen den Taten hat die örtliche Polizei noch nicht finden können.
Und weil immer mehr Journalisten in den Ort strömen, wird Alexander Koslow aus Moskau mit dem Fall betraut. Er versucht, sich in der allgemeinen Aufregung einen Überblick zu verschaffen – auch wenn er am liebsten zu Hause geblieben wäre.
Ein systemtreuer Ermittler
Sasha Filipenkos Roman besticht zunächst durch einen charismatischen Ermittler: Koslow ist Veteran des Tschetschenienkriegs und hat es zu etwas gebracht, weil er nach den Regeln spielt und keine lästigen Fragen stellt. Seine Ehe ist angesichts dieses Pflichtbewusstseins in die Brüche gegangen und seitdem lässt eine – vielleicht typisch russische – Schwermut Koslow nicht mehr los.
Dass ausgerechnet dieser systemtreue Ermittler sympathisch wirkt, liegt daran, dass er um die menschlichen Schwächen weiß, auch um seine eigenen. Das wird zum Beispiel deutlich, als Koslow mit großer Ausdauer versucht, so viel wie möglich über die toten Teenager in Erfahrung zu bringen und sich durch deren Social-Media-Profile scrollt.
Ein Bild des heutigen Russlands
Der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko hat bis 2020 in St. Petersburg gelebt, bis er Russland verlassen musste und mit seiner Familie in die Schweiz gezogen ist.
In seinem neuen Roman zeichnet Filipenko ein plastisches Bild des heutigen Russlands: So wie Ostrog als Ort an einen Kerker ohne Wände erinnert, gleicht das ganze Land einem riesigen Gefängnis. Nur selten geraten die Bilder etwas zu plump, etwa wenn sich siamesische Zwillinge in Ostrog über den Anschluss der Krim streiten – eine Zwillingsschwester ist für Russland, die andere für die Ukraine. Viel öfter sind es stimmige Details, die den Roman ausmachen:
Immer wieder nimmt der Roman Bezug auf die griechische Tragödie: Die Kapitel sind als Gesänge überschrieben und es wird bald klar, dass in dieser Geschichte so gut wie alle Menschen in Schuld verstrickt sind. „Der Schatten einer offenen Tür“ ist ein packender Roman, der als Gesellschaftsporträt genauso überzeugt wie als Kriminalfall.
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Pjotr Nesterenko ist der Direktor des ersten Moskauer Krematoriums. Während des Stalinistischen Terrors verbrennt er die Leichen der zum Tode Verurteilten. Jahre später wird er selbst festgenommen wegen angeblicher Spionage. Der belarussische Autor Sasha Filipenko hat mit „Kremulator" einen beklemmend aktuellen Roman über das Leben in einer Diktatur und die Sinnlosigkeit des Krieges geschrieben.
Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer
Diogenes Verlag, 256 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-257-07239-6
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