Kommentar

Was liest Kamala Harris?

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

„Und plötzlich ist Kamala cool“ titelt die FAZ, nachdem Präsident Joe Biden seine Vize als demokratische Gegenkandidatin zu Donald Trump ins Spiel gebracht hat. Höchste Zeit also, die bisher wenig sichtbare Kamala Harris endlich besser kennen zu lernen. Zum Beispiel durch einen Blick auf ihre Lieblingsbücher. In denen geht es oft um soziale Härten, aber auch um geglückte Einwanderung in die USA.

Buchempfehlungen von Politprominenz sind meistens dreierlei: Fast immer geht es um Imagepflege, nicht selten um die Darstellung intellektueller oder politischer Positionen und oft auch um echte persönliche Interessen. Bei Kamala Harris treffen alle drei Aspekte zusammen.

Und seit Präsident Joe Biden sie als demokratische Präsidentschaftskandidatin ins Spiel gebracht hat, ist das Interesse an ihren bevorzugten Lektüren umso größer. Da kommt das „Börsenblatt des Deutschen Buchhandels“ gerade recht, indem es uns verrät, was die Hoffnungsgestalt aller Trump-Gegner gerne liest und weiterempfiehlt.

Neu ist das allerdings nicht, denn die fünf Titel, die Kamala Harris als ihre All-Time Favourites bezeichnet, sind seit rund zehn Jahren die gleichen. Was also steht auf dieser Bücherliste? Was lässt sich daraus ablesen?

Fulminante Einwanderergeschichten

Sofort ins Auge fällt der Roman „Drachenläufer“ des afghanischen Diplomatensohnes Khaled Hosseini, dessen Familie 1980 Asyl in den USA erhielt. Der Roman handelt vom Niedergang Afghanistans unter den Taliban und von der Emigration in die USA. Er wurde nach der amerikanischen Erstausgabe 2003 zum Weltbestseller, es folgte die Verfilmung, der Autor gewann Prominentenstatus.

Zu den Migranten mit fulminanter Einwanderungskarriere gehört auch die Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie. Sie zählt mit ihrem Erzählband „Heimsuchung“ ebenfalls zu den Auserwählten von Kamala Harris.

Mit 19 kam die Professorentochter zum Studium in die USA und absolvierte erfolgreiche Abschlüsse an den Ivy-League-Universitäten Princeton und Yale. Gute Voraussetzungen also, um aus feministischer Sicht über Erfahrungen zu schreiben, bei denen sich Identitätsprobleme und postkoloniale Verhältnisse reibungsvoll überlagern.

Auch Harris‘ Eltern gehören zur migrantischen Oberklasse

Anders als Donald Trump, der für einen Kapitalismus der ungebremsten persönlichen Bereicherung steht, zeigt Kamala Harris viel Empathie für Zuwanderer und ihre Herkunftsgeschichten.

Unverkennbar ist sie aber auch fasziniert von sozialem Aufstieg und Erfolg. Denn der Afghane Hosseini und die Nigerianerin Adichie stehen für die Literatur einer migrantischen Elite.

Dasselbe Erfolgsmuster bestätigt auch Amy Tans Roman „Töchter des Himmels“, die dritte Buchempfehlung mit Migrationsthematik. In diesem Fall handelt es sich um die chinesische Variante einer Aufstiegsgeschichte in den USA.

Parallelen mit Kamala Harris eigener Biographie sind leicht zu erkennen. Auch ihre Eltern gehören zur migrantischen Oberklasse. Die Tochter machte standesgemäß eine steile Karriere als Juristin und Politikerin.

Rassismus, Polizeigewalt und Justizwillkür

Das andere große Thema der Reading List von Kamala Harris ist der Rassismus gegenüber Afroamerikanern. Dazu nennt sie zwei Bücher: Zum einen den afroamerikanischen Klassiker „Sohn dieses Landes“ von Richard Wright aus dem Jahr 1940 über den unaufhaltsamen Weg eines jungen Schwarzen vom armseligen Ghetto-Alltag bis hin zum elektrischen Stuhl.

Wie ein aktueller Kommentar dazu liest sich die fünfte Empfehlung: Das ist ein Erfahrungsbericht des Strafverteidigers und Bürgerrechtlers Bryan Stevenson, der sich unter dem Titel „Ohne Gnade“ mit „Polizeigewalt und Justizwillkür in den USA“ auseinandersetzt.

Diese Empfehlung könnte bedeuten, dass eine Präsidentin Kamala Harris der Verbesserung eines ethnisch ungerechten Justizsystems besondere Aufmerksamkeit widmen möchte.

Mehr menschliche Anteilnahme im Weißen Haus?

Kamala Harris setzt mit ihren Buchfavoriten starke Signale. Dazu gehört auch dieses: Alle fünf der genannten Bücher stammen von People of Colour. Weiße Literatur kommt nicht vor, die Liste all dessen, was Kamala Harris bei ihren Lektüren ignoriert, wäre lang.

Das könnte zu einem Problem werden. Denn die schwierigen Wählergruppen der Modernisierungsverlierer, gleich ob schwarz oder weiß, werden sich in diesen Lektüreempfehlungen kaum wiedererkennen.

Trotzdem verraten die literarischen Vorlieben von Kamala Harris einen großen Sinn für menschliche Anteilnahme. Und der wäre im Weißen Haus auf jeden Fall gut zu gebrauchen.

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Gäste: Kerstin Kohlenberg, Journalistin und Autorin des Buchs „Das amerikanische Versprechen“, und Klaus Kamps, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart.
Host: Christian Batzlen
Showrunnerin: Philine Sauvageot
Links zur Folge:
Kerstin Kohlenbergs Sachbuch: https://www.klett-cotta.de/produkt/kerstin-kohlenberg-das-amerikanische-versprechen-9783608123517-t-8804
Klaus Kamps Sachbuch (ab Oktober): https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838558004

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