SWR2 am Morgen

Keine Rolle bei Schlöndorff

Stand

Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Einmal in meinem Leben wollte ich eine Schauspielprüfung bestehen, und zwar wirklich nur die Prüfung bestehen, um zu wissen, ob es diese Möglichkeit, diesen Weg für mein Leben auch gäbe – wollte aber dann, wenn ich sie bestanden hätte, auf gar keinen Fall Schauspiel studieren. Ich bereitete mich lange vor, denn ich wollte der Möglichkeit die besten Möglichkeiten eröffnen, und dann fuhr ich nach Berlin-Schöneweide zur Schauspielschule "Ernst Busch" - und fiel sofort in der ersten Runde durch. Was sei das denn für eine Figur, die ich hätte darstellen wollen? Ich hielt einen Kurzvortrag. Sie sagten: Ach so, nicht schlecht, studier doch Theaterwissenschaft.
Sie hatten mich durchschaut.
Ich litt.
Ich studierte Theaterwissenschaft.
Am Ende eines zweiwöchigen Schauspielkurses, der Teil dieses Studiums war, sagte der Lehrer, am verschlossensten von allen sei ich.
Er hatte mich durchschaut.
Ich litt.
Nach meinem Studium dann ergab es sich eines Tages, dass ich mit einem gemeinsamen Freund Volker Schlöndorff besuchte. Am Ende dieses Besuchs fragte der mich: Hättest Du nicht Lust, in meinem neuen Film zu spielen? Ich erinnerte mich an Berlin-Schöneweide, an den Schauspielkurs - und sagte nein. Ein andermal saßen wir mit Volker Schlöndorff beim Abendessen, am Ende des Abendessens fragte er wieder: Hättest Du nicht doch Lust, in meinem neuen Film zu spielen? Ich schüttelte den Kopf. Wenigstens mal eine Probe? Ich schüttelte den Kopf. Es ist eine Hauptrolle, sagte er, eine junge Frau aus bürgerlichem Hause, die Terroristin wird und in der DDR untertaucht. Nein, sagte ich, bloß nicht.
Oder hatte er mich durchschaut?
Ich setzte mich hin und schrieb ihm einen  kurzen Brief, in dem stand, dass ich doch zu einer Probe bereit wäre. Dann aber vergaß ich, den Brief einzuwerfen. Dann musste ich auf den Zug nach Wien. Dann fiel mir erst kurz vor Dresden der Brief wieder ein, auf dem schon eine deutsche Briefmarke klebte. Ich entschloss mich schnell und gab ihn einem fremden Mann mit, der in Dresden aussteigen wollte und mir versprach, ihn einzuwerfen.
Der Film mit der Terroristin ist längst gedreht und auch schon der nächste und übernächste Film von Volker Schlöndorff, eine Antwort habe ich niemals bekommen.
Es kann sein, dass der Mann den Brief eingeworfen hat.

Stand
Autor/in
SWR