Erzählung von Kirsten Fuchs

„Ende eines Schleimers“

Stand
Autor/in
Kirsten Fuchs

Schleimer mag keiner. Deshalb ist man in der Regel auch froh, wenn der Schleimer geht. Naja, aber die Schleimspur, die er hinterlässt, die kann man ja vielleicht doch nutzen, für die eigene Karriere. Eine Erzählung von Kirsten Fuchs

Lieber Vorstand, liebe Anwesende, lieber Kollege Dr. Kniesbüggel!

Heute nun ist es soweit, ihr letzter Arbeitstag, Herr Kniesbüggel, bricht an und wir alle sind genauso wie sie. Nämlich... froh.

Ich streiche das letzte Wort.

Wir alle sind genauso wie sie. Und ich... gespannt, was in dieser Rede über Sie alles Gutes gesagt werden wird.

Ich starre auf das Papier. Es gibt nichts Gutes über Kniesbüggel zu sagen. Nichts.

Lieber Herr Kniesbüggel. Es war immer ein besonderes Gefühl, Ihnen im Flur, im Aufzug oder in der Raucherecke unserer Firma zu begegnen. Eine Mischung aus Ekel und Scham, als hätten eine Schnecke und eine Spinne Kinder bekommen, das Beste aus langsam und schnell, glibbrig und haarig. Und diese Schneckenspinnen würden sich an einem Tag, an dem es Schlamm regnet, auf einem Haufen Froschlaich übergeben. Lieber Herr Dr. Kniesbüggel. Es war immer zumindest eine Erfahrung, mit ihnen gesprochen haben zu müssen.

Gut, also den Absatz kann ich komplett streichen. Was habe ich bisher überhaupt?

Ihr letzter Tag bricht heute an.

Sogar der Tag muss brechen, wenn es um Kniesbüggel geht.

Sie, Herr Dr. Kniesbüggel werden für immer unvergessen sein, denn die ganze Firma ist voll von ihrer Schleimspur. Kein Tag verging, an dem Sie nicht jeden von uns vollgeseiert, beblubbert, begluckst, betätschelt, zugespeichelt, zugesudelt und angelobhudelt haben.

Wenn ich Sie gleich morgens getroffen habe, lieber Herr Kniesbüggel, wollte ich sofort nach Hause mich umziehen, duschen, desinfizieren meine Haut nach außen krempeln und mir die Organe putzen, die Ohren mit einem Klopimpel ausputzen.

Kann man das so sagen vor der ganzen Firma? Ich bin mir sicher, es gäbe jede Menge Applaus.

Lieber Herr Kniesbüggel, sie haben keinen Unterschied gemacht, ob kleiner Angestellter oder Abteilungsleiter. Keiner von uns, der nicht besabbelt und beschäumt wurde, dass nur so der Geifer und die Gischt spritzte. Einzigartiger magischer Glanz in den Haaren, rehweiche Augen, eine Hose für Götter. Das muss doch noch erlaubt sein. Da muss ich doch bei der Wahrheit bleiben.

DAS hat Kniesbüggel immer gesagt. Gerade er. Da muss er doch mal bei der Wahrheit bleiben.

Die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass Sie, Kniesbüggel, in so viele Hintern gekrabbelt sind, dass es ein Wunder ist, dass Sie nicht heute einen Orden bekommt als tapferer Bergmann und Höhlenforscher. Und vielleicht auch deshalb diese immerzu übertrieben leuchtenden Augen, weil man sonst nichts sieht dort wo es finster ist, auf dem Weg nach oben.

Man, warum muss gerade ich diese Rede auf diesen Schmierlappen halten? Er selbst hat gesagt, dass ich das machen soll. Frau Treichel, sie können so etwas. Was uns verbindet ist die Wortgewalt. Wenn Sie erst einmal herausgefunden haben, was man mit ihrem unglaublichen Talent anstellen kann, Frau Treichel. Blablabla. Wenn es nur endlich weg wäre. Dann rückt Peters auf und Gesine Hallhuber rückt auf und dann wird die Stelle von ihr frei und naja ein bisschen mehr Geld wäre schon nicht schlecht. Meine Miete ist erhöht worden. Und meine Beförderung ist überfällig. Eigentlich hat Kniesbüggel recht. Ich kann wirklich gut mit Worten. Gerade kommt es mir so vor, als hätte er vielleicht bei den anderen immer geschleimt was das Zeug hält, aber bei mir, bei mir könnte er durchaus die Wahrheit gesagt haben. Ich habe die Beine einer Gazelle. Das stimmt. Und warum sollte er mich anlügen? Ich stand auf der Karriereleiter so weit unter ihm. Was hätte er davon gehabt, bei MIR zu schleimen? Wenn ich mir diese Karriereleiter vorstelle, dann sehe ich all die Ärsche über mir auf der Leiter stehen und sehe, dass es ein weiter Weg ist.

Außer ich nehme eine Abkürzung. Ich glaube Kniesbüggel bestimmt seine Nachfolge.

Lieber Herr Kniesbüggel, schreibe ich.

Heute ist ein trauriger Tag für die Firma Vasovit, Vaseline, Vaselinveredlung und Vaseline-Derivate

AG, denn der Beste der Besten gleitet davon und hinterlässt eine glänzende Spur in all unseren Herzen. In meinem Herzen auf jeden Fall.

Lieber Herr Dr. Kniesbüggel, ich kann nur die Wahrheit sagen. Sie sind eine Inspiration für mich.

MICH haben Sie auf jeden Fall verändert, denn ICH bin nun entschlossen ihrer Spur zu folgen.

Sie werden eine Lücke hinterlassen. Wer soll Sie ersetzen? Wer wird in Zukunft in dieser Firma dafür sorgen, dass jeder aber wirklich jeder die Aufmerksamkeit und die Liebe bekommt die jedem hier zusteht?

ICH frage mich, wer soll sie ersetzen?

ICH werde mich auf jeden Fall bemühen, ihre Werte weiter zu tragen: Ihre Wärme, Ihre Zugewandtheit, Ihre Nähe und Ihren positiven Blick. ICH halte die Fackel, die ich an Ihrem Feuer entzündet habe und gleite damit durch die Firma. 

Mir wird ein wenig übel von meiner Wortgewalt. Ich muss erstmal duschen. Aber bald, bald werde ich goldene Wasserhähne haben.

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