Wer sich heute als Spätgeborene*r fragt, welche leichte Literatur in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik bei den Lesern hoch im Kurs stand, wird neben dem unvermeidlichen Karl May und diversen Groschenromanen auch schnell auf die Familiengeschichten des jüdischen Autors Ephraim Kishon stoßen.
Der in Ungarn geborene Satiriker Kishon wurde ab 1959 mit seinem Buch „Drehn Sie sich um, Frau Lot!“ zum international erfolgreichen Schriftsteller, ab 1961 stellte sein Erfolg in Westdeutschland alles in den Schatten – in der DDR wurden seine Bücher nicht verlegt.
Statt Judenhass nun Interesse am jüdischen Leben?
Das mag aus heutiger Sicht ein Kuriosum sein – zu oft hören wir jüdische Stimmen heute im Kontext von Antisemitismus und dem Gazakrieg. Warum sollte die damalige deutsche Gesellschaft, die auch aus ungestraft davongekommenen Tätern und Mitläufern des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs bestand, sich ausgerechnet für die Geschichten eines Juden interessieren?
Kishons Leser ignorierten den Hintergrund wohlweislich oder unbewusst
Eine Antwort darauf könnte in Kishons Geschichten selbst versteckt sein – so offensichtlich versteckt in Alltagserzählungen, dass wohl nur Eingeweihte den Kontext mitlesen konnten. So beschreibt Kishon in einem Kapitel seiner Familiengeschichten die nervenaufreibende Geburt seines Sohnes ganz klar mit lakonischem, jüdischem Humor:
„Sie haben einen Sohn!“, röhrte der Portier. „Dreieinhalb Kilo! Einen Sohn! Verstehen Sie? Einen Sohn von dreieinhalb Kilo…“
Ich schlang meine Arme um ihn und versuchte sein überirdisch schönes Antlitz zu küssen. Der Kampf dauerte eine Weile und endete unentschieden. Dann entrang sich meiner Kehle ein fistelndes Stöhnen. Ich stürzte hinaus.
Natürlich kein Mensch auf der Straße. Gerade jetzt, wo man jemanden brauchen würde, ist niemand da.
Wer hätte gedacht, dass ein Mann meines Alters noch Purzelbäume schlagen kann.
Ein Polizist erschien und warnte mich vor einer Fortsetzung der nächtlichen Ruhestörung. Rasch umarmte ich ihn und küsste ihn auf beide Backen.
„Dreieinhalb Kilo“, brüllte ich ihm ins Ohr. „Dreieinhalb Kilo!“
„Maseltow!“, rief der Polizist. „Gratuliere!“
Und er zeigte mir ein Foto seiner kleinen Tochter.
aus: „Kishon’s beste Familiengeschichten“
Der Polizist reagiert bei Kishon menschlich und ist sofort ein Verbündeter. Diese und andere Geschichten zeigen anekdotisch das Leben innerhalb der jüdischen Gesellschaft im Tel Aviv der 60er-Jahre. Allerdings tun sie das so beiläufig und mit einer Selbstverständlichkeit, dass das Jüdischsein an sich nie zum vordergründigen Thema wird.
Kishon hat nie jemanden angeklagt
Nie werden Kishons Leser gezwungen, eine Haltung zum Inhalt einzunehmen, schon gar nicht zum Holocaust oder anderen unangenehmen Themen. Dass Kishon 1945 nur knapp der Deportation entfliehen konnte und viele seiner Verwandten den Nazis zum Opfer fielen: aus den Familiengeschichten hätte es niemand erfahren.
Und so wurde Kishon zum jüdischen Botschafter der guten Laune. Nach seiner Emigration nach Israel bestimmten Nebensächlichkeiten seinen Alltag und damit auch seine literarischen Werke, die wir hierzulande kennen.
Ehrlicher Humor, der Grenzen überwand
Mit „Drehn Sie sich um, Frau Lot!“ startete Ephraim Kishon 1961 seine literarische Karriere im deutschsprachigen Raum. Sein hier erstmals erschienener satirischer Blick auf die moderne jüdische Gesellschaft und Familie waren sofort erfolgreich und ebneten ihm den Weg für eine jahrzehntelange Karriere als Bestsellerautor.
Wie die Suche nach einem Rassehund (sic!), bei der sich Kishon eine dahergelaufene Promenadenmischung andrehen lässt. Oder die Eröffnung des ersten Supermarktes in Tel Aviv, „einem weiteren Zeichen unserer kulturellen Verbundenheit mit dem Westen.“ Die Literaturwissenschaftlerin Birgit Körner sagte dem Portal evangelisch.de über Kishon:
„Es gab diese Idee, man konnte endlich wieder mit Juden zusammen lachen. Wo man sich fragt: Gab es überhaupt eine Zeit, wo das der Fall war? Wieso wollte man gerade lachen mit Juden nach 1945? Es passt sehr gut in diese Wirtschaftswunderzeit.“
Nach dem Krieg aus Deutschland verschwunden: Jüdischer Humor
Möglicherweise gab es in Deutschland auch eine regelrechte Sehnsucht nach jüdischem Humor. So antwortete der Schauspieler und Komiker Robin Williams nach eigenen Angaben in einer deutschen Talkshow auf die Frage, wieso es in Deutschland nicht so viel Comedy gebe, folgendes: „Did you ever think you killed all the funny people?“
Und so bleiben Kishons Geschichten auch heute noch lesenswert, nicht nur als Blick in eine längst vergangene Epoche des Aufbruchs in eine scheinbare Unbeschwertheit. Auch im Vergleich zu heute war die Lage der Gesellschaft in Israel, die Kishon mit so viel Geist und Wortwitz beschreibt, eine durchaus düstere.
Mit dem Sechs-Tage-Krieg und später dem Jom-Kippur-Konflikt und dem Terroranschlag von Olympia 1972 war die Lage mindestens genauso bedrohlich wie heute. So sehr, dass Kishon seinen Lesern noch immer Respekt abnötigt: Ihm gelingt es, trotz dunkler Vergangenheit, bedrohlicher Gegenwart und ungewisser Zukunft, seinen typisch jüdischen Humor zu behalten.