Er war ein Provokateur, aber auch ein Visionär: Der deutsche Designer Luigi Colani. Seine bunte Welt war rund – organische, fließende Formen statt Kanten und rechten Winkeln. Viele seiner futuristischen Entwürfe haben heute Kultstatus. Ob Kugelschreiber, Lastwagen wie Raumschiffe oder Fernseher – seine enorme Bandbreite zeigt jetzt die Ausstellung „Luigi Colani. Popstar des Designs“ in der Stihl Galerie in Waiblingen.
Urinal, futuristisches Motorrad, Kindernachttopf – Colanis Werk ist bunt und vielfältig
Eine hellblaue geschwungene Keramikskulptur, die sich bei genauerem Hinsehen als Urinal entpuppt, direkt neben einer Weltrekord-Maschine – einem futuristischen Motorrad – oder einem Kindernachttopf. Der Ausstellungsraum der Stihl Galerie in Waiblingen zeigt, wie vielfältig das Werk von Lutz alias Luigi Colani war. Rund und bunt sind fast alle Ausstellungsstücke – zu seiner Zeit ein Novum.
„Der Designdiskurs in Deutschland ist sehr stark vom Bauhaus geprägt, und das Bauhaus ist relativ minimalistisch und gradlinig, um es reduziert auszudrücken“, sagt Kuratorin Mirjam Kreber. „Und das steht natürlich dem total entgegen, was Colani produziert hat. Er hat organische, fließende Formen verwendet und eckige Kanten und rechte Winkel total abgelehnt. Das war etwas ganz Neues.“
Auftrumpfende dreidimensionale Stücke, aber auch Zeichnungen und Skizzen
Colani wird in Berlin groß, sein Vater arbeitet beim Film, die Mutter am Theater. Die Eltern geben dem Sohn kein Spielzeug, er soll es sich selbst basteln. Später studiert Luigi Colani Bildhauerei und Malerei, später Aerodynamik in Paris.
Die Ausstellung trumpft mit vielen dreidimensionalen Stücken eines Berliner Sammlers auf – unter anderem das aufsehenerregende Cabrio Colani GT mit Kunststoff Karosserie – Kunst auf Rädern mit 44 PS. Doch eigentlich ist die Stihl Galerie auf Papierwerke spezialisiert. Und so stehen auch seine Skizzen im Fokus. Sie zeigen: Colani war ein erstklassiger Zeichner.
So sind in der Ausstellung immer wieder Blätter der Zeichnungen-Sammlung „YLEM“ zu sehen, die zum Teil durch die Originalvorskizzen ergänzt werden. „Sie führen uns durch die Ausstellung und geben ein Backgroundwissen darüber, was Colani sich oft dachte“, erklärt Kuratorin Mirjam Kreber.
Colani spaltet die Kunst- und Designwelt
Stets in Weiß gekleidet, am liebsten mit Zigarre im Mund – Luigi Colani spaltet zu seiner Zeit die Kunst- und Designwelt. Die einen halten ihn für ein Universalgenie, einen Visionär und ein Marketingtalent, die anderen bezeichnen ihn als provokationssüchtigen Superspinner, der Ideen wie am Fließband spuckt, und: als Marketingtalent.
Ohne Frage: Der selbsternannte Formphilosoph Colani versteht es mit seinen markigen Sprüchen im Gespräch zu bleiben. Dauerbrenner wie: „Das Bauhaus ist out. Outer geht’s gar nicht mehr.“ Oder: „Jedes Spinnennetz ist eine Offenbarung gegenüber dem, was an Architektur heute gemacht wird“ hallen bis heute nach.
Griffe zum Wegwerfen – Colanis Kritik an einem Automodell
Sein provokantes Auftreten machte auch vor der Industrie nicht Halt. Immer wieder kritisierte er auch die Automobilindustrie, wie Mirjam Kreber erzählt: „Wir haben hier die Darstellung eines Korrekturversuchs eines Mercedes, der in den 1970er-Jahren auf einer Messe ausgestellt wurde. Und Colani zeigt seinen Gegenentwurf.“
Die Griffe seien zum Wegwerfen – so Colanis Urteil zu dem Entwurf des Autobauers – das aerodynamische Heck sei nur vorgetäuscht. Solche Aktionen lockten natürlich nicht alle großen Marken, mit ihm zusammenzuarbeiten. Etwa 70 Prozent seiner Entwürfe blieben Skizzen in der Schublade, erklärte er einmal. Er war seiner Zeit voraus, sagen heute viele über seine Visionen.
Colani bedachte alle Lebensbereiche des Menschen
In der Ausstellung fällt auf, dass manches davon sich heute durchgesetzt hat oder andere seiner Ideen gerade im Kommen sind, wie Mirjam Kreber erklärt. So hatte Colani schon 1971 ein elektrisch angetriebenes Stadtauto entworfen.
In seinen Entwürfen bedachte er alle Lebensbereiche des Menschen – ob es bequeme Bürostühle für Sekretärinnen sind oder große Sofalandschaften, die neue Formen der Gemeinschaft anregen sollen.
Es ging um mehr als „nur“ Design, erklärt Kuratorin Mirjam Kreber: „Es war durchaus eine Gesellschaftsvision. Es ging ihm nicht darum, für eine bestimmte Schicht zu produzieren, für die finanziell Gutgestellten, sondern jeden zu erreichen und das Leben zu verbessern“
Colani wollte mit seinen umstrittenen Designs nichts weniger als die Welt verändern. Manchmal lag er dabei komplett daneben, zum Beispiel als sein Ruderboot für den Olympia-Achter vor versammelter Presse absoff. Und dennoch: wer heute seine Skizzen anschaut, stellt fest: Sie bleiben ikonisch. Ganz egal, ob die Idee letztendlich ein grandioser Flop war.
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