Kunst von vor 40.000 Jahren und von heute

Im Dialog mit der Kunst der Eiszeit: „Eiszeitwesen“ im Urgeschichtlichen Museum

Stand
Autor/in
Catharina Straß
Catharina Straß
Onlinefassung
Dominic Konrad

Im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren befindet sich die älteste Kunst der Menschheitsgeschichte, darunter Höhlenmalereien und die Venus vom Hohle Fels. Von dieser Kunst haben sich zehn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler inspirieren lassen. Herausgekommen sind ganz unterschiedliche Werke, die in spannenden Dialog mit der Eiszeitkunst treten.

Moderne Kunst im Dialog mit Werken der Eiszeit

Ein tiefroter Raum, in dessen Mitte eine beleuchtete Glasvitrine steht. In ihr befindet sich das Kostbarste, was das Urgeschichtliche Museum in Blaubeuren besitzt: Die 40.000 Jahre alte Venus vom Hohle Fels, eine winzige Frauenstatuette aus Mammut-Elfenbein.

Aus den Ecken des Raumes wird sie nun beschützt von Fruchtbarkeitsgottheiten aus Bronze. Die eine sieht aus wie ein prall aufgeblasenes Luftkissen, die andere wie ein überdimensionaler Kegel mit Schmollmund.

Dazu haben Fabian Vogler die prähistorischen Funde inspiriert: „Ich sehe die Skulptur als eine Zeitkapsel. Und was das bedeutet für ein soziales Gefüge, wenn man die Formen der Venus vom Hohle Fels sieht. Diesen Deutungsspielraum finde ich faszinierend.“

Bertram Bartl, Idole, Eiöltempera auf Leinwand
Bertram Bartl, Idole, Eiöltempera auf Leinwand.

Neuer Zugang durch Kunstschaffende

Mit ihren üppigen Brüsten und der deutlich sichtbaren Vulva steht die Venus vom Hohle Fels für Weiblichkeit und Sexualität in der prähistorischen Zeit. Die Beziehung zwischen ihr, der frühesten bekannten menschlichen Darstellung, und Voglers Wächterfiguren ist dabei entscheidend, erklärt Museumsdirektorin Stefanie Kölbl. 

„Für uns ist es eigentlich immer die Frage, wie wir einen Zugang zu diesen Kunstwerken finden“, so Kölbl. „Wir können rein wissenschaftlich auf ein Objekt gucken – und dann ist natürlich der Blick des Kunstschaffenden ein ganz wichtiger Baustein, um auf Verbindungen, die da entstehen, zu schauen.“ 

Lisa Moll, biss, Gips
Lisa Moll, biss, Gips.

Archaische Motive als Inspiration

Diesen Paradigmenwechsel – weg vom archäologischen Blick auf die Eiszeitkunst und hin zu einem offenen, zeitgenössischen – will das Museum mit Positionen internationaler Gegenwartskünstlerinnen und -künstler deutlich machen. Sie haben sich von den archaischen Motiven der frühen Jäger und Sammler inspirieren lassen.

Während das Duo Vestandpage in einem Film erforscht, inwieweit Eiszeitkultur heute noch ein Teil von uns ist und warum sie uns dennoch fremd bleibt, erinnern die Radierungen mit Jagdmotiven von Jürgen Mack an Höhlenmalerei aus der Steinzeit. Urzeitliche Zeichnungen, die auch Ule Ewelt faszinieren. In ihren Tonfiguren steht die Beziehung zwischen dem urzeitlichen Menschen und der Tierwelt im Vordergrund.

Abi Shek, Berthold Müller-Oerlinghausen, Jüngling, Männlichkeit, Mensch
Abi Shek, Berthold Müller-Oerlinghausen, Jüngling, Männlichkeit, Mensch.

„Ein ganz hoher Abstraktionsgrad, nach dem man als Künstler lange suchen kann.“

„Ich finde, dass diese Künstler mit nur wenigen Strichen das innere Wesen der Tiere erfassen konnten“, sagt Ule Ewelt. „Man weiß sofort, wie das Tier tickt und wie es sich bewegt, obwohl es eigentlich nur ein einziger Strich ist. Das ist ein ganz hoher Abstraktionsgrad, nach dem man als Künstler lange, lange suchen kann.“

Entsprechend abstrakt sind auch die keramischen Tierplastiken Ewelts: Ein Bison schwebt auf dünnen Metallstehlen, ein Bär schläft in einer Nische im Museum, während ein anderer mit weit aufgerissenem Maul den Betrachter bedroht. Mit ihren mal rötlich-braunen, mal schwarzen Farben und den brüchigen Oberflächen wirken sie, als ob sie der Archäologe gerade erst ausgegraben hätte.

Die Ausstellung zeigt, wie sehr der Mensch immer schon den Drang hatte, seine Umwelt kreativ zu verarbeiten und sie mit tieferem Sinn aufzuladen. Kunst als Ausdruck des Daseins und als Ursprache. Künstler Fabian Vogler ist überzeugt: Das Kreieren und Erschaffen ist ein Grundimpuls des Menschseins: „Das spüre ich jeden Morgen, wenn ich die Augen aufschlage, dass da ein Funke ist, der dann beginnt zu glühen. Und ich glaube, das wohnt uns allen inne.“

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