Drei Jahre lang hat die bekannte österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann eine Grundschulklasse im Wiener Bezirk Favoriten begleitet. Herausgekommen ist ein empathischer Film über eine engagierte Lehrerin und aufgeweckte Kinder, die vom Bildungssystem gleichermaßen im Stich gelassen werden.
Im Stich gelassene Lehrer
Das Schuljahr geht ja gut los: Sprachförderung findet nicht statt, die Schulpsychologin hört auf und die Schulsozialarbeiterin wechselt an eine andere Schule. Nach den Eröffnungen des Direktors ist klar: Die Lehrer sind auf sich allein gestellt. Was schon per se herausfordernd wäre, gilt für die Schule im Bezirk Favoriten umso mehr. Keines der Kinder in dieser zweiten Klasse spricht zu Hause Deutsch. Es mangelt am Basis-Wortschatz.
Dass die Sache hier trotzdem einigermaßen rund läuft, liegt an der engagierten jungen Lehrerin Ilkay Idiskut, selbst mit türkischem Migrationshintergrund. Sie bringt den Kindern nicht nur den Lernstoff bei. Sie ist auch Sozialarbeiterin und kulturelle Vermittlerin. Wie bei der Diskussion, ob Mädchen im Schwimmbad einen Bikini tragen dürfen. Da haben manche der muslimischen Jungs so ihre Zweifel.
Kinder interviewen sich gegenseitig
Drei Jahre lang, von der zweiten bis zur vierten Klasse, hat die bekannte österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann die 28 Kinder in ihrem Schulalltag begleitet. Sie beobachtet sie im Klassenzimmer und bei Ausflügen, ist dabei, wenn sie lernen, spielen oder Konflikte klären. Zwischendurch drückt sie ihnen auch selbst ein Handy in die Hand, damit sie sich gegenseitig interviewen können. Das Gefühl, unter sich zu sein, sorgt für erfrischend offene Antworten.
Marodes und zutiefst ungerechtes Bildungssystem
Es sind zweifellos aufgeweckte Kinder, in denen jede Menge Potential schlummert. Doch ob sich dieses je entfalten kann, ist fraglich. Unter der heiteren Oberfläche des Mikrokosmos Klassenraum zeigt Beckermann die Verwerfungen eines maroden und zutiefst ungerechten Bildungssystems.
Bildungsverlierer schon bei der Einschulung
Kinder, die von den Eltern keine Unterstützung bekommen, stehen mit ihrem Sprachdefizit alleine da. Damit werden sie im Grunde schon mit der Einschulung zu Bildungsverlierern gestempelt. Aufs Gymnasium werden es trotz aller Anstrengung nur die wenigsten schaffen. Szenen mit weinkrampfgeschüttelten Kindern lassen einen an der Sinnhaftigkeit des frühen Aussortierens und dieser Form des benoteten Lernens zweifeln.
Empathische Doku zeigt Schule als wichtigen sozialen Ort
Trotz aller Defizite des Bildungssystems zeigt die empathische Doku „Favoriten“ Schule zugleich als wichtigen sozialen Ort. Für manche Kinder dürfte es die einzige Möglichkeit sein, moderne Rollenbilder zu erleben und Antworten auf ihre Fragen über die Welt zu bekommen. Ein Film, ebenso herzerwärmend wie herzzerreißend. Und ein Appell an die Politik, Bildung als Investition in die Zukunft endlich ernst zu nehmen.
Trailer „Favoriten“, ab 19.9. im Kino
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