Über Jahrhunderte wurden Leistungen von Frauen systematisch ignoriert oder Männern zugeschrieben, auch die von Komponistinnen. In ihrem Regiedebüt „Gloria!“ erzählt Regisseurin Margherita Vicario von einer Gruppe junger Musikerinnen im 18. Jahrhundert, deren Talent lange unentdeckt bleibt und sich dann Bahn bricht. Dabei überrascht der Film mit einer steilen These.
Die Entdeckung des Klaviers
Könnte es sein, dass die Popmusik bereits um das Jahr 1800 erfunden wurde? In einem Lagerraum einer italienischen Provinzkirche? Vielleicht von einer Gruppe junger Frauen, die dort ein neuartiges Instrument finden und ein bisschen darauf herumprobieren?
Die Entdeckung des Klaviers ist der Ausgangspunkt für Margherita Vicarios märchenartige Geschichte von weiblicher Selbstbehauptung und Kreativität. Den gezielten Anachronismus der Popmusik bettet die Regisseurin in einen verbürgten historischen Kontext ein, den sie mit großer Liebe zum Detail ausgestaltet.
Mädchen als unsichtbare Musikerinnen in der Kirche
Die fünf Protagonistinnen leben in einem der venezianischen Ospedali, speziellen Waisenhäusern der Kirche. Die mittellosen Mädchen, die dort aufwuchsen, bekamen eine hervorragende musikalische Ausbildung. Diese diente allerdings einzig der Gestaltung der Gottesdienste. Verborgen hinter Vorhängen oder Eisenstäben kamen sie dort als Chormädchen und als Orchestermusikerinnen zum Einsatz.
„Gloria!“ verhilft diesen unsichtbaren und vergessenen Musikerinnen zu neuer Sichtbarkeit. Ihr Talent könnte der alte Kapellmeister Perlina gut gebrauchen: Anlässlich eines anstehenden Papstbesuches in seiner Gemeinde soll er ein Konzert schreiben, doch es will ihm nichts einfallen.
Singer-Songwriterinnen machen sich frei von Kompositionsregeln
Bei Tag unterwerfen sich die jungen Frauen also weiter dem Diktat Perlinas und fiedeln dessen uninspirierte Kirchenmusik runter. Nachts jedoch entwickeln sie sich am Klavier zu Singer-Songwriterinnen.
Frei von akademischen Kompositionsregeln entdecken sie den jazzigen Beat gegen den Takt und fangen an, in den Songs ihre eigenen Gefühle auszudrücken. Regisseurin Margherita Vicario versprüht großen Enthusiasmus und lässt „Gloria!“ in einer mitreißenden Feier der Musik gipfeln.
„Gloria!“ bleibt oft in den Konventionen des Kostümfilms stecken
Bis es zu diesem unerwartet anarchischen Finale kommt, bleibt der Film allerdings oft in den Konventionen des Kostümfilms stecken. Was die Mädchen erleben, besteht aus stereotypen Versatzstücken, darunter ein Selbstmordversuch aus Liebeskummer, eine vertuschte Vergewaltigung samt Kindesentzug und eine drohenden Zwangsheirat mit einem Greis.
Auch die Art, wie die jungen Frauen inszeniert werden, mit errötenden Wangen, großen staunenden Augen und bebenden Dekolletés, wirkt für eine Geschichte, die doch von weiblicher Revolution erzählt, reichlich angestaubt.
Powerballaden aus dem 18. Jahrhundert sorgen für gute Laune
Dennoch entfaltet der Film Charme und bringt gute Laune. „Gloria!“ glaubt so fest an die befreiende Kraft der Musik, dass man am Ende fast alles für möglich hält. Sogar dass unter den Musikstücken der vergessenen Komponistinnen vergangener Epochen die eine oder andere Powerballade gewesen sein könnte.
Trailer „Gloria!“, ab 29.8. im Kino
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