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Dokumentarfilm „Total Trust“: Das Leben im Überwachungsstaat China

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Autor/in
Steffen Wurzel

Chang Weiping ist ein Bürgerrechtler, der von Chinas Staats- und Parteiführung festgehalten wird. Im Dokumentarfilm „Total Trust“ erzählt die im US-Exil lebende Regisseurin Zhang Jialing seine Geschichte, sowie das Schicksal vieler Menschen in China, die sich kritisch äußern oder engagieren. Die Kamera ist jederzeit ganz nah dran an den Menschen, was für große Intimität sorgt, ohne voyeuristisch zu sein.

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Bedroht, unter Hausarrest gestellt, gefoltert und inhaftiert

Eine der stärksten und bewegendsten Szenen in „Total Trust“: Chen Zijuan steht gemeinsam mit ihrem Sohn Tutu vor einem Gefängnis irgendwo im ländlichen China. Wieder und wieder ruft sie verzweifelt den Namen ihres Ehemannes: „Chang Weiping! Ich weiß gar nicht, ob Du überhaupt noch lebst“, schluchzt sie vor den Gefängnismauern. Betreten darf sie die Haftanstalt, in der sie ihren Ehemann Chang Weiping vermutet, aus fadenscheinigen Gründen nicht.

Warum Chang Weiping von Chinas Staats- und Parteiführung festgehalten wird, erfährt man im Film nur indirekt. Der 39-jährige Bürgerrechtler setzte sich in seinem Heimatland in den vergangenen Jahren immer wieder für die Rechte von Arbeitern ein; außerdem für Frauen, die sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren und für das, was es laut Chinas Verfassung eigentlich geben sollte in dem Land: Rechtsstaatlichkeit.

Von Chinas Staatssicherheitsbehörden wurde Chang Weiping deswegen bedroht, unter Hausarrest gestellt, gefoltert und schließlich inhaftiert. Der schwammige Vorwurf: Chang habe versucht, die Staatsgewalt zu untergraben. 

Filmstills aus der Dokumentation "Total Trust"
Chang Weipings Familie kämpft für Gerechtigkeit: Seine Frau Chen Zijuan und der Sohn Tutu fordern Changs Freiheit.

Chang Weiping beschreibt Foltermethoden in einem Videotagebuch

Der Film stellt Chang Weiping und sein Schicksal mit einigen Aufnahmen aus seinem Videotagebuch vor, das er während seiner Zeit im Hausarrest geführt hat und in dem er unter anderem die Foltermethoden der chinesischen Staatssicherheitsbeamten beschreibt. 

Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen allerdings Changs Ehefrau, Chen Zijuan, und ihr Kampf für die Freiheit ihres Mannes. „Total Trust“ zeigt, wie Chinas Staats- und Parteiführung ihr das Leben zur Hölle macht. Ähnlich geht es einer kritischen Journalistin und einem Bürgerrechtsanwalt und seiner Familie, die der Film ebenfalls begleitet. 

Die Protagonisten des Films teilen das Schicksal vieler Menschen in China, die sich kritisch äußern oder engagieren: Sie werden vom Staat durch Mafia-Methoden wie Einschüchtern und Drohungen behelligt, außerdem durch digitale Mittel wie elektronische Komplett-Überwachung und Online-Zensur. 

Filmstills aus der Dokumentation "Total Trust"
China ist derzeit das am stärksten überwachte Land der Welt. Die Hälfte aller Überwachungskameras sind hier installiert, neue Technologien durchdringen und kontrollieren das tägliche Leben der Bürger*innen.

Wer aneckt, wird mundtot gemacht oder eingesperrt

Als Chen Zijuan auf ihrem chinesischen Social-Media-Account ein kurzes Video und einen Text über das Schicksal ihres inhaftierten Ehemannes postet, rechnet sie schon vor dem Absenden fest damit, dass der Online-Eintrag – wie üblich – innerhalb weniger Minuten automatisch gelöscht wird. „Mal sehen, wie lange das diesmal online bleibt,“ sagt Chen nüchtern, als sie auf den Senden-Knopf in ihrer Smartphone-App drückt. 

Der Film zeigt anschaulich: So lange man sich in China systemkonform verhält, kann man ein weitgehend unbeschwertes und bequemes Leben in der Volksrepublik führen. Sobald man aber aneckt, wird man von der kommunistischen Staatsführung schikaniert, mundtot gemacht oder eingesperrt.

Sogar Freunde, Nachbarn und Angehörige kritischer Menschen bekommen die staatliche Verfolgung zu spüren. So etwa die Eltern des inhaftierten Bürgerrechtlers, die plötzlich eine Hightech-Überwachungskamera vor der Haustür haben.   

Filmstills aus der Dokumentation "Total Trust"
In „Total Trust“ geht es nur zweitrangig um Hightech-Kontrolle, gehackte Telefone und digitale Bewegungsprofile. Regisseurin Zhang Jialing beschreibt vielmehr den Alltag mutiger und bescheidener Menschen.

Die Kamera ist ganz nah dran an den Menschen

Anders als der Trailer und die Beschreibung des Films vermuten lassen, geht es in „Total Trust“ nur zweitrangig um Hightech-Kontrolle, gehackte Telefone und digitale Bewegungsprofile.

Die im US-Exil lebende chinesische Filmemacherin Zhang Jialing beschreibt in dem Dokumentarfilm vielmehr den Alltag mutiger und bescheidener Menschen, die etwas machen, für das sie in demokratisch regierten Ländern gelobt würden: Sie setzen sich für andere Menschen ein und engagieren sich für die Zivilgesellschaft.

Die Kamera ist jederzeit ganz nah dran an Chen und den anderen Frauen und Männern. Man sitzt quasi mit in der überwachten Wohnung oder im Auto auf der Fahrt zum Gefängnis. Das sorgt für große Intimität, ohne voyeuristisch zu sein. 

Unvergleichbare Überwachungsmethoden in China

Zhang Jialings Film arbeitet mit Untertiteln, ohne Synchronisation. Das macht den Film authentisch. Die großen Helden von „Total Trust“ sind – neben den Protagonisten vor der  Kamera – die vielen Helferinnen und Helfer, die das Filmmaterial in China verdeckt gedreht und außer Landes gebracht haben. Sie bleiben anonym. Kämen ihre Namen ans Licht, drohte auch ihnen Gängelung und Haft. 

Verstörend ist, dass im Begleitmaterial des Films der Eindruck erweckt wird, dass Chinas staatliche digitale Massenüberwachung zunehmend vergleichbar sei mit dem Alltag bei uns in Deutschland, beziehungsweise in Großbritannien, Frankreich oder den USA. Die entmenschlichten und unrechtsstaatlichen Überwachungsmethoden der chinesischen Staats- und Parteiführung mit der Situation in liberalen Demokratien zu vergleichen, ist allerdings falsch, weil Unsinn.

Trailer zu „Total Trust“ – ab 5.10.23 im Kino:

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Unerhört – in China skandieren in mehreren Städten gleichzeitig Menschen „Nieder mit der KP“. Das hat in dieser Form wohl niemand kommen sehen. Und doch muss man sich fragen, wie nachhaltig dieser Protest sein kann. Welches Risiko gehen die Menschen in einem autoritären Überwachungsstaat ein, wenn sie ihre Kritik an den politischen Verhältnissen äußern? Werden sie es weiter eingehen, auch wenn sie persönliche Konsequenzen fürchten müssen?

Die Regierung streue Angst und Unsicherheit, sagt Christian Göbel. Der Professor für Sinologie erforscht an der Uni Wien Protestbewegungen in China. Technisch sei nun mal alles möglich. Da sind Drohnen, die im Lockdown durch Häuserschluchten fliegen und Durchsagen verbreiten, erst der Anfang.

Eine dystopische Science-Fiction, die wir mit etwas Schauern näher kennenlernen. Aber wir hören auch, wie kreativ und ironisch einige Chinesen die Zensur umgehen – und was das alles mit Pu der Bär zu tun hat.

Habt ihr weitere Themen, die wir uns dringend anschauen sollten? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de.

Host: Max Knieriemen
Redaktion: Philine Sauvageot und Max Knieriemen

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