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Überwachungstechnik für Diktatoren – Wie die EU den Export bremsen will

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Autor/in
Thomas Kruchem
Thomas Kruchem
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

EU-Unternehmen exportieren Überwachungstechnologie in autoritär regierte Länder. Die Europäische Polizeiakademie (CEPOL) bildet dafür die entsprechenden Sicherheitskräfte zum Ausspähen der Bevölkerung aus. Nach heftiger Kritik von Menschenrechtsorganisationen soll dies nun eine neu gestaltete EU-Verordnung, die den Export bestimmter Güter regelt, ändern. Doch diese Verordnung ist alles andere als verbindlich.

FaceReader erkennt Emotionen: Ist ein Pilot müde? Lügt ein Gefangener?

Das niederländische Unternehmen Noldus hat eine Software namens FaceReader entwickelt. Sie erkennt in einem Gesicht Gefühle: Glück zum Beispiel, Angst, Ärger, Ekel, Überraschung. Mit FaceReader kann man erkennen, ob ein Alzheimer-Patient unter Schmerzen leidet oder ob ein Pilot einen Schwächeanfall hat. Dieselbe Software erkennt aber auch, ob ein Regimegegner in einem Verhör lügt.

Noldus hat sein Programm zur Emotionserkennung beispielsweise auch nach China geliefert, an die Universität von Xinjiang – in eine Region, wo Hunderttausende muslimische Uiguren in Umerziehungslagern interniert sind.

Exportbeschränkungen umgehen mit Dual-Use-Produkten

Möglich ist das, weil Produkte wie FaceReader keine Rüstungsgüter sind, für die es Exportbeschränkungen gibt. Es handelt sich vielmehr um Produkte, die zwar in Militär und Polizei zum Einsatz kommen können, sich aber genauso gut für zivile Zwecke nutzen lassen. Sie heißen deshalb Dual-Use-Produkte.

Die Entscheidung, ob ein Dual-Use-Produkt exportiert werden darf, ist im Einzelfall kompliziert; bei der Abwägung sind viele Aspekte zu beachten. Dass die Gefahr des Missbrauchs der Technik jedoch nicht zu unterschätzen ist, zeigen Erlebnisse von Überwachungsopfern. Den Arabischen Frühling beispielsweise, der 2011 so hoffnungsvoll begann, konnten fast alle Regierungen niederschlagen, weil ihnen Überwachungstechnik die nötigen Informationen lieferte.

Produzenten von Überwachungstechnik sitzen meist in USA, Israel und EU

Die Liste der Überwachungstechniken lässt sich fortführen: Trojaner, Sperrung von Internetseiten in einem Land, hochauflösende Kameras, die den öffentlichen Raum überwachen – und Gesichtserkennungstechnologie, die aus Millionen Menschen diejenigen herausfiltert, die interessant sein könnten für die Behörden.

Überwachungstechnik sei heute ein Must-buy für Diktatoren weltweit, meint Stéphane Chardon, leitender Exportkontrolleur der EU-Kommission. EDV-gestützte Überwachungstechnik sei einfach effizienter, eleganter und billiger als Tränengas, Wasserwerfer oder Spitzel. Technik, die vor zehn Jahren nur wenigen Geheimdiensten zugänglich war, nutzen darum laut Chardon heute zahllose Akteure weltweit.

Handyfoto von Demonstration im syrischen Aleppo aus dem Jahr 2013: Den Arabischen Frühling konnten fast alle Regierungen niederschlagen, weil ihnen Überwachungstechnik die nötigen Informationen lieferte
Handyfoto von Demonstration im syrischen Aleppo aus dem Jahr 2013: Den Arabischen Frühling konnten fast alle Regierungen niederschlagen, weil ihnen Überwachungstechnik die nötigen Informationen lieferte

Insbesondere Gesichtserkennungstechnologie ist gefragt. Nach einer Schätzung des Online-Portals „Markets and Markets“ dürfte der Umsatz damit von 3,8 Milliarden US-Dollar 2020 auf 8,5 Milliarden Dollar 2025 steigen. Die meisten Produzenten dieser und anderer Überwachungstechnik sitzen in den USA, Israel und der EU.

Das wohl bekannteste deutsche Produkt ist der Trojaner Finspy des Münchener Unternehmens FinFisher. Finspy wurde in fast allen arabischen Ländern und der Türkei gefunden. Weil es an den nötigen Ausfuhrgenehmigungen fehlt, ermittelt seit 2019 die Staatsanwaltschaft.

Neue Dual-Use-Verordnung der EU: alles andere als verbindlich

Das Wassenaar-Abkommen, das den Handel mit Dual-Use-Gütern regelt, komme der rasanten Entwicklung gerade bei der Überwachungstechnik überhaupt nicht hinterher, so Lena Rohrbach, Expertin für Überwachungstechnik bei Amnesty International. Nach langem Drängen von Menschenrechtsorganisationen und Europaparlament machte die EU-Kommission 2016 einen Vorstoß, die Dual-Use-Verordnung der EU grundlegend zu reformieren. Vier Jahre stritten anschließend die Mitgliedsstaaten; sie verteidigten Souveränitätsrechte und Wirtschaftsinteressen; etliche Staaten wollten um keinen Preis ihre Entscheidungsmacht über die Exportkontrolle abtreten an die EU.

Im November 2020 einigten sich die Mitgliedsstaaten schließlich; noch vor dem Sommer 2021 soll die reformierte Dual-Use-Verordnung in Kraft treten. Geplant ist eine von globalen Abkommen unabhängige Watchlist der EU. Diese Liste ist allerdings höchst unverbindlich: Damit ein Gut überhaupt gelistet wird, muss zunächst ein EU-Staat Exportkontrollen dafür einführen. Und nur wenn dann kein anderer Staat widerspricht, kommt das Produkt auf die Watchlist. Eine enttäuschende Regelung aus Sicht von Amnesty-Expertin Lena Rohrbach. Hinzu kommt: Selbst wenn eine Überwachungstechnologie auf die EU-Kontrollliste kommt, entscheidet immer noch jedes einzelne Land, ob es eine Exportgenehmigung erteilt oder nicht.

Offizielle Einweihung des Hauptquartiers von CEPOL, der Europäischen Polizeiakademie, in Budapest 2014 durch den ungarischen Innenminister Sándor Pintér. CEPOL schult Sicherheitskräfte in autoritär regierten Ländern
Offizielle Einweihung des Hauptquartiers von CEPOL, der Europäischen Polizeiakademie, in Budapest 2014 durch den ungarischen Innenminister Sándor Pintér. CEPOL schult Sicherheitskräfte in autoritär regierten Ländern

Entwicklungshilfe finanziert Überwachungstechnik der EU

CEPOL, die Europäische Polizeiakademie mit Hauptquartier in Budapest, bildet EU-Polizisten aus, schult jedoch auch – im EU-Auftrag – Sicherheitskräfte in autoritär regierten Ländern. Sie lernen von deutschen, österreichischen oder spanischen Polizisten, wie man Menschen, Organisationen und die Bevölkerung eines ganzen Landes überwacht. Dies dokumentiert die britische Menschenrechtsorganisation Privacy International in einem Ende 2020 vorgelegten Bericht.

Die aufgedeckten Vorgänge konterkarieren sämtliche EU-Bemühungen um die Begrenzung kommerzieller Überwachungsexporte, meint der verantwortliche Mitarbeiter von Privacy International, Edin Omanovic. Die EU liefert zudem den Grenzschutzbehörden der betreffenden Länder modernste Überwachungstechnik; Systeme biometrischer Massenüberwachung, die die Daten von Millionen Menschen speichern können. Bezahlt wird die EU-Polizeihilfe für autoritär regierte Staaten unter anderem aus einem gut ausgestatteten EU-Finanztopf mit dem wohlklingenden Namen EU Trust Fund for Africa. Ein Fonds, der eigentlich dafür gedacht ist, mit Entwicklungshilfe die Ursachen von Terrorismus und illegaler Migration zu bekämpfen.

Das ernüchternde Fazit: Das Verhalten der EU in Sachen "Überwachungstechnik für Diktatoren“ bleibt geprägt von Widersprüchen, Inkonsequenz und mangelnder Glaubwürdigkeit. Daran dürfte die neue Dual-Use-Verordnung wenig ändern. Die EU ist da allerdings keine Ausnahme: Auch andere Staaten kontrollieren den Export von Überwachungstechnologie kaum.

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