Die Duschszene in „Psycho“: genial inszeniert und traumatisierend
Die junge Sekretärin Marion Crane ist auf der Flucht. Um ihren Freund heiraten zu können, hat sie von ihrem Arbeitgeber 40.000 Dollar unterschlagen. In einem Motel findet sie Unterschlupf. Es wird ihre letzte Nacht, denn als sie sich unter der Dusche von ihrer Schuld reinwaschen will, wird sie das Opfer eines grausamen Mordes.
Die Duschszene in „Psycho“ gehört zu den berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. Regisseur Alfred Hitchcock inszeniert den brutalen Tod seiner Hauptfigur meisterhaft: der Schatten des Täters, der Schock im Gesicht des Opfers, das Messer, das auf den nackten Frauenkörper einsticht, das Blut, das in den Abfluss rinnt, der leere Blick der Leiche in der Badewanne – dazu die ikonischen kreischenden Geigen.
Janet Leigh, die Schauspielerin hinter Marion Crane, erhielt für ihren kurzen Auftritt in „Psycho“ den Golden Globe. Die Szene ging ihr selbst beim Zuschauen unter die Haut: „Ich dusche immer in Richtung Tür und habe sie im Blick, egal wo der Duschkopf ist“, erzählte sie 1984 in einem Interview mit Woman's World.
Fetischisiertes Objekt: Die Hitchcock-Blondine
53 Kinofilme drehte Alfred Hitchcock im Lauf seiner Karriere, von den ersten Stummfilmen Anfang der 1920er-Jahre bis zu seinem letzten Film „Familiengrab“ im Jahr 1976. Hitchcock war ein Meister der Inszenierung und Selbstinszenierung. Sein Porträt hat sich durch die obligatorischen Cameo-Auftritte in seinen Filmen und dank seiner Fernsehreihe fest ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.
Auch bei seinen Hauptdarstellerinnen setzte Hitchcock auf eine besondere Inszenierung. Die „Hitchcock-Blondine“ ist bis heute fester Bestandteil des Mythos rund um den britischen Regisseur. Immer wieder besetzte er blonde oder blondierte Schauspielerinnen für seine Filme: Joan Fontaine, Ingrid Bergmann, Grace Kelly, Doris Day, Tippi Hedren, Kim Novak oder eben Janet Leigh in „Psycho“.
Hitchcock betrachte die Frauen in seinen Filmen dabei durch die Brille seiner männlichen, weißen Hauptfigur, schrieb die Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey in ihrem Essay „Visuelle Lust und narratives Kino“ (1975). So werde die Frau gerade in „Vertigo“ zum fetischisierten Objekt der Begierde, eine weibliche Betrachtungsweise lasse der Film gar nicht zu.
Machtspiele am Filmset
Janet Leigh erinnerte sich in späteren Interviews an die Dreharbeiten mit Hitchcock gerne zurück. Es ist eine Erfahrung, die nicht alle Hitchcock-Blondinen teilten: Mehrere Schauspielerinnen sprachen rückblickend über eine Zusammenarbeit, die aus heutiger Sicht als schwierig oder erniedrigend bezeichnet werden müsste.
Hitchcock versetzte seine Schauspielerinnen gerne in Bedrängnis, um ihnen die für seine Filme nötige Stimmung abzuringen. So beschrieb Joan Fontaine, der Hauptdarstellerin in „Rebecca“ (1941) in ihrer Autobiografie aus dem Jahr 1979, dass Hitchcock am Set eine „Teile-und Herrsche-Strategie“ verfolgt habe.
Über die Dauer des Drehs habe er sie von den anderen Darsteller*innen isoliert und habe ihr eingeredet, dass niemand mit ihr zusammenarbeiten wolle, insbesondere nicht ihr Filmpartner Laurence Olivier, der seine spätere Frau Vivien Leigh für die Hauptrolle favorisierte.
Die Rolle von Madeleine Carroll in „Die 39 Stufen“ (1935) erforderte es, dass sie an ihren Filmpartner Robert Donat gekettet wurde. Hitchcock ließ mehrfach die Schlüssel verschwinden. Die beiden Darsteller waren über Stunden aneinander gekettet, nicht einmal für Toilettenpausen wurden die Handschellen abgenommen. Donat wird später von seinem Biografen Kenneth Barrow wie folgt zitiert:
Insbesondere über Kim Novak, die in „Vertigo“ die Hauptrolle spielte, äußerte sich Hitchcock im Rückblick herablassend: „Die meisten Schauspieler sind dumme Kinder“, so der Regisseur in einem 1968 veröffentlichten Interview mit der italienischen Journalistin Oriana Fallaci, „man denke an Kim Novak. (...) Der einzige Grund, warum ich sie genommen habe, ist, weil Vera Miles schwanger war.“
Dass Novak für Hitchcock nur zweite Wahl war, soll er sie spüren lassen haben. Die Schauspielerin erinnerte sich in späteren Interviews an einen Regisseur, der ihr wiederholt das Gefühl gab, zu gewöhnlich für Hollywood zu sein, oder ihr nicht kommunizierte, was er über ihre Leistung denke.
Forum Der Mann, der uns das Fürchten lehrt – 125 Jahre Hitchcock
Michael Risel diskutiert mit
Prof. Dr. Franziska Heller, Medienwissenschaftlerin, Universität Halle-Wittenberg
Andrea Kirchhartz, Film-Übersetzerin, Hamburg
Rüdiger Suchsland, Filmkritiker
Hitchcocks Übergriffe beenden die Karriere von Tippi Hedren
Als besonders grausam beschreibt Tippi Hedren später ihre Erlebnisse mit Alfred Hitchcock. Hedren, die im Kultfilm „Die Vögel“ ihren Durchbruch hatte, musste einige Torturen über sich ergehen lassen, wie unter anderem Filmwissenschaftler Daniel Spoto in seiner Hitchcock-Biografie „Spellbound by Beauty“ (2013) beschreibt.
Eine Woche lang drehte Hitchcock etwa am großen Vogelangriff auf Hedrens Figur Melanie Daniels. Er ließ sie mit lebenden Vögeln bewerfen und die Tiere an Hedren festbinden. Nach den Dreharbeiten musste sie in ärztliche Betreuung.
Tippi Hedren selbst machte ihre Geschichte erst 2016, mehr als 50 Jahre nach der Arbeit mit Hitchcock und 36 Jahre nach dessen Tod, publik. Im Zuge der MeToo-Debatte erhob Hedren schließlich in ihrer Autobiografie schwerwiegende Vorwürfe gegen den Regisseur. Er habe versucht, sie mit Alkohol gefügig zu machen, habe sie am Set isoliert und ihr Obszönitäten zugeflüstert. Eines Tages habe er sich im Auto auf sie geworfen und versucht, sie zu küssen.
Über die Übergriffe schreibt Hedren: „Ich habe noch nie Details darüber erzählt und ich werde es auch jetzt nicht. Ich sage nur, dass er mich plötzlich packte und seine Hände auf mich legte. Es war sexuell, es war pervers und es war hässlich.“
Einen weiteren Film drehte Hedren nach dem Erfolg von „Die Vögel“ mit Hitchcock: „Marnie“. Am Set habe der Regisseur ihr offen sexuelle Angebote gemacht. Als sie ablehnte, habe er damit gedroht, ihre Karriere zu zerstören. Rückblickend schreibt Hedren:
Wie umgehen mit dem Vermächtnis von Hitchcock?
Nicht alle Hitchcock-Schauspielerinnen erinnerten sich ungern an die Zusammenarbeit mit Hitchcock zurück. Ingrid Bergman und Grace Kelly sprachen zeitlebens mit Hochachtung von dem Regisseur.
Auch das manipulative Gebaren Hitchcocks am Filmset wurde in Medien und Büchern lange Zeit als wirksames Mittel eines genialen Regisseurs relativiert, der mit Tricks und Kniffen das Beste aus seinen Hauptdarstellerinnen herauszuholen wusste. Heute würde ein vergleichbares Verhalten zu Recht öffentlich geahndet.
Hitchcocks Filme sind zeitlose Klassiker und zählen zu den bedeutendsten Werken der Filmgeschichte. Daran ändert auch die Kritik an den unterstellten persönlichen Verfehlungen nichts. So man den Aussagen Hedrens glaubt, ist der Mann Alfred Hitchcock angesichts der MeToo-Debatte allerdings neu zu bewerten.
Es ist immer ratsam, Künstler und Werk getrennt voneinander zu bewerten. Hitchcocks 125. Geburtstag ist dabei aber nicht nur ein Anlass, um sein filmisches Vermächtnis zu feiern, sondern auch, um an die ihm vorgeworfenen menschlichen Verfehlungen und deren Opfer zu erinnern.