Regisseur Alfred  Hitchcock (1899-1980) sitzt, die Arme auf die Rückenlehne seines Regiestuhls gelehnt, vor einer Filmkamera.

125 Jahre Alfred Hitchcock

Das übergriffige Filmgenie: Wie umgehen mit dem Vermächtnis von Alfred Hitchcock?

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Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Vor 125 Jahren wurde Alfred Hitchcock geboren. Mehr als 50 Kinofilme realisierte der britische Regisseur, viele wurden Klassiker der Filmgeschichte: „Vertigo“, „Die Vögel“ oder „Psycho“. So genial als Regisseur, so schwierig war sein Umgang mit den Leading Ladies. Zum Jubiläum stellt sich die Frage: Wie begeht man den 125. Geburtstag eines Filmgenies, das heute ein Fall für die MeToo-Bewegung wäre?

Promo-Shoot zu "Psycho": Schauspielerin Janet Leigh blickt über ihre Schulter hinter sicht. Das Gesicht ist zu einem Angstschrei verzerrt.
Nur 20 Minuten dauert der Auftritt von Janet Leigh in Hitchcocks berühmtestem Film „Psycho“. Mit geschickten Bildschnitten inszenierte der Regisseur ihre Ermordung.

Die Duschszene in „Psycho“: genial inszeniert und traumatisierend

Die junge Sekretärin Marion Crane ist auf der Flucht. Um ihren Freund heiraten zu können, hat sie von ihrem Arbeitgeber 40.000 Dollar unterschlagen. Auf der Flucht macht sie Rast in einem Motel. Es wird ihre letzte Nacht, denn als sie sich unter der Dusche von ihrer Schuld reinwaschen will, wird sie das Opfer eines grausamen Mordes.

Die Duschszene in „Psycho“ gehört zu den berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. Regisseur Alfred Hitchcock inszeniert den brutalen Tod seiner Hauptfigur meisterhaft: der Schatten des Täters, der Schock im Gesicht des Opfers, das Messer, das auf den nackten Frauenkörper einsticht, das Blut, das in den Abfluss rinnt, der leere Blick der Leiche in der Badewanne – dazu die ikonischen kreischenden Geigen.

Was man dabei nicht sieht: Für Janet Leigh, die Schauspielerin hinter Marion Crane, waren die Dreharbeiten für die Szene sehr belastend. Sie habe sich danach nicht mehr getraut zu duschen.

„Ich versichere mich, dass die Türen und Fenster im Haus geschlossen sind und ich lasse die Badezimmertür und den Duschvorhang offen“, erzählte sie 1984 in einem Interview. „Ich dusche immer in Richtung Tür und habe sie im Blick, egal wo der Duschkopf ist.“

Fetischisiertes Frauenbild: Die Hitchcock-Blondine

53 Kinofilme drehte Alfred Hitchcock im Lauf seiner Karriere, von den ersten Stummfilmen Anfang der 1920er-Jahre bis zu seinem letzten Film „Familiengrab“ im Jahr 1976. Hitchcock war ein Meister der Inszenierung und Selbstinszenierung. Sein Porträt hat sich durch die obligatorischen Cameo-Auftritte in seinen Filmen und dank seiner Fernsehreihe ins kollektive Gedächtnis gebrannt.

Auch bei seinen Hauptdarstellerinnen setzte Hitchcock auf besondere Inszenierung. Die „Hitchcock-Blondine“ ist bis heute fester Bestandteil des Hitchcock-Mythos. Immer wieder besetzte er blonde Schauspielerinnen für seine Filme oder ließ sie blondieren: Joan Fontaine, Ingrid Bergmann, Grace Kelly, Doris Day, Tippi Hedren, Kim Novak oder eben Janet Leigh in „Psycho“.

Filmszene aus "Vertigo": James Stewart küsst die Schauspielerin Kim Novak.
In „Vertigo“ verwandelt James Stewart die schöne Judy (Kim Novak) in das Ebenbild einer Frau, deren Selbstmord er zu sehen geglaubt hat. Wie Stewart im Film verwandelte Hitchcock die Schauspielerin mit pedantischer Präzision in eine der heute bekanntesten „hitchcock-Blondinen“.

Hitchcock betrachtet die Frauen in seinen Filmen dabei immer durch die Brille seiner männlichen, weißen Hauptfigur. Die Rollen schwanken dabei zwischen distanziert-kühl, geheimnisvoll oder unverhohlen sexy. Sie bleiben in aller Regel mehr fetischisierte Objekte der Begierde als tatsächlich komplexe Frauenfiguren.

Filmszene aus "Das Fenster zum Hof": Grace Kelly sitzt am Fenster, das in den Innenhof eines New Yorker Wohnkomplexes zegt. James Stewart blickt zu seiner Filmpartnerin hoch.
Unerreichtes Ideal: Mit Grace Kelly drehte Hitchcock die Filme „Das Fenster zum Hof“, „Bei Anruf Mord“ und „Über den Dächern von Nizza“. Dass die Schauspielerin nach ihrer Hochzeit mit Fürst Rainier von Monacco nicht für weitere Rollen zurückkehrte, verärgerte Hitchcock.

Sadistische Spielchen am Filmset

Nicht wenige der Schauspielerinnen sprachen rückblickend über die schwierige und erniedrigende Zusammenarbeit. Hitchcock versetzte seine Schauspielerinnen gerne in Bedrängnis, um ihnen die für seine Filme nötige Stimmung abzuringen.

So soll er Joan Fontaine, der Hauptdarstellerin in seinem Film „Rebecca“ (1941) über die Dauer des Drehs eingeredet haben, dass niemand am Set, insbesondere ihr Filmpartner Lawrence Olivier, mit ihr zusammenarbeiten wolle – niemand außer natürlich ihm selbst.

Szene aus "Rebecca": Mrs. de Winter (Joan Fontaine) blickt verängstigt aus dem Fenster. Sie wird bedrängt von der Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson).
In „Rebecca“ lebt eine junge Frau (Joan Fontaine) als zweite Ehefrau eines Witwers in ständiger Angst vor dem übergroßen Schatten der Verstorbenen. Befeuert werden die Zweifel durch die Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson).

Madeline Carroll, die in ihrer Hauptrolle in „Die 39 Stufen“ (1935) an ihren Filmpartner Richard Hannay gekettet wurde, durfte in ihren Filmpausen die Handschellen nicht abnehmen, nicht mal, um aufs Klo zu gehen.

Kim Novak, die in „Vertigo“ die Hauptrolle spielte, erinnerte sich, dass Hitchcock ihr während des Drehs wiederholt das Gefühl gab, zu gewöhnlich zu sein. Erst später fand sie heraus, dass er eigentlich die Schauspielerin Vera Miles für die Rolle favorisiert hatte und mit ihrer Wahl unzufrieden war.

Forum Der Mann, der uns das Fürchten lehrt – 125 Jahre Hitchcock

Michael Risel diskutiert mit
Prof. Dr. Franziska Heller, Medienwissenschaftlerin, Universität Halle-Wittenberg
Andrea Kirchhartz, Film-Übersetzerin, Hamburg
Rüdiger Suchsland, Filmkritiker

Forum SWR Kultur

Hitchcocks Übergriffe beenden die Karriere von Tippi Hedren

Besonders grausam trieb Hitchcock seine sadistischen Spielchen mit Tippi Hedren. Hedren, die im Kultfilm „Die Vögel“ ihren Durchbruch hatte, musste einige Torturen über sich ergehen lassen. Eine Woche lang drehte Hitchcock etwa am großen Vogelangriff auf ihre Figur Melanie. Er ließ dafür die Vögel an seiner Schauspielerin festbinden, nach den Dreharbeiten musste Hedren in ärztliche Betreuung.

Im Zuge der MeToo-Debatte erhob Hedren schließlich in ihrer Autobiografie schwerwiegende Vorwürfe gegen den Regisseur. Er habe versucht, sie mit Alkohol gefügig zu machen, habe sie am Set isoliert und ihr Obszönitäten zugeflüstert. Eines Tages habe er sich im Auto auf sie geworfen und versucht, sie zu küssen.

Szene aus "Die Vögel": Tippi Hedren flieht mit Kindern vor dem Angriff eines Schwarms Raben.
Beängstigende Dreharbeiten: Während dem Dreh zu „Die Vögel“ musste Schauspielerin Tippi Hedren reale Vogel-Attacken über sich ergehen lassen. Teilweise wurden die Vögel an ihren Kostümen festgebunden, um realistische Effekte zu erzielen.

Über die Übergriffe schreibt Hedren: „Ich habe noch nie Details darüber erzählt und ich werde es auch jetzt nicht. Ich sage nur, dass er mich plötzlich packte und seine Hände auf mich legte. Es war sexuell, es war pervers und es war hässlich.“

Noch einen weiteren Film drehte Hedren nach dem Erfolg von „Die Vögel“ mit Hitchcock: „Marnie“. Am Set habe der Regisseur ihr offen sexuelle Angebote gemacht. Als sie ablehnte, habe er damit gedroht, ihre Karriere zu zerstören. Rückblickend schreibt Hedren:

Er hat meine Karriere ruiniert, nicht mein Leben.

Wie umgehen mit dem Vermächtnis von Hitchcock?

Tippi Hedren machte ihre Geschichte erst 2016, mehr als 50 Jahre nach der Arbeit mit Hitchcock und 36 Jahre nach dessen Tod, publik. Sie ist die prominenteste, aber nicht die einzige Schauspielerin, bei der sein übergriffiges Verhalten dokumentiert wurde: Auch bei Eva Marie Saint, der Hauptdarstellerin in „Der unsichtbare Dritte“, sind ungewollte Küsse dokumentiert.

Publicity-Foto mit Tippi Hedren und Regisseur Alfred Hitchcock, ca. 1963.
Lange Jahre unterschied Tippi Hedren zwischen Hitchcock als genialem Regisseur und Privatmann, der sie zu sexuellen Handlungen zwingen wollte. 2016 brach die damals 86-Jährige in ihrer Autobiografie ihr Schweigen.

Lange Zeit wurden Hitchcocks psychische Spiele auch in Medien und Büchern als wirksame Einfälle eines genialen Regisseurs relativiert, der mit Kniffen das Beste aus seinen Hauptdarstellerinnen herauszuholen wusste. Heute würden sie zu Recht als Machtmissbrauch geahndet werden.

Trotz allem: Hitchcock Filme sind und bleiben ein wertvolles Stück Filmgeschichte, die auch heute zu Recht noch als solche Bestand haben. Der Mann Alfred Hitchcock aber stünde heute für sein Verhalten zu Recht in einer Reihe mit Harvey Weinstein, Bill Cosby oder Dieter Wedel.

Einmal mehr gilt es, Mann und Werk voneinander zu trennen. Hitchcocks 125. Geburtstag ist daher nicht nur Anlass, um sein filmisches Vermächtnis zu feiern, sondern auch, um an seine menschlichen Verfehlungen und deren Opfer zu erinnern.

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Diskussion Wie Hitchcock das Kino revolutionierte

Es diskutieren: Prof. Dr. Elisabeth Bronfen - Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, Andreas Kilb - Feuilleton-Korrespondent der FAZ, Dominik Graf - Film-Regisseur, Moderation: Max Bauer

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