125 Jahre Alfred Hitchcock

„Cocktail für eine Leiche“ – Hitchcocks Film über schwule Mörder und Nazi-Ideologien

Stand
Autor/in
Max Bauer

Als „Master of Suspense“ hat Alfred Hitchcock Meisterwerke der Filmgeschichte geschaffen, darunter „Vertigo“, „Die Vögel“ oder „Psycho“. Dabei unterwanderte der Brite immer wieder die filmischen und sozialen Konventionen seiner Zeit. Ein Beispiel: Sein Film „Cocktail für eine Leiche“ stellt zwei schwule Mörder in den Mittelpunkt und damit ein Thema, das in den 1940er-Jahren im Mainstream-Kino tabu war.

Die Studenten Phillip Morgan und Brandon Shaw begegnen einen Mord in "RopeCocktail für eine Leiche"
Für die Studenten Phillip (Farley Granger) und Brandon (John Dall) ist der vermeintlich perfekte Mord das Privileg einer auserwählten Elite.

Ein echter Mordfall als Vorbild

True-Crime-Grusel gab es bei Hitchcock eigentlich nie. Die Suspense, die Spannung, entstand bei ihm anders, meist aus den Konflikten klug erdachter Figuren. Doch der Film „Cocktail für eine Leiche“ (englischer Originaltitel: „Rope“) von 1948 hatte ein reales Vorbild im Mordfall um die Chicagoer Studenten Nathan Leopold und Richard Loeb.

Eine Cocktailparty mit einer Leiche in der Truhe

Der Film spielt in einem luxuriösen Penthouse in New York. Die Vorhänge vor den Panoramafenstern sind zugezogen, denn hinter diesen Vorhängen ermorden Brandon und Phillip ihren Freund David.

Anschließend verstecken sie David in eine Truhe im Wohnzimmer. Und genau auf dieser Truhe bauen sie dann das Büffet für eine Cocktailparty auf, zu der lauter Gäste eingeladen sind, die David nahestehen: sein Vater und seine Verlobte, die natürlich nicht wissen, dass seine Leiche in der Truhe liegt.

Cocktail Für Eine Leiche - Trailer

Der perfekte Mord als schöne Kunst betrachtet

Die makabere Inszenierung ist vor allem Brandons Werk. Er versteht den perfekten Mord als Kunstwerk. Hier erinnert Hitchcock an den Essay „Mord als schöne Kunst betrachtet“ des britischen Schriftstellers Thomas De Quincey (1785-1859), sagt Elisabeth Bronfen, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Zürich und an der New York University.

Für den Dandy Brandon stünden „Eleganz und Ritual“ im Vordergrund und er verstehe im Grunde gar nicht, „was es bedeutet, jemanden umzubringen“.

Das Gespräch mit Elisabeth Bronfen in voller Länge

Der Mord als Beweis für Nietzsches „Übermensch“

Brandon und Phillip wollen aber nicht nur einen Mord als Kunstwerk inszenieren. Sie wollen mit ihrer Tat auch Friedrich Nietzsches Theorie des Übermenschen beweisen. Der Mord ist für sie ein Privileg für wenige Auserwählte. Recht und Moral brauche es nur für die Gesellschaft der Durchschnittsmenschen.

Hitchcocks Film, der wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gedreht wurde, enthalte damit nachträglich einen Kommentar zum Nationalsozialismus, so Hitchcock-Expertin Bronfen.

Ein filmischer Kommentar zum Nationalsozialismus

Hitchcock war während des Zweiten Weltkriegs politisch engagiert, er machte Filme, die den Kampf gegen Nazi-Deutschland propagierten.

In „Cocktail für eine Leiche“ weise er darauf hin, wie die Politik im Nationalsozialismus als „Gesamtkunstwerk“ betrachteten wurde, erklärt Elisabeth Bronfen.

„Die Gedanken des Nationalsozialismus als eine Form von Gesamtkunstwerk, eine totale Gleichstellung von allen Aspekten einer Gesellschaft unter der Fantasie einer allen anderen überlegenen Rasse ist als Konzept ja wie die logische Konsequenz der Utopismus der Moderne.“

Hitchcock habe sich für das totalitäre Gedankengerüst der Nazis interessiert, das zunächst Ideologie war und dann zerstörerisch und menschenverachtend in der Realität umgesetzt wurde.

Der Professor: Der Unterschied zwischen Denken und Handeln

Hier sei auch die Figur des Professors von Brandon und Phillip wichtig, der den Mord am Ende des Films aufdeckt, so Bronfen. Der Professor, gespielt von James Stewart, verkörpere die Differenz zwischen Denken und Handeln, von Theorie und Praxis.

Er hatte den beiden Mördern Nietzsches Überlegenheitsideen beigebracht. Gleichzeitig erschreckt ihn, wie diese Ideen durch den Mord an David Realität werden. Ein Erschrecken, das zu spät kommt.

Szene des Filmes "RopeCocktail für eine Leiche" von Alfred Hitchcock.
Auf der Truhe, in der die Leiche liegt, bauen die Mörder das Büffet für ihre Party auf. Der Schauspieler James Stewart (Mitte rechts) spielt den Professor Rupert Cadell.

Schwule Mörder – ein Tabubruch im Hollywood der 1940er-Jahre

Kritisch mit seiner Zeit ist Hitchcock noch auf andere Weise: Die beiden eleganten Mörder Brandon und Phillip sind homosexuell. Hitchcock wollte bewusst einen Film über zwei Mörder machen, die in einer schwulen Beziehung zusammenleben. In Hollywood waren Schwule bis dahin nur als clowneske Nebenfiguren inszeniert und lächerlich gemacht worden.

Hitchcock brach das Tabu. Er zeigte zwei Homosexuelle, die zwar Mörder sind, aber klug und charmant, mit einem Wort so komplex und bemerkenswert wie die anderen berühmten Hitchcock-Bösewichte.

Die Inszenierung der herzlosen Mörder könne man als schwulenfeindlich lesen, meint Elisabeth Bronfen. Oder auch als „eine Form von Selbstbemächtigung, nämlich der Mord als eine Art, sich in seiner Vision davon, was man tun möchte, durchzusetzen.“

Hitchcock unterminiert die Konventionen seiner Zeit

Hier zeige sich der ambivalente Blick von Alfred Hitchcock. Er bediene sich der Konventionen seiner Zeit „und gleichzeitig unterminiert er sie“. Perfekt inszeniertes Hollywood-Kino, das beim genauen Hinschauen die eigene Zeit kritisch hinterfragt. Vielleicht sind auch Alfred Hitchcocks Filme gewissermaßen eine Truhe mit einem Toten, auf der ein opulentes Mahl serviert wird.

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