Die Krise danach ist absehbar
Gerade noch im Rampenlicht, vom Publikum mit Applaus gefeiert, im nächsten Moment nur noch im Hintergrund oder gar im Abseits. Professionelle Tänzerinnen und Tänzer müssen irgendwann Abschied nehmen von der Bühne. Sei es, weil der Körper nicht mehr mitmacht oder weil die Rollen ausbleiben. Die Krise danach ist oft so absehbar wie unvermeidlich. Denn nicht alle sind auf das Karriereende vorbereitet.
„Manche Kompagnien, wie die Pariser Oper, haben ein richtiges Rentenalter. Mit 42 müssen die auf den Tag genau aufhören. Aber die Tänzer bekommen dort eine richtige Rente. Das ist in Deutschland nicht so. Wir müssen dann praktisch einen neuen Beruf machen“, sagt Friedemann Vogel, Solotänzer am Stuttgarter Ballett.
Extreme Belastung für den Körper
Körper von Balletttänzern und Balletttänzerinnen sind enormen Belastungen ausgesetzt. Jahrelanges hartes Training und auch auf der Bühne stehen ihre Körper unter extremen Strapazen. So hebt ein Ballerino bei einer Vorstellung durchschnittlich 2,5 Tonnen – das Gewicht eines Kleintransporters.
„Der Körper macht das nicht bis 60 mit. Deswegen ist das so ein fragiler Beruf. Man weiß nie, wann das Ende kommt, aber man weiß: Irgendwann kommt das Ende“, sagt auch Friedemann Vogel, inzwischen 44 Jahre alt.
„Es kann heute, es kann morgen vorbei sein, wenn man sich verletzt. Und es kann auch länger gut gehen. Deswegen ist es so schwer zu planen. Ich will auch nicht planen. Planen hat überhaupt nichts mit Kunst zu tun oder mit künstlerischem Denken. Aber ich würde schon gerne in der Branche bleiben.“
Friedemann Vogel - Tänzer aus Leidenschaft
Einen Anschlussjob in der Tanz- oder Kulturbranche wollen viele – doch nicht immer klappt das. Manche suchen sich auch bewusst eine andere Branche.
Sieben Beispiele, wie es nach der Ballettkarriere weitergehen kann:
Vom Balletttänzer zum Fotografen: Roman Novitzky
Ganz nah dran geblieben am Ballett ist Roman Novitzky: Mit 38 startet er jetzt in ein zweites Berufsleben – als Fotograf. „Ich war einfach schon immer der Typ, der die Kamera dabei hat“, sagt er selbst. Oft schoss er in der Bühnengasse schnell noch ein paar Bilder, legte dann die Kamera weg, um aufzutreten.
Die Entscheidung, mit dem Tanzen aufzuhören, fiel ihm nicht leicht. Eine schwere Knieverletzung ließ ihn nachdenklich werden, wie er in einer SWR-Doku über seinen Berufswechsel erzählt.
Das Angebot seines Ballettdirektors Tamas Detrich, ihn als Fotograf zu engagieren, brachte schließlich die Entscheidung: Roman Novitzky griff zu, feierte als Tänzer seinen Bühnenabschied und sein Debüt als Artist in Residence des Stuttgarter Balletts. Seitdem entstehen Fotos, wie das von Friedemann Vogel:
Der SWR hat Roman Novitzky auf dem Weg seiner Neuerfindung begleitet:
ARD Mediathek SWR Kultur Doku: Das zweite Leben des Roman Novitzky
Gerade noch steht Roman Novitzky als Star des Stuttgarter Balletts im Rampenlicht. Aber er hofft er auf ein neues Leben als Fotograf mit besonderem Blick.
Eine Ballettschule gründen und Talente fördern: Birgit Keil
Nah an ihrer ersten Ausbildung geblieben ist auch Birgit Keil, ehemalige Ballettdirektorin und Primaballerina. Ihr Motto heute: Anderen die Bühne bereiten. Sie hat sich nach ihrer Karriere als international gefeierte Tänzerin der Ausbildung neuer Talente gewidmet. Bis 2019 war sie Akademieleiterin in Mannheim und Ballettdirektorin in Karlsruhe – und fördert den Tanznachwuchs mit ihrer eigenen Stiftung.
Sich um die Gesundheit anderer kümmern: Marc Geifes
Eine Verletzung kann schon früh das Karriereende in einer Hochleistungsdisziplin wie Ballett bedeuten. Marc Geifes weiß, wie wichtig die Gesundheit für Tänzerinnen und Tänzer ist: Er war selbst Balletttänzer am Bayerischen Staatsballett und Kunstturner.
Nach dem Ende seiner professionellen Tanzkarriere wurde er Physiotherapeut und betreute andere Tänzerinnen und Tänzer. Heute unterrichtet er Tanzmedizin an der Ballettakademie in München.
Irgendwas mit Kunst: Johan Holten
Johan Holten macht immer noch was mit Kunst: In den 90ern war er Teil der Hamburger Tanzkompanie von John Neumeier. Danach arbeitete er als Bühnenbildner, studierte Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften. Seit 2019 ist der 47-jährige Leiter der Kunsthalle Mannheim.
Von der Tänzerin zur Finanzanalystin: Maria Fontes
Dass auch ungewöhnliche zweite Karrieren möglich sind, zeigt Maira Fontes. Parallel zur Karriere am Bayerischen Staatsballett hat sie ein Fernstudium in Wirtschaft abgeschlossen. Heute arbeitet sie bei einer Investmentfirma für alternative Geldanlagen.
Einfach weitermachen: Egon Madsen und Melinda Witham
Und der naheliegendste Weg: Einfach weitermachen. So wie Egon Madsen und Melinda Witham. „Tanzen ist wie eine Sucht. Tanzen ist Leben“, sagt Melinda Witham. Sie kam 1973 auf Einladung des berühmten britischen Tanzregisseurs und Choreografen John Cranko nach Stuttgart.
Obwohl sie Mutter von zwei Kindern ist und zwei Hüftoperationen hinter sich hat, stand sie bis 2020 auch nach 47 Jahren Karriere immer wieder auf der Bühne.
Mit 80 Jahren noch immer als Tänzer aktiv ist Egon Madsen. Ende der 60er-Jahre war er der „Joker“ am Stuttgarter Ballett und als Solist einer der Stars der John Cranko-Ära. Madsen trug wesentlich zum Erfolg des Stuttgarter Ballettwunders bei.
Heute arbeitet er als Coach und Seniortänzer bei der Tanzkompagnie Gauthier Dance im Theaterhaus Stuttgart. 2022 hat Egon Madsen dort sein 70-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert – natürlich auf der Bühne.