Keine Gesellschaft ohne Tabus
Wenn Menschen miteinander reden, dann gibt es immer auch Themen, über die man besser nicht spricht, sogenannte Tabus: Zum Beispiel Geld, Sexualität, psychische Erkrankungen oder Tod – alles Angelegenheiten, die sehr privat oder belastend sein können und die wir deshalb lieber meiden. Von Kindesbeinen an lernen wir, dass man bestimmte Dinge nicht sagt oder nicht tut.
Aber warum ist das so? Die Wissenschaft ist sich weitestgehend einig, dass das Tabu-Prinzip den sozialen Frieden und Zusammenhalt sichert. Der Soziologe Karl Otto Hondrich drückt es in einem FAZ-Artikel so aus: „Gruppen und Gesellschaft könnten nicht bestehen, wenn alle ihre inneren Widersprüche und Übel sich offenbarten.“
In Berlin beschäftigt sich eine Ausstellung mit dem Tabuthema Menstruation
Der Tabubruch: Motor für gesellschaftliche Veränderung
Natürlich werden Tabus auch immer wieder verletzt oder gebrochen, sonst gäbe es keine gesellschaftlichen Diskurse oder Veränderungen. Dass Menschen heute ihre sexuellen Neigungen offen zeigen können, ist zum Beispiel ein recht junges Phänomen. Oder auch die Entwicklung, dass Frauen öffentlich ihre Menstruation thematisieren.
Oftmals sind es Politikerinnen oder Aktivisten, die gegen das fest zementierte Regelwerk vorgehen. Aber auch Künstlerinnen und Künstler reißen gerne die Mauer aus gesellschaftlichen Konventionen ein, zum Beispiel in der Literatur, im Film oder auf dem Theater.
Jan Neumann bringt Tabuthemen auf die Bühne
Der Schauspieler, Theaterautor und Regisseur Jan Neumann kratzt gerne an gesellschaftlichen Tabus: Er hat für das Nationaltheater Weimar und das Staatstheater Mainz zwei Produktionen realisiert, die sich mit zwei echten „Tabu-Klassikern“ beschäftigen.
2020 entwickelte er, angeregt durch einen Schauspieler, gemeinsam mit seinem Ensemble das Stück „Sensemann & Söhne“. Neumann inszenierte eine Komödie, in der sich alles um die Themen Sterben, Tod und Trauer dreht und in der es Momente sowohl zum Weinen und als auch zum Lachen gibt.
Am Anfang standen ausführliche Recherchen
Die Theaterleute recherchierten für die Entwicklung von „Sensemann & Söhne“ mehr als gründlich: Sie besuchten eine Akademie für Trauerredner, ließen sich durch ein Krematorium führen, sprachen mit einer Hospizleiterin und einem Bestattungsunternehmer.
Mit diesem Input improvisierten die Schauspielerinnen und Schauspieler einzelne Situationen und Charaktere, die Jan Neumann dann als Basis für das Schreiben seines Theatertextes verwendete.
Neue Stückentwicklung zum Thema Geburt
Für seine neue Produktion „Kurz & nackig“, die am 7. Oktober ihre Premiere am Staatstheater Mainz hat, folgte Jan Neumann ebenfalls dem Impuls einer Kollegin: Sie schlug vor, ein Stück über das Tabuthema Geburt zu entwickeln.
Und wieder fingen Neumann und sein Ensemble an zu recherchieren: Unter anderem trafen sie sich mit einer Gynäkologin und ließen sich von mehreren Müttern deren Erlebnisse während der Entbindung erzählen.
Im Thema Geburt liege großes Konflikt-Potenzial, das wiederum viel Komik ermögliche, sagt Jan Neumann. Denn: „Jeder schaut anders auf das große Wunder des Lebens“.