Theater

Tod und Geburt: Regisseur Jan Neumann bringt gesellschaftliche Tabus ins Theater

Stand
Autor/in
Hannegret Kullmann
Onlinefassung
Dominic Konrad

Jede Gesellschaft hat ihre Tabus: Geld, Sexualität, Tod. Meistens werden diese Themen elegant umschifft – alles privat, bloß keine Details bitte! Genau das reizt Regisseur und Theaterautor Jan Neumann. 2020 entwickelte er für die Theater in Mainz und Weimar eine Komödie zu den Themen Tod und Trauer. In seiner aktuellen Koproduktion dreht sich nun alles um das Thema Geburt.  

„Sensenmann und Söhne“ von Jan Neumann am Staatstheater Mainz
Für die Bestatter ist es Alltag, aber die meisten Menschen reden nur ungern über den Tod – Szene aus Jan Neumanns Komödie „Sensemann & Söhne“

Keine Gesellschaft ohne Tabus 

Wenn Menschen miteinander reden, dann gibt es immer auch Themen, über die man besser nicht spricht, sogenannte Tabus: Zum Beispiel Geld, Sexualität, psychische Erkrankungen oder Tod – alles Angelegenheiten, die sehr privat oder belastend sein können und die wir deshalb lieber meiden. Von Kindesbeinen an lernen wir, dass man bestimmte Dinge nicht sagt oder nicht tut.

Aber warum ist das so? Die Wissenschaft ist sich weitestgehend einig, dass das Tabu-Prinzip den sozialen Frieden und Zusammenhalt sichert. Der Soziologe Karl Otto Hondrich drückt es in einem FAZ-Artikel so aus: „Gruppen und Gesellschaft könnten nicht bestehen, wenn alle ihre inneren Widersprüche und Übel sich offenbarten.“

In Berlin beschäftigt sich eine Ausstellung mit dem Tabuthema Menstruation

 

Der Tabubruch: Motor für gesellschaftliche Veränderung

Natürlich werden Tabus auch immer wieder verletzt oder gebrochen, sonst gäbe es keine gesellschaftlichen Diskurse oder Veränderungen. Dass Menschen heute ihre sexuellen Neigungen offen zeigen können, ist zum Beispiel ein recht junges Phänomen. Oder auch die Entwicklung, dass Frauen öffentlich ihre Menstruation thematisieren.

Oftmals sind es Politikerinnen oder Aktivisten, die gegen das fest zementierte Regelwerk vorgehen. Aber auch Künstlerinnen und Künstler reißen gerne die Mauer aus gesellschaftlichen Konventionen ein, zum Beispiel in der Literatur, im Film oder auf dem Theater. 

 

„Sensenmann und Söhne“ von Jan Neumann am Staatstheater Mainz
Konfrontation mit der Vergänglichkeit – in der Komödie „Sensemann & Söhne“ darf geweint und gelacht werden

Jan Neumann bringt Tabuthemen auf die Bühne 

Der Schauspieler, Theaterautor und Regisseur Jan Neumann kratzt gerne an gesellschaftlichen Tabus: Er hat für das Nationaltheater Weimar und das Staatstheater Mainz zwei Produktionen realisiert, die sich mit zwei echten „Tabu-Klassikern“ beschäftigen.

2020 entwickelte er, angeregt durch einen Schauspieler, gemeinsam mit seinem Ensemble das Stück „Sensemann & Söhne“. Neumann inszenierte eine Komödie, in der sich alles um die Themen Sterben, Tod und Trauer dreht und in der es Momente sowohl zum Weinen und als auch zum Lachen gibt. 

Am Anfang standen ausführliche Recherchen 

Die Theaterleute recherchierten für die Entwicklung von „Sensemann & Söhne“ mehr als gründlich: Sie besuchten eine Akademie für Trauerredner, ließen sich durch ein Krematorium führen, sprachen mit einer Hospizleiterin und einem Bestattungsunternehmer.

Mit diesem Input improvisierten die Schauspielerinnen und Schauspieler einzelne Situationen und Charaktere, die Jan Neumann dann als Basis für das Schreiben seines Theatertextes verwendete.  

 

„Kurz & nackig“ von Jan Neumann am Staatstheater Mainz
Die Schauspielerinnen und Schauspieler als Spermien auf der Bühne – Szene aus Jan Neumanns Komödie „Kurz & nackig“

Neue Stückentwicklung zum Thema Geburt 

Für seine neue Produktion „Kurz & nackig“, die am 7. Oktober ihre Premiere am Staatstheater Mainz hat, folgte Jan Neumann ebenfalls dem Impuls einer Kollegin: Sie schlug vor, ein Stück über das Tabuthema Geburt zu entwickeln.

Und wieder fingen Neumann und sein Ensemble an zu recherchieren: Unter anderem trafen sie sich mit einer Gynäkologin und ließen sich von mehreren Müttern deren Erlebnisse während der Entbindung erzählen.

Im Thema Geburt liege großes Konflikt-Potenzial, das wiederum viel Komik ermögliche, sagt Jan Neumann. Denn: „Jeder schaut anders auf das große Wunder des Lebens“.  

Umgang mit Tabu-Themen

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Let’s Talk About Sex: Warum ist das so schwer?

Wir wissen heute theoretisch alles über Sex und sind aufgeklärter als frühere Generationen. Pornos, Podcasts, Dokus, Serien wie “Sex Education” und, natürlich, das Internet: Wer Informationen sucht, der findet sie.

Und trotzdem scheint die Verunsicherung dadurch manchmal sogar größer geworden zu sein. Studien legen sogar nahe, dass wir in Westeuropa heute weniger Sex haben als noch Anfang der 60er-Jahre.

Woher kommt dieses Paradox: Mehr Infos, aber weniger Sex? Und vor allem: Wie lässt es sich auflösen? „Der allererste Schritt ist, dass Menschen es schaffen sich in Sachen Sex zu artikulieren“, sagt die Autorin Katja Lewina, „dass wir in unseren Partnerschaften reden. Das kommt zu kurz, denn viele Menschen haben dort eine große Sprachlosigkeit“. Katja hat in ihren Büchern mit fremden Männern und ihren Ex-Freunden über Sex gesprochen und sich über weibliche Sexualität Gedanken gemacht. Mittlerweile falle ihr das leicht, sagt sie. “Aber ich musste mich da richtig freikämpfen.”

„Let’s Talk About Sex“ ist also Programm in dieser Folge und zu Wort melden sich auch der Soziologe Thorsten Benkel und Kevin Ebert vom BR Puls Sexpodcast „Im Namen der Hose“.
Unser Podcast-Tipp: „Immer diese Bayern - Ein Podcast über bayerische Extrawürste“
https://1.ard.de/Immer_diese_Bayern

Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen an kulturpodcast@swr.de.

Hosts: Pia Masurczak und Philine Sauvageot
Showrunner: Julian Burmeister

Links: https://www.br.de/mediathek/podcast/im-namen-der-hose-der-sexpodcast-von-puls/521
https://www.dumont-buchverlag.de/buch/lewina-bock-9783832180065/

Gesundheit Menstruation – Blut, Schmerzen und Tabus

Noch ist Menstruation oft ein Tabu. Krankheiten wie Endometriose sind wenig erforscht. Doch viele Jüngere sprechen offen über ihre Leiden, Free Bleeding oder Menstruationstassen.

SWR2 Wissen SWR2

Psychologie Psychische Erkrankungen – Immer noch ein Stigma

Depressionen, Ängste, Essstörungen – immer wieder berichten Prominente von ihrer psychischen Gesundheit. Mental Health ist kein Tabu mehr. Doch hilft das, das Stigma zu beenden? Von Silvia Plahl (SWR 2022)

SWR2 Wissen SWR2

Unsere Quellen

Transparenz ist uns wichtig! Hier sagen wir Ihnen, woher wir unsere Infos haben!

Stand
Autor/in
Hannegret Kullmann
Onlinefassung
Dominic Konrad