Schauspielerei ohne Sentimentalitäten
„Nur der wahrhaftigste Mensch hat Eignung zum großen Schauspieler“, schreibt Therese Giehse in ihren Tagebüchern. Dieser Maxime ist die Schauspielerin bis zum Ende ihrer Karriere verpflichtet. Alles Getue, alle Sentimentalität lehnt sie zeitlebens ab.
Nicht mal als junge Frau spielt die Giehse die jugendliche Heldin, die sanften und zarten Mädchen. „Ich habe ja nie junge Rollen gespielt, weil ich zu dick war für die Jungen“, erinnert sie sich später in einem Interview. Doch es sind auch die großen, wahrhaftigen Charakterrollen, die „Schreckensweiber“, die sie interessieren und für die sie die großen Autoren ihrer Zeit bewundern:
Kindheit und erste Jahre
Geboren wird Therese Giehse am 6. März 1898 als Therese Gift. Ihre Eltern sind jüdische Kaufleute und schon früh muss die junge Frau lernen, dass ihr Jüdischsein sie isolierte: „Ich war dick, ich war rothaarig und ich habe den Herrn Jesus umgebracht.“
Früh interessiert sie sich für Literatur. Sie liest Ibsen, Bjørnson und Grillparzer. Eigentlich hätte sie Ärztin werden wollen, sagt Giehse später über ihre Karrierepläne, aber das sei an ihrer Faulheit gescheitert. Ihrem Wunsch, Schauspielerin zu werden, stehen die Eltern kritisch gegenüber, denn das pausbäckige Mädchen entspricht nicht dem Schönheitsideal. Diese kontert:
Dennoch nimmt Therese Giehse ab 1918 Schauspielunterricht bei der Charakterschauspielerin Tony Wittels-Stury. Ihre Lehrerin versteht es, ihr Potenzial zu nutzen, ohne die junge Frau in ein festes Schauspielerinnenbild pressen zu wollen. Die Konzentration legt ihre Lehrerin in die großen Charakterrollen.
Erfolge in Breslau und an den Münchner Kammerspielen
Nach ersten Engagements in der Provinz holt sie Paul Barney ans Nationaltheater in Breslau, der hier auch spätere Weltstars wie Marlene Dietrich oder Peter Lorre engagiert.
1926 kehrt Giehse an die Münchner Kammerspiele zurück, wo sie unter der Leitung von Otto Falckenberg arbeitet. In München brilliert sie in großen Charakterrollen, unter anderem als resolute Wäscherin Mutter Wolffen in Gerhard Hauptmanns „Der Biberpelz“. Sie spielt an der Seite von Karl Valentin, Liesl Karlstadt, Heinz Rühmann und Hans Albers.
Zu ihren Münchner Bewunderern gehört auch Adolf Hitler, der ihr Blumen schicken lässt und lobt, dass mit Giehse ein „richtiges deutsches Weib“ auf der Bühne stehe. Später werden ihr die Nazis einen Sonderstatus anbieten, damit sie als Jüdin auch weiterhin in Deutschland spielen kann. Therese Giehse lehnt ab.
24.7.1926: Gustav Gründgens und Erika Mann heiraten
Erika Mann und die „Pfeffermühle“
In den Münchner Künstlerkreisen verkehrt Giehse auch mit Klaus und Erika Mann. Die beiden ältesten Kinder von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann freunden sich mit der scharfsinnigen Schauspielerin an. Therese wird die Geliebte der bisexuellen Erika, die zu diesem Zeitpunkt noch mit Gustav Gründgens verheiratet ist.
1933, nur einen Monat nach der Machtergreifung Hitlers, gründen sie gemeinsam mit Magnus Henning 1933 das Kabarettensemble „Die Pfeffermühle“. Klaus und Erika schreiben einen Großteil der Texte, Therese steht neben Lotte Goslar, Sybille Schloß und Cilli Wang auf der Bühne.
Nur wenige Wochen nach der Premiere muss das Ensemble aus München fliehen und spielt fortan vor ausverkauftem Publikum in Zürich. Noch bis 1936 tourt das Ensemble in Europa, ohne jemals die deutsche Grenze zu passieren. Giehse heiratet zu dieser Zeit den schwulen Schriftsteller John Hamspon, um so einen britischen Pass zu erhalten, der sie vor dem Zugriff der Nazis schützen soll.
Als der Druck in Europa zu groß wird, versucht die „Pfeffermühle“, in New York Fuß zu fassen, scheitert hier aber an der geringeren politischen Beachtung und der Sprachbarriere. Therese Giehse kehrt nach Europa zurück.
Eine kreative und ideologische Freundschaft: Bertold Brecht
Die Kriegsjahre verbringt Therese Giehse im Ensemble des Schauspielhauses Zürich. Hier lernt sie Bertold Brecht kennen, mit dem sie nicht nur die sozialistische Ideologie verbindet, sondern vor allem auch die handfeste bayerische Art.
Brecht besetzt sie 1941 in der Uraufführung von „Mutter Courage und ihre Kinder“. Giehse wird sich später erinnern:
„Das war also erstens von Brecht aus himmlisch. Die Schauspieler, die Besetzung war wunderbar. Es war also eine runde, großartige Aufführung und ich glaube, es war überhaupt das Schönste, was man sich vorstellen kann.“
Neben Helene Weigel avanciert Giehse zu den führenden Brecht-Schauspielerinnen. In der Uraufführung von „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ spielt sie 1948 die Schmuggleremma und folgt Brecht nach dem Krieg ans Berliner Ensemble, wo sie zwischen 1949 bis 1952 zum festen Ensemble gehört und auch inszeniert.
Für Therese Giehse ändert Dürrenmatt seine „Physiker“
Dem Züricher Schauspielhaus bleibt die Giehse bis 1966 als festes Ensemblemitglied verbunden. Sie spielt die Hauptrolle der Claire Zachanassian in der Uraufführung von Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ (1956). Auch Dürrenmatt schneidert Giehse eine große Rolle auf den Leib: die der Irrenärztin Mathilde von Zahnd in „Die Physiker“.
Nach dem Krieg spielt Giehse auch in Filmen, etwa Paul Verhoevens „Roman einer Siebzehnjährigen“ (1955) oder, an der Seite von Romy Schneider und Lilli Palmer, in „Mädchen in Uniform“ (1958). Ihre große Leidenschaft bleibt aber das Theater.
Therese Giehse stirbt am 3. März 1975, nur drei Tage vor ihrem 77. Geburtstag. Auf eigenen Wunsch wird sie in Zürich begraben, der Stadt, in der sie ihre größten Erfolge feierte und wo sie Schutz vor dem Zugriff der Nazis fand.