Bertolt Brechts und Kurt Weills Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ handelt von dem Experiment, eine Stadt im Nirgendwo zu errichten, die dann aber von den Widrigkeiten der Geldherrschaft in den Abgrund gestürzt wird. Nur eine Todsünde gibt es in diesem Mahagonny: die Zahlungsunfähigkeit. Die Staatsoper Stuttgart macht daraus eine aufregende Aufführung, sagt SWR Kultur Opernkritiker Bernd Künzig.
Oh nein, die Katastrophe bleibt aus
Wie aktuell ist „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ durch das Regieteam um Ulrike Schwab an der Staatsoper Stuttgart geworden?
Es gibt eine Schlüsselszene in der Aufführung: Das ist, wenn der Hurrikan auf die Stadt Mahagonny zudriftet. Laut Regiebuch von Brecht und Weill haben alle Angst davor, dass die Stadt zerstört wird.
In der Stuttgarter Inszenierung läuft das allerdings anders ab: Es wird stattdessen mit großer Hoffnung auf den Hurrikan geschaut. Als er dann um die Stadt herumzieht, ist der große Frust dar. Das, was hier gefeiert wird, ist die Lust am Untergang. Und das Thema Untergang ist derzeit aktueller den je.
Voll und ganz Brecht: Die vierte Wand wird eingerissen
Das mittlerweile fast schon klassische Brecht'sche Theaterkonzept, wie lässt sich das heute im Fall dieser Oper frisch halten?
Das Regieteam um Ulrike Schwab setzt ganz auf das Konzept, die vierte Wand einzureißen: Es gibt einen Steg ins Publikum, das Orchester sitzt auf der Bühne, und davor wird gespielt. Es gibt sogar die berühmt-berüchtigte „Brecht-Gardine”. Die wird dann aber beim Hurrikan eben weg geweht, was auch akustisch gut wirkt. Und wir sind natürlich sehr, sehr direkt bei den handelnden Personen. Es geht Ulrike Schwab vor allen Dingen um diese Art von Menschentyp, der hier vorgeführt wird, gar nicht so sehr um die Handlung.
Große Gesangskunst: Kai Kluge und Ida Ränzlöv brillieren
Musikalisch ist das Stück nicht einfach umzusetzen, ein hoher Anspruch geht damit einher. Bis auf eine Partie, haben alle anderen Sängerinnen und Sänger an der Staatsoper Stuttgart ihr Rollendebüt gegeben. Wie ist das musikalisch aufgegangen?
Es ist sehr opernhaft, aber das darf es auch sein. Die Üppigkeit des Untergangs ist sehr schön umgesetzt, stimmlich ist das großartig. Zum Beispiel Kai Kluge, der den Jim Mahoney spielt, und Ida Ränzlöv als Jenny, liefern wirklich große Gesangskunst.
Geschlechterrollen werden neu gedacht
Ihr Fazit: Ist das eine aufrüttelnde Aufführung? Kann man etwas über unsere Gegenwart erfahren?
Absolut, denn hier werden Fragen gestellt wie: „Wer sind wir?”, „Wie können wir besser werden?” oder „Wie können wir Geschlechterdifferenzen überwinden?” Denn die Vorzeichen werden hier in Stuttgart sehr, sehr deutlich umgedreht. Die Frauen sind die großen Strippenzieherinnen und die Männer kriegen ihr Fett weg. Das ist sehr spannend und sehr aufregend, wie das Stück auf diese Art und Weise neu beleuchtet und neu gedacht wird.
Mehr zur Oper Stuttgart
Uraufführung Kritik – „Dora“ an der Oper Stuttgart: „Ein grandioses neues Musiktheater“
„Who the hell is Dora?” Diese Frage stand auf zahlreichen Plakaten in Stuttgart und ist jetzt beantwortet. Es ist die neue Oper von Bernhard Lang.
Diskussion Stuttgart als „Winter-Bayreuth“ – Wieland Wagners Laboratorium
Die Staatsoper Stuttgart machte Wieland Wagner zum sogenannten „Winter-Bayreuth“, wo er außerhalb der Bayreuther Festspiele nicht nur mit den Werken Richard Wagners experimentierte. Ist Wieland Wagners „Werkstattprinzip“ der Gründungsakt des heutigen Regietheaters auf der Opernbühne? Bernd Künzig diskutiert mit Prof. Dr. Stephan Mösch – Hochschule für Musik Karlsruhe, Dr. Uwe Schweikert – Musikwissenschaftler, Publizist und Lektor, Daniel Reupke – Universität Bayreuth