Die neue Intendanz am Badischen Staatstheater in Karlsruhe setzt neben den bekannten Klassikern des Opernrepertoires auch auf neu zu entdeckende Werke. Im Fall von Jean-Baptiste Lemoynes Oper „Phèdre“ sind sowohl Komponist als auch Werk nahezu in Vergessenheit geraten. Völlig zu Unrecht, zeigt die Aufführung.
Klassizismus auf Marmor
Der Feudaladel hat einen entspannten Alltag: Hippolyte, der Sohn des Königs Thésée, geht auf die Jagd, während Phèdre die stiefmütterlichen Gefühle in inzestuöses Begehren übersteigert. In seiner Inszenierung von Jean-Baptiste Lemoynes Oper „Phèdre“ am Badischen Staatstheater in Karlsruhe betont Christoph von Bernuth die Überblendung von antikem Stoff und gesellschaftlicher Gegenwart zur Entstehungszeit dieser Oper aus dem noch andauernden französischen Feudalzeitalter.
Von Bernuth wählt als Stil einen Klassizismus in Frack, Zylinder und Reifröcken. Das optische Zentrum bildet eine Marmortreppe auf der Bühne von Oliver Helf. Eine symbolische Architektur von Oben und Unten, von Macht und Ohnmacht. Auf ihr fallen und stürzen die Höherstehenden.
Zugeschnürte Emotionalität
In der Inszenierung setzt von Bernuth ganz auf die raumgreifende Emotionalität der Musik. Hier gibt es wenig gestischen Gefühlsüberschwang, die Rampe ist der Austragungsort für die Stimme, Bewegungsakzente verhindern singende Statuen.
Die Statik ist dabei in der Komposition angelegt mit ihren langen Strecken von Accompagnato-Rezitativen. Dann bricht aber eine Harmonik für die Hervorbringung abgründiger Leidenschaften hervor.
Das Publikum des 18. Jahrhunderts hat gerade das nachdrücklich irritiert. Einerseits ist es die damals fast schon zur Konvention erstarrte Feierlichkeit einer wiederbelebten Antike auf der Bühne, andererseits der Ausbruch von erotischer Emotionalität. Gerade der weibliche Adel war gezwungen, diese mit Reifrock und Korsett zuzuschnüren.
Sopranoper mit wunderbarem Sopran
Die lastende Spannung von Schnürung und Ausbruch im tragisch scheiternden inzestuösen Begehren der Phédre birgt die Gefahr einer gewissen Langeweile. Ihr entgeht die Aufführung vor allem durch die grandiosen Leistungen von Ann-Beth Solvang und der sie zur emotionalen Freisetzung anstachelnden Anastasiya Taratorkina als ihre Vertraute Oenone.
Das ist ein geradezu fatales Stimmpaar von dunkel glühendem Königinnen- und jugendlich hellem Intrigantinnensopran. Das Stück ist ohnehin eine Sopran- und damit Frauenoper. Am Anfang tritt Phèdre in den schönen Kostümen von Karine Van Hercke als nachtschwarzer Trauervogel auf, später schmiert sie manisch im roten Kostüm der erotischen Fleischeslust den Namen Hippolytes mit Kreide auf die nachtschwarze Wand. Ein Raumbild der tönenden weiblichen Innerlichkeit.
Eine Wiederentdeckung in Karlsruhe
Die Männer haben erst im zweiten Teil ihren Auftritt als Rädchen im Getriebe. Armin Kolarczyk ist der aus der Unterwelt unerwartet zurückkehrende Thésée und verstimmlicht makellos die Noblesse des fürchterlichen Wutterrors einer durch Eifersucht blind gewordenen Sohnesliebe. Sein Gegenüber ist die Hilflosigkeit des in die Intrige hineingetriebenen und darin untergehenden Hippolyte im hohen Tenor von Krzystof Lachmann.
Der wie in einer antiken Tragödie kommentierende Chor ist mit dem Badischen Staatsopernchor bei guter Stimme. Unter dem präzisen, mit dramaturgisch klug gesetzten Pausenakzenten geschliffenen Dirigat von Attilio Cremonesi verwandelt sich die Badische Staatskapelle in ein schön spielendes Ensemble für Alte Musik, von kleinen Wacklern abgesehen. In Karlsruhe lässt sich so ein sperriges, die brave Ordnung der Musikgeschichte durchkreuzendes Musiktheater wiederentdecken.
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