Der polnisch-russische Komponist Mieczysław Weinberg wagte sich 1968 an das eigentlich Unvorstellbare und vertonte in „Die Passagierin“ das Grauen von Auschwitz. Am Staatstheater Mainz ist jetzt Weinbergs beklemmendes Meisterwerk in einer Inszenierung von Nadja Loschky und unter der Leitung von Hermann Bäumer zu erleben.
Das Grauen von Auschwitz auf der Mainzer Opernbühne
Das Vergangene ist nicht das Entscheidende, sondern wie wir es erinnern und diejenigen nicht vergessen, die darin umgekommen sind. Darum geht es in Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“, basierend auf dem gleichnamigen Roman der polnischen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz. Erst nach Weinbergs Tod wurde die Oper 2010 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt.
Eine abbildhafte Darstellung des Schrecklichen im Vernichtungslager Ausschwitz verbietet sich dabei. Bitte keine Wachtürme, Stacheldraht oder eine schwarze Todeswand auf der Opern-Bühne!
Wassergrüner Erinnerungsraum statt Todeswand
Für Nadja Loschkys Inszenierung am Staatstheater Mainz hat Etienne Pluss einen wassergrünen Erinnerungsraum gebaut. Er kann Kajüte, Tanzsalon oder Schiffsrund sein, in dem die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa bei der Überfahrt mit ihrem Diplomatengatten Walter glaubt, eine überlebende Ausschwitz-Insassin wiederzuerkennen.
Der Raum kann aber auch Archiv und Bibliothek sein. Darin erinnert sich die altgewordene Lisa unserer Zeit an die fatale Schiffsreise in den 1950er-Jahren und ihre hervorbrechende Vergangenheit in Auschwitz.
Es ist das Verdrängte Lisas, das hier mit surrealen Mitteln und einem wiederholt auf- und zugezogenen Theatervorhang das Psychogramm eines Totentanzes aufscheinen lässt. Lediglich in den Kostümen von Irina Spreckelmeyer tritt das konkret Historische in Erscheinung.
Das abgrundtief Finstere kontaminiert die Musik
Im Titel der Oper klingt die „Passage“ an, die Schiffsreise als Fahrt über den Fluss der Toten. Und auch Weinbergs Musik ist eine Passage durch die Musikgeschichte. Das abgrundtief Finstere kontaminiert Walzer, Marsch und Tanzmusik als Banalität des Bösen.
Demgegenüber steht der erinnernde Ton des Volkslieds, mit dem die KZ-Insassinnen Heimat und Freiheit beschwören. Die Violinsolo-Chaconne Johann Sebastian Bachs, inbrünstig intoniert von allen Geigen, wird zum Todesurteil für Tadeusz, den Verlobten Martas. Er spielt sie und verweigert damit den Befehl, den Lieblingswalzer des Lagerkommandanten anzustimmen.
Hermann Bäumer beherrscht perfekt am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters die schnitt- und collagehaften Kontraste, das Schöne wie Gemeine, das nachdenklich Stille und brutal Gewaltige ebenso wie die Tiefe Trauer der Erinnerung in dieser Musik.
Dirigent Hermann Bäumer im Gespräch mit SWR2 Treffpunkt Klassik:
Karina Repova überzeugt in der Rolle der KZ-Wärterin
„Die Passagierin“ ist vor allem eine Oper der Frauen. In Mainz eine große Ensembleleistung, bei der die Herren, insbesondere der eindimensional unschöne Walter von Florian Stern etwas abfallen. Brett Carter als Tadeusz macht seine Sache gut, vielleicht etwas zu maskulin für den Musiker an der Schwelle des Todes.
Ein Bravourstück gelingt Julietta Aleksanyan als Katja mit einem makellos vorgetragenen A cappella-Solo eines russischen Volkslieds.
Karina Repova ist grandios in ihrer katzenhaften Sprunghaftigkeit. Mit brillanter stimmlicher Wendigkeit verkörpert sie Lisas bürgerliche Unterwürfigkeit, den falschen Leidenston, Sadismus und das sehnsüchtig-neidzerfressene Hingerissensein im Angesicht der Liebe von Marta und Tadeusz.
Meisterwerk des Nicht-Abgegoltenen
Erschütternd eindringlich realisiert Margarita Vilsone den Freiheits- und Lebenswillen der Marta. Wenn Sie am Ende vor dem Porträt von Zofia Posmysz singt, auf deren Erinnerungen die Oper beruht, wenn sie uns vor dieser Projektion mit den letzten entschwebenden Celestaklängen mahnt, die Toten niemals zu vergessen, dann kann sich eigentlich keine Hand rühren.
Am Ende gibt es aber zu Recht begeisterten Applaus für eine großartige Umsetzung dieses Meisterwerks des Nicht-Abgegoltenen.
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