SWR-Videopodcast "Zur Sache intensiv"

Boris Palmer stellt harte Bedingungen für eine Rückkehr zu den Grünen

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Wegen "kalkulierter Tabubrüche" und Rassismusvorwürfen wollten die Grünen Boris Palmer als Mitglied loswerden. Nach einem Eklat ging er von allein. Zuletzt brachte Özdemir eine Annäherung ins Gespräch.

Eine Rückkehr von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zu den Grünen rückt in weite Ferne. Im SWR-Videopodcast "Zur Sache intensiv" sagte Palmer zwar: "Ich würde wirklich gern wieder Mitglied dieser Partei sein." Die Grünen seien seine politische Heimat und für ihn als überzeugten Ökologen gebe es keine andere Partei. Eine Rückkehr - wie sie etwa Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) ins Gespräch gebracht hatte - komme aber nur infrage, wenn die Grünen wieder die Partei würden, "die ich mal vor 20 Jahren kennengelernt habe", sagte Palmer.

Die Überformung der Grünen durch identitätspolitische Dogmen, wenn die anhält, habe ich da keinen Platz, weil die mich nicht aushalten und ich sie auch nicht.

Boris Palmer gibt Tipps zur Impulskontrolle | SWR Zur Sache! intensiv

Palmers Kampf gegen eine "woke Identitätspolitik" der Grünen

Nach zahlreichen, harten Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs in der Asylpolitik, Tabubrüche und Rassismusvorwürfe war Palmer im Mai 2023 nach 27 Jahren bei den Grünen ausgetreten. Der OB kämpft seit Jahren gegen eine "woke Identitätspolitik", bei der es vor allem um Gendersprache und Sprachgebote und -verbote sowie den Umgang mit Minderheiten geht. Für viele Grüne vom linken Flügel ist Palmer ein rotes Tuch, für sie käme eine Rückkehr sowieso kaum infrage. Die Grünen-Landespitze hatte sehr zurückhaltend auf Özdemirs Vorstoß reagiert - auch weil Palmer bei den Kommunalwahlen im Juni für die Freie Wähler Vereinigung für einen Sitz im Tübinger Kreistag kandidiert hatte.  

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Neues Ziel: Ein Leben ohne Shitstorm

Gleichwohl will sich Palmer nach eigenen Worten mit Kommentaren in den sozialen Medien stärker zurückhalten. Nach dem Eklat um seinen Auftritt bei einer Frankfurter Uni-Konferenz im April 2023 hatte er sich coachen lassen. Der wichtigste Rat seines Coaches sei gewesen: "Nicht in jeden Kampf einsteigen. Nicht in alles reinziehen lassen. Dingen einfach mal auch aus dem Weg gehen. Das fällt mir total schwer." Dennoch sei er seitdem in keinen Shitstorm mehr geraten, wie das früher öfter der Fall war. Er habe an seiner "Impulskontrolle" gearbeitet und poste nun deutlich weniger. "Das ist mein Ziel: Ich will den Rest meines Lebens ohne Shitstorm durchkommen." Neulich hätten ihn drei Jugendliche mit Migrationshintergrund im Supermarkt provoziert mit den Worten: "Was machst Du heute, Du Rassist?" Da habe er nur geantwortet: "Einkaufen."

Nicht in jeden Kampf einsteigen. [...] Dingen einfach mal auch aus dem Weg gehen. Das fällt mir total schwer.

Palmer will trotzdem bei Asyldebatte mitmischen

Palmer will sich trotzdem auch weiter in bundespolitische Themen einschalten. "Jetzt ist gerade eine Phase, wo ganz viel passiert, was ganz viel mit dem zu tun hat, was mich auch so angefressen hat über Jahre wie die AfD-Sachen, die Flüchtlingssachen, die Messerangriffe." Er fügte hinzu: "Dass ich da jetzt nicht komplett schweige, glaube ich, ist irgendwie auch legitim." Zuletzt hatte er vorgeschlagen, dass die CDU in Sachsen und Thüringen über Gespräche mit der gestärkten AfD nachdenken sollte. Die Strategie der Brandmauer halte er für "ziemlich gescheitert und verfehlt", betonte Palmer im SWR. Je stärker man die AfD beschimpfe und als Rechtsextreme bezeichne, desto stärker werde sie.

Durch die aktuelle Debatte über Ausländerkriminalität und eine schärfere Asylpolitik rückt Palmer mit seinen migrationskritischen Thesen ("Wir schaffen das nicht") wieder stärker in den Vordergrund. In der "Zeit" veröffentlichte er vor kurzem mit zwei anderen Bürgermeistern einen Aufsatz, in dem sie erklärten, dass Attentate durch radikalisierte Asylbewerber wie in Solingen hätten verhindert werden können, wenn man früher auf Warnungen der kommunalen Seite gehört hätte. Es gebe da ganz klar "ein Muster". Weiter heißt es: "Wir wünschen uns, dass die real existierenden Probleme im Umgang mit Geflüchteten endlich ernsthaft diskutiert und aus dem ideologischen Streit zwischen xenophoben Nationalisten und illusionären Wokisten befreit wird." Dieser Satz stamme von ihm, sagte Palmer.

"Remstal-Rebell": Vater Palmer war wegen Wahlkämpfen stark verschuldet

In dem Gespräch mit dem SWR erzählt Boris Palmer auch, wie stark ihn sein Vater Helmut Palmer, der auch als "Remstal-Rebell" bekannt war, geprägt hat. Das große politische Engagement sei "beeindruckend und belastend" gewesen. Dass der Bürgerrechtler Helmut Palmer (1930-2004) in Baden-Württemberg über die Jahre etwa 290 Wahlkämpfe bestritten hat, um Bürgermeister zu werden, sei die Familie teuer zu stehen gekommen. "Er hat wahrscheinlich in der Summe anderthalb Millionen Euro verbraten für Wahlkämpfe. Und das heißt: Er war am Ende verschuldet, obwohl er so viel gearbeitet hat", sagte der Tübinger OB. Für seine Mutter sei dies "das Schlimmste" gewesen, es habe viel Konflikte gegeben.

Palmer sagt, er sehe die Probleme, aber er habe auch die andere Seite seines Vaters erlebt: "Er war einer der ganz frühen Ökologen. An unserem Marktstand wurden Leute weggejagt, wenn sie eine Plastiktüte wollten, 40 Jahre bevor dieses Plastiktütenverbot dann überhaupt mal erfunden wurde." Helmut Palmer sei ein "wahnsinnig liebevoller und gewinnender Mensch" gewesen, "genauso wie er barsch und hart sein konnte".

Gelernt habe er von ihm, dass man Rückgrat haben und zu seinen Überzeugungen stehen müsse. Sein Vater sei aber auch ein "Sturkopf" gewesen, der nur wenig auf andere Rücksicht genommen habe. "Er war da weitaus brachialer als ich." Selbstkritisch sagte Boris Palmer: "Ich habe natürlich auch Eigenschaften vom Vater übernommen, die ich selber nicht so gut finde. Also wenn Sie meine Frau fragen: Viel zu viele."

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