Tübinger OB fühlt sich nicht ernst genommen

Flüchtlingspolitik: Palmer wirft Bundesregierung Tatenlosigkeit vor

Stand

Steigende Flüchtlingszahlen machen den Kommunen in Baden-Württemberg Sorgen. Sie fordern deshalb mehr Geld vom Bund. Boris Palmer fühlt sich von diesem aber nicht ernst genommen.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne, Parteimitgliedschaft ruht) hat mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen in Deutschland der Bundesregierung Tatenlosigkeit vorgeworfen - und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisiert. "Wenn die Bundesinnenministerin meint, die Kommunen hätten doch keine Probleme und könnten noch gar nicht wissen, was noch alles auf sie zukommt, dann fühle ich mich wirklich nicht ernst genommen und fast schon veralbert", sagte er am Donnerstagabend in der Sendung "RTL Direkt".

Im vergangenen Jahr wurden laut Justizministerium 146.000 Menschen aus der Ukraine, 28.000 Asylsuchende und 3.400 Menschen im Rahmen der humanitären Hilfe aufgenommen. In den ersten Monaten 2023 waren Stand Donnerstag bislang weitere 7.000 Menschen auf der Suche nach Asyl sowie 13.000 auf der Flucht vor dem Ukraine-Krieg und 600 weitere, darunter zum Beispiel Ortskräfte aus Afghanistan.

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Bundesinnenministerin versteht Forderungen der Kommunen nicht

Bundesinnenministerin Faeser hatte erklärt, sie könne Forderungen der Kommunen nach mehr Geld vom Bund für die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachvollziehen. Sie fände es seltsam, wenn bereits Anfang April gesagt werde, das Geld für dieses Jahr reiche nicht aus, sagte sie den Zeitungen der FUNKE Mediengruppe.

Der Bund habe 2022 schon 4,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt und die Sozialleistungen für die Flüchtlinge aus der Ukraine übernommen. Zudem habe der Bund Ländern und Kommunen frühzeitig 2,75 Milliarden Euro an zusätzlicher Unterstützung zugesagt.

Gentges: Bund muss sich für gerechte Verteilung einsetzen

Die baden-württembergische Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) kritisierte Faeser und sagte, ihre Aussagen gehen an der wirklichen Lage vorbei. Es gehe um objektive Kapazitäts- und Leistungsgrenzen. Oft werde der Raum für die Unterbringung knapp, so Gentges. Die ehren- und hauptamtlichen Helfer stießen an ihre Belastungsgrenze oder seien bereits darüber.

Baden-Württemberg habe im vergangenen Jahr deutlich mehr Menschen aufgenommen als in den Jahren der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 zusammen. Das gehe nur mit einer großen Kraftanstrengung aller Beteiligten. Der Bund müsse sich auf europäischer Ebene für eine gerechte und ausgewogene Verteilung einsetzen. Er müsse zudem dafür sorgen, dass die Aufnahmekapazitäten in den Ländern und Kommunen abgefedert würden, sagte die CDU-Ministerin.

Palmer zu Lage der Unterbringung von Geflüchteten: "Kommunen sind überfordert"

Palmer sagte, die Kommunen seien mit der Lage überfordert. "Im Bildungssystem, in den Kitas, auf dem Wohnungsmarkt, selbst in der medizinischen Versorgung sind wir am Anschlag", sagte der Oberbürgermeister. Er forderte für die Kommunen mehr Unterstützung aus Berlin und eine Begrenzung der irregulären Migration. "Das Problem scheint bisher nicht verstanden zu werden oder es wird totgeschwiegen. Und mit den hohen Zahlen, die aktuell erwartbar sind, schaffen das nicht."

Auch der Deutsche Städtetag fordert vom Bund mehr finanzielle Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen. "Die Städte sind weiter bereit, geflüchteten Menschen Schutz zu bieten und ihnen zu helfen", sagte Vizepräsident Burkhard Jung den Zeitungen der FUNKE Mediengruppe. "Aber es fehlt inzwischen an Wohnungen, Kita- und Schulplätzen und an Personal, das alles brauchen wir für die Integration der Geflüchteten." Der Flüchtlingsgipfel, zu dem sich Bund und Länder am 10. Mai treffen wollen, müsse konkrete Ergebnisse liefern, forderte Jung: "Wir erwarten auch die klare Aussage, dass sich die finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern dynamisch an die steigenden Flüchtlingszahlen anpasst."

Landesregierung in der Kritik wegen Bau von Flüchtlingsunterkünften

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte angekündigt, den Bau von Flüchtlingsunterkünften auch gegen den Willen der Kommunen durchsetzen zu wollen und damit den Druck auf die Kommunen erhöht. Das Land mache die durchgängige Erfahrung, dass der Bau von Unterkünften nicht populär sei. "Wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Das ist eine Pflichtaufgabe", hatte Kretschmann am Dienstag betont. Der Zustrom werde nicht abreißen, "davon bin ich persönlich überzeugt".

Dafür hagelte es Kritik bei der Opposition. Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, Anton Baron, warf dem Ministerpräsidenten vor, im Streit mit den Kommunen weiter zu eskalieren. Hans-Ulrich Rülke, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag, kritisierte den von der Landesregierung eingeschlagenen Kurs als "Holzhammermethode".

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