Bürgerliche Protestkultur

Das frühere Wohnhaus von Helmut Palmer in Remshalden-Geradstetten ist Kulturdenkmal

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AUTOR/IN
Tobias Ignée

Der „Remstal-Rebell“ Helmut Palmer, Vater des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer, ist 2004 verstorben. Nun ist dessen Wohnhaus in Remshalden-Geradstetten bei Stuttgart auf die Liste der Kulturdenkmale aufgenommen worden – ein Fachwerkhaus, das durch seine besondere Beschriftung überzeugt und Ausdruck bürgerlicher Prostestkultur ist.

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Ein unscheinbares Fachwerkhaus im Remstal

Geradstetten ist eine kleine Gemeinde im Remstal mit knapp 5000 Einwohnern. Dort an der Unteren Hauptstraße, Ecke Weinbergweg steht ein auf den ersten Blick unscheinbares dreistöckiges Fachwerkhaus mit einem Ladengeschäft im Erdgeschoss in der für die Region typischen Architektur.

Also nicht unbedingt was Besonderes, wäre es nicht das Haus von Helmut Palmer, der 2004 gestoben ist und der weit über die Region hinaus als der sogenannte „Remstal-Rebell“ bekannt war.

Politische Botschaften auf der Fassade

Helmut Palmer, der von Hause aus Gemüse- und Obsthändler war und seine Ware auf vielen Märkten im Raum Stuttgart feilbot, machte aus seiner politischen Überzeugung kein Geheimnis – ganz im Gegenteil. Er diskutierte nicht nur leidenschaftlich mit der Kundschaft über seine Haltung, sondern verewigte sie auch in blauen Lettern auf seiner Hausfassade.

„Besser Stein des Anstoßes als anstößig“ ist darauf etwa zu lesen, oder: „Eigenen Sinn und Glauben, lass ich mir nicht rauben, woran die Menge glaubt, ist leicht zu glauben.“

Der "Rebell vom Remstal", Helmut Palmer steht 1968 vor seinem Haus.
Der „Rebell vom Remstal“ Hemut Palmer 1968 vor seinem Haus.

Persönlichkeit des kritischen Polit-Diskurses

Parolen wie diese oder auch die Nennung von Richtern und Staatsanwälten der NS-Diktatur, die Helmut Palmer mit dem Satz: „Niemals wurde ein Blutrichter zur Rechenschaft gezogen, deshalb der ungebrochene Hochmut der Herren“, kommentierte, sind der Grund, warum das Landesdenkmalamt das Palmer-Haus zum Kulturdenkmal erhoben hat.

Als Ausdruck von bürgerlicher Protestkultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, für die der wortgewaltige Akteur Helmut Palmer wie kaum ein anderer steht.

Er habe eine wichtige Rolle im kritischen Polit-Diskurs gespielt, sagt Jörg Widmaier vom Landesdenkmalamt: „Die politischen Bewegungen dieser Zeit kann man nicht nur durch etablierte Politiker erzählen, sondern auch dadurch, dass man Bürgerprotestler und ihre Aktionen vergegenwärtigt.“

Obstbäume wie Obrigkeiten stutzen

Mit der Haltung, getreu dem Motto wie er auch seine Obstbäume zu schneiden pflegte – „die Oberen stutzen, damit die Unteren Licht bekommen“ – hat sich Helmut Palmer nicht nur Freunde gemacht.

Obwohl er, auch das ist an der Fassade nachzulesen, durchaus erfolgreich in verschiedensten Gemeinden zur Bürgermeisterwahl antrat – in Schwäbisch Hall hatte er es 1974 fast geschafft – fand er damals keinen ortsansässigen Malermeister, der ihm die Hausfassade gestalten wollte.

Boris Palmer erinnert sich: Der Vater polarisierte

Sein Sohn Boris Palmer erinnert sich noch gut daran, wie er als Kind unter dem politischen Engagement seines Vaters zu leiden hatte. „Da hat man mir im Freibad mal Schläge angedroht und mir zugerufen, dass man nur vergessen hatte, meinen Vater zu vergasen“, sagt er.

Es habe aber auch Menschen gegeben, die seinen Vater sehr geschätzt hätten, so der Tübinger Oberbürgermeister weiter: „Und was das Haus angeht, gab es sonntags häufig sogenannte Rallys. Dass heißt, da kamen Menschen vorbei und hatten eine Aufgabe. Sie mussten irgendein Gefach finden, wo eine bestimmte Sache draufsteht und dann konnte ich ihnen erklären: Das steht hinten auf der Seite, da finden sie die Antwort auf ihr Rätsel.“

Boris Palmer machte sich für den Schutz stark

Dass an der Erhaltung seines Elternhauses aufgrund des dokumentarischen Wertes ein öffentliches Interesse besteht und es nun unter Denkmalschutz steht, freut Boris Palmer. Viele Jahre lang hat er sich dafür stark gemacht.

Und wenn man ihn nach einem Spruch auf der Hausfassade fragt, der ihm besonders in Erinnerung geblieben ist und vielleicht auch seine politische Karriere geprägt hat, bekommt man folgende Antwort. „Ich finde einen Satz ganz merkwürdig, weil er auch so eigenartig formuliert ist: Lieber Stein des Anstoßes als anstößig.“ 

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