Der rumänische Afghanistan-Veteran Marius Arcalean bekämpft seine Kriegstraumata mit Malerei. „Ich kann keine Blumen malen, nach allem, was ich erlebt habe“, sagt Arcalean. Nun sind seine Porträts im Stuttgarter Marienhospital zu sehen.
Ein Che Guevara vor dem Stuttgarter Marienhospital
Neulich habe ich Che Guevara gesehen, im Eingang des Marienhospitals Stuttgart. Er sah aus wie immer: Flecktarn-Uniform, Schnürstiefel, Barett und schwarzer, krauser Vollbart. Aber etwas hier ist anders als beim historischen Commandante: Der Mann im Marienhospital hantiert nicht mit Havanna-Zigarren, er ist damit beschäftigt, eine Ausstellung aufzubauen. Einige der Bilder sind offenbar Selbstporträts. Was ist das hier, und wie kommt der Maler zum Guerilla-Look?
„Das Militär hat mich sehr geprägt, durchaus auch in einem guten Sinne. Es war lange Zeit mein Beruf. Ich habe viel erlebt als Soldat, deswegen trage ich diese Kleidung. Sie gibt mir innere Stärke“, sagt Marius Arcalean und lächelt.
Der Rumäne hat offensichtlich eine starke Beziehung zum Militärischen, aber bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass einiges daran ambivalent ist: Vor seiner Brust baumelt neben allerlei anderen Kettchen auch eine Metallplakette, wie Soldaten sie zur Identifikation tragen. Nur ist in seiner keine Kennziffer eingeprägt, sondern ein Limonaden-Logo. Ein waschechter Militarist würde wohl kaum solchen Schabernack zur Schau tragen.
Nach dem Dienst in Afghanistan auf der Straße in Stuttgart
„Ich habe mich in jungen Jahren sehr für Psychologie interessiert, aber meine Lehrerin hat mich in Bukarest an die Kunstakademie gebracht“, erzählt Marius Arcelan. „Erst danach bin Berufssoldat geworden, zuerst kam die Kunst.“ Er hat lange in der rumänischen Armee gedient, und das nicht gemütlich im damals noch friedlichen Europa.
Elf Jahre war er in Afghanistan. Die dortige Mission hat Arcalean als Schutz für die Zivilbevölkerung verstanden, aber was ihm dabei begegnete, waren Schrecken und Tod. Irgendwann wurde das zu viel. Das Leben des Soldaten geriet aus den Fugen, und er fand sich obdachlos in Stuttgart wieder, mit einer notdürftigen Bleibe in einem Cannstatter Garten – und mit dem unverwüstlichen Impuls, Bilder zu malen.
„Die Erfahrungen aus meiner harten Zeit in Afghanistan fließen natürlich in die Malerei ein“, so Marius Arcelan. „Der Arbeitsprozess entspannt mich, aber wenn man sich die Motive anschaut, dann sieht man ja auch, was da fehlt: Ich male keine Blumen.“
Statt dessen Gesichter und Stadtlandschaften, meist in stark farbigen, explosiven Pinselstrichen, angelehnt den Expressionismus, ein Grundgefühl von zerrissener, aber bebender Vitalität.
Das Menschsein kommt in seinen Bildern zum Ausdruck
Dirk Steinfort, Leiter der Stabsstelle Unternehmenskultur im Marienhospital, sieht in Marius Arcelans Werken exemplarisch die Aufgabe seines Hauses reflektiert: „Das Marienhospital hat immer versucht, Kunst zu integrieren, damit dieser Ort von Krankheit und Heilung auch die Dimension Bildende Künste beinhaltet. Wir haben hier seit drei Jahren das Motto über dem Haus stehen: Medizin Leben Mensch sein. Und dieses Menschsein kommt in seinen Bildern sehr gut zum Ausdruck.“
„Als Kind habe ich mich in der Kirche immer gelangweilt. Aber was mich interessierte, waren diese byzantinischen Malereien. Das wollte ich eines Tages selber machen!“ Das hat Marius Arcalean nun schon seit etlichen Jahren erreicht.
Mit Kunst bekämpft Arcalean seine Dämonen
In Stuttgart ist er Dauernutzer der Angebote von „Amos“, einem Netzwerk für kreative Arbeit, das die Caritas unterhält. Arcalean findet dort Raum und Ruhe, um seine inneren Dämonen zu besänftigen. In Skulpturen, Zeichnungen und Malerie verbindet er diese inneren Prozesse mit Beobachtungen aus dem Alltag.
Das trifft offenbar einen Nerv. Dirk Steinfort vom Marienhospital ist jedenfalls mehr als zufrieden: „Wir haben es beim Hängen erlebt, dass Menschen stehen blieben und ihre eigenen Geschichten reingelesen haben. (...) Es beginnt, in den Köpfen der Betrachtenden Geschichten zu entstehen, und das ist eigentlich das Beste, was wir hier auslösen können.“
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