Kulturelle Aneignung durch Kapitalismus und Pop

Multikulturelle Kunst in der ifa-Galerie Stuttgart über die Konflikte der Gegenwart

Stand
Autor/in
Andreas Langen

Die ifa-Galerie Stuttgart zeigt den aktuellen Jahrgang eines Förderprogramms der Kunsthochschule Lyon. Fünf sehr verschiedene Arbeiten beleuchten die wirre Gegenwart von Globalisierung und Selbstermächtigung des globalen Südens.

Paisley hat eine wilde Entstehungsgeschichte

Am Eingang der ifa Galerie trifft man derzeit auf Ayatollah Chomeini. Der iranische Revolutionsführer guckt finster, vielleicht, weil sein Bart seltsame Farbränder hat. Denn Chomeinis Konterfei prangt als billige Farbkopie auf einem Paisley-Muster, gestaltet von der franco-iranischen Künstlerin Parisa Babaei.

Das tropfenförmige Paisley-Ornament hat eine wilde Entstehungsgeschichte: Vor Urzeiten im alten Persien abgeleitet von Pflanzenformen, aufgeladen mit religiöser Bedeutung, in Indien zum textilen Luxusgut umgebaut, über die britische Kolonie nach Europa gebracht, wird das Muster dort dank maschineller Fertigung erschwinglich und Everybody's Darling, erklärt ifa-Kuratorin Bettina Korintenberg. 

Kulturelle Aneignung durch die Weltgeschichte

Korintenberg führt aus: „Königin Victoria fand das Muster wunderschön. Es war dann auch erst mal wahnsinnig teuer herzustellen.Und so kam es dazu, dass es dann schottische Weber es günstig mit der einheimischen Wolle produziert haben. Und deswegen heißt es Paisley, das ist eine Stadt in Schottland.“

Später kamen noch die Beatles und machten Paisley zum Hippie-Symbol; so geht wohl kulturelle Aneignung, made by Weltgeschichte, Pop und Kapitalismus.

Damit befassen sich in dieser Ausstellung fünf junge Kunstschaffende aus dem Maghreb, Europa, Lateinamerika, der Karibik und dem Orient.

 Die großen Konfliktfelder der Gegenwart

Es geht um die großen Konfliktfelder der Gegenwart: Dekolonisierung, Kapitalismuskritik, Identitätspolitik, Ökokrise. Wobei allen sehr wohl bewusst ist, dass sie selber Teil sind der großen Konflikte, sagt Ko-Kuratorin Oulimata Gueye.

Das Kunststück der Ausstellenden besteht darin, Widersprüche umzuformen in kreativen Output. Der im karibischen Guadeloupe geborene Simon Gabourg thematisiert die wirtschaftliche Ausbeutung der Tropen und globale Warenströme Richtung Norden. Gabourgs zentraler Gegenstand: Die Transport-Palette.

Simon Gabourg, Bye Bye Forever, 2023
Simon Gabourg, Bye Bye Forever, 2023.

Aus dem billigen Paletten-Holz schleift und schnitzt Simon Gabourg abstrakte, organisch wuchernde Formen von großer Schönheit.

Ein Werkzeug der Selbstermächtigung

Um Schönheit einer eigenen Art geht es auch in einer kulturellen Graswurzelbewegung des südamerikanischen Anden-Raums, der „Cholonization“. 

„Mit dem Schimpfwort „Cholo“ haben die Spanier Hinterwäldler bezeichnet, die noch in der indigenen Tradition verwurzelt sind. Mir geht es darum, Cholo zu einem Werkzeug der Selbstermächtigung zu machen“ erklärt Tin Ayala aus Ecuador.

In der ifa-Galerie hat der junge Mann, der perlenverzierte Zöpfe trägt, ein fettes Sound-System aus Lautsprechern und DJ-Pult aufgebaut. 

Tin Ayala, Qualltron, 2024
Tin Ayala, Qualltron, 2024.

Das Design ist neo-andin, ein Mix aus indigenen und Comic-Elementen, genauso wie seine futuristisch dekorierte Sonnenbrille. Ayala spielt Musik, die prä-kolumbianische Rhythmen mit Synthesizer verbindet, und die in den Anden massenhaft auf Cholo-Märkten gehandelt wird. 

Die Cholos laden zum Feiern ein

Hier ist die Verbindung der eigenen Tradition mit der elektronischen Gegenwart also schon vollzogen. Damit sind zwar die Ungerechtigkeiten der postkolonialen Welt noch lange nicht behoben, aber die Cholos laden trotzdem ein, mit ihnen zu tun, was sie immer schon getan haben: gemeinsam feiern!

Ausstellung: „The Conflictive and Contradictory“,
2. August - 6. Oktober,
ifa Galerie Stuttgart

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