Die Baden-Badener Künstlerin Simone Demandt hat Menschen fotografiert, die unbemerkt und schlecht bezahlt neben uns herleben: Fernfahrer. Es sind beeindruckende, schwarz-weiße Fotos, die die Menschen nicht im LKW zeigen, sondern fast lebensgroß, aufrecht stehend. Die Porträts sind zu sehen in der Kunsthalle Göppingen.
Stumme Statisten der Just-in-Time-Ökonomie
Die Fotografin Simone Demandt musste vor ein paar Jahren viel Autobahn fahren, oft nachts. Bei Kaffeepausen an Raststätten sah sie einsame Männer am Tresen, tief über ihre Becher gebeugt – Fernfahrer. Da fiel ihr auf, dass sie diese stummen Statisten der just-in-time-Ökonomie niemals gebührend beachtet hatte: „Eine Gruppe, die parallel neben uns herlebt und -fährt“. Simone Demandt startete ihr Foto-Projekt „Movers“.
Die Künstlerin fertigt lebensgroße Bilder von Truckern, die jetzt erstmals gezeigt werden, in der Kunsthalle Göppingen. 25 Figuren stehen aufrecht vor weißem Hintergrund. „Ich wollte sie nicht in ihrer Fahrerkabine oder vor dem Lastwagen zeigen, sondern ihre Gestalt“, sagt Demandt. Wie stehen sie da? Welche Körperhaltung haben sie, welche Mimik? In den Gesichtern der Fernfahrer ist Unsicherheit und Einsamkeit zu sehen, aber auch Virilität und Stolz.
Größter Respekt für die Modelle
Wenn man ganz heran geht an diese Bilder, werden sie leicht unscharf und etwas körnig – kein technischer Fehler, sagt die Künstlerin: „In all meinen Porträts ist immer eine gewisse Unschärfe drin, absichtlich.“ Poren und Falten, findet die Fotografin, sind Privatsache.
Die Künstlerin behandelt ihre Modelle mit größtem Respekt. Ihre Perspektive ist eine ganz leichte Untersicht, man blickt also zu den Truckern auf. Die Art und Weise, Menschen in schwarz-weißen Porträts zu zeigen, erinnert an Fotos von August Sander, einem der wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Er hat in der Zeit der Weimarer Republik schwarz-weiße Porträts von Menschen aus verschiedenen Berufsgruppen gemacht.
Budapest – Valencia: Die Routen als Bildtitel
Den am Ende wichtigsten Impuls für Simone Demandt gab aber der amerikanische Fotograf Richard Avedon mit seinem Foto „Billy Mudd, Trucker, Alto, Texas, May 7, 1981“ aus der Reihe „In the American West“. Richard Avedon hat viele Prominente des 20. Jahrhunderts fotografiert, wie Marilyn Monroe und Charlie Chaplin, aber auch Wanderarbeiter und Arbeiter auf Ölfeldern.
Im Gegensatz zu Richard Avedon stellt Simone Demandt bei ihren Trucker-Fotos keine Namen unter das Bild. Die Bildtitel bestehen stattdessen aus den Endpunkten der Routen, etwa „Budapest – Valencia“ oder „München – Barcelona“. Das beschreibt keine Urlaubsziele, sondern einen Knochenjob. Die Fernfahrer erzählten im Gespräch, dass Touristen sie beschimpfen, sie würden die Toiletten verdrecken.
Soziologische Tiefenbohrung mit der Kamera
Die meisten Fahrer stammen aus Osteuropa, sie verdienen im Schnitt zehn Euro die Stunde. Viele sehen ihre Familien nur alle paar Monate. Wenn in diesem Mikrokosmos der Marginalisierten plötzlich eine Unbekannte auftaucht, die Fotos machen will, ist Skepsis noch eine freundliche Reaktion. Beim ersten Versuch in Begleitung einer Dolmetscherin kassierte Simone Demandt reihenweise Abfuhren.
Bis sie eine andere Lösung gefunden hatte: Ein siebensprachiger Zettel mit der Aufschrift: „Ich bin Künstlerin“. Das machte klar: Kein Zoll, keine Versicherung, kein Stress. So erhielt sie das Vertrauen ihrer Modelle. Über vier Jahre hinweg verbrachte Simone Demandt viele Sonntage in Gesellschaft der motorisierten Lonesome Rider – eine soziologische Tiefenbohrung mit der Kamera. Sie möchte diesen Menschen zumindest das verschaffen, was Fotografie herstellen kann: Sichtbarkeit.