Kann man anständig bleiben, wenn man von Repression und Korruption umgeben ist? Der neue Kriminalroman „Anständige Leute“ des Kubaners Leonardo Padura kreist um diese Frage. Sein schon bekannter Ermittler Mario Conde muss den Mord an einem gefürchteten Kunst-Zensor aufklären, der in der Castro-Diktatur vielen Künstlern das Leben schwer gemacht hat. Parallel dazu erzählt Padura das abenteuerliche Leben eines Zuhälters gut 100 Jahre vorher, das auch nicht gut endet. Ein etwas weitschweifiger und doch unterhaltsamer Gesellschaftskrimi aus Kuba.
Havanna im März 2016: Kubas Hauptstadt ist im Ausnahmezustand. US-Präsident Barack Obama wird zu einem historischen Besuch erwartet, wenige Tage später wollen die Rolling Stones zum ersten Mal in dem sozialistischen Inselstaat auftreten.
Als wäre all dies nicht schon genug Arbeit für die Polizei, wird ein ehemaliger hochrangiger Funktionär – ein gefürchteter Kunst-Zensor – tot aufgefunden. Grausam verstümmelt liegt er in seiner Luxuswohnung in einem Hochhaus mit Panorama-Blick.
Mit diesem fiktiven Mord in einem realen zeithistorischen Kontext beginnt Leonardo Paduras Roman „Anständige Leute“. Wieder einmal wird der Ex-Polizist Mario Conde mit dem berühmt-berüchtigten siebten Sinn von seinen ehemaligen Kollegen um Hilfe gebeten, ein Verbrechen aufzuklären. Kurze Zeit später kommt noch ein zweiter Toter hinzu: Ex-Schwiegersohn des ersten Mordopfers. Beide hatten unter Fidel Castro viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt.
Die Geschichte eines Kunst-Zensors unter Fidel Castro
In Paduras Roman heißt der Zensor Reynaldo Quevedo. Personen wie ihn gab es tatsächlich im sozialistischen Castro-Regime. Quevedo verfolgte Künstlerinnen und Künstler wegen „ideologischer Abweichung“ und stellte Homosexuelle und Christen an den Pranger.
Im Roman nimmt sich eine Dichterin deswegen das Leben. Nicht nur werden die Geächteten hart bestraft und dürfen ihre Kunst nicht mehr ausüben – Quevedo reißt sich auch Werke seiner Opfer unter den Nagel. Leonardo Padura schreibt:
Mit der Unterdrückung der kubanischen Kunstwelt, die in den 1970er Jahren besonders brutal war, berührt Leonardo Padura ein kaum aufgearbeitetes Kapitel der jüngeren Geschichte seines Landes. Dass die beiden Morde in seinem Roman etwas mit diesen schmerzhaften Geschehnissen zu tun haben, wird rasch klar.
Der berühmte kubanische Zuhälter Alberto Yarini (1882-1910) tritt auf
Aber in „Anständige Leute“ gibt es auch noch einen zweiten, nicht minder fesselnden Erzählstrang. Padura vertieft sich in das abenteuerliche Leben einer kubanischen Legende: Alberto Yarini, Zuhälter-König und charismatischer Patriot mit politischen Ambitionen, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Havanna vom Volk verehrt wurde.
Auch sein Leben endete nicht gut. Auf den ersten Blick haben die beiden abwechselnd erzählten Geschichten nichts miteinander zu tun, aber nach und nach offenbaren sich Berührungspunkte.
schreibt der Mörder des Kunst-Zensors, nachdem er aufgeflogen ist, an den Ermittler Conde. Paduras Roman kommt immer wieder auf den Begriff der Anständigkeit zurück. Kann man einen Mord begehen und trotzdem anständig sein – weil das Opfer ein skrupelloses Monster war?
Oder: Wie bleibt man anständig, wenn Doppelmoral und Korruption alles beherrschen? – ob nun in der heutigen Diktatur oder vor 100 Jahren, als Prostitution, Drogenhandel und Glücksspiel auf Kuba blühten und auch Polizei und Politik durchdrangen. Leonardo Padura schlägt mit diesen Fragen gekonnt einen Bogen zwischen beiden Handlungssträngen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Ermittler Conde wirft einen luziden und desillusionierten Blick auf Kuba
Er lässt sein Alter Ego, den chronischen Pessimisten Mario Conde, luzide und desillusionierte Blicke auf seine Heimat werfen. Gerade auch auf die Prostitution, allgegenwärtig im vorrevolutionären Havanna, aber auch heute für viele Kubanerinnen und Kubaner ein Ausweg aus ihrer wirtschaftlichen Misere.
Wir erleben durch die Augen Condes, der abends in einem angesagten Restaurant als Security-Mann jobbt, die krassen Gegensätze im Land: Da sind die Pechvögel, die im realexistierenden Sozialismus kaum über die Runden kommen, und die Glücklichen, die Devisen ergattern und sich viele Annehmlichkeiten leisten können.
In den Tagen rund um den Obama-Besuch und das Stones-Konzert, in denen Leonardo Padura seinen Roman ansiedelt, herrschte bei vielen Kubanern Euphorie und Hoffnung auf mehr Freiheiten und wirtschaftliche Besserung. Dass das nicht anhalten würde, sieht Ermittler Mario Conde voraus:
Ein unterhaltsamer und traurig aktueller Roman
„Anständige Leute“ ist ein traurig aktuelles Buch, denn die Kunst-Zensur auf Kuba gehört nicht der Vergangenheit an. Auch heute werden unabhängige Kulturschaffende gegängelt. 2018 erließ die Regierung ein Dekret, das Zensur und Einschränkungen der Kunstfreiheit festschrieb.
Auf Proteste aus der Kulturszene folgten Verhaftungen und Verurteilungen. Künstler sitzen im Gefängnis, andere sind ins Exil gegangen. Padura packt das schwere Thema in einen unterhaltsamen, allerdings etwas ausschweifenden Krimi, vor allem aber ist „Anständige Leute“ ein Gesellschaftsroman mit erhellenden Einblicken in Kubas Abgründe und Umbrüche.
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