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Frauen | Lyrik. Gedichte in deutscher Sprache

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„Ich sitze da und stricke Strumpf. – / Und unterm Hause ist ein Sumpf. / Drum steht das Haus nach vorn geneigt, / so wie ein Geiger, wenn er geigt.“

Ein großartiges Gedicht, das einen vollkommen neuen, überraschenden und vor allem weiblichen Blick auf die Welt wirft. Von wegen. Das Frappierende und Überzeugende an diesem knapp 900 Seiten starken Kompendium ist der Umstand, dass die Literaturwissenschaftlerin Anna Bers für ihre Zusammenstellung von Gedichten zwar den Titel „Frauen / Lyrik“ gewählt hat, sich aber dafür entschieden hat, auch Gedichte von Männern aufzunehmen und in produktive Relation zu den Werken von Dichterinnen zu setzen.

Es geht um die Herausbildung weiblicher Stimmen durch die Jahrhunderte, um die Formulierung eines Gegenkanons zum von Autoren dominierten Konsens und auch um die Dekonstruktion der als historisches Konstrukt beschriebenen Zweigeschlechtlichkeit.

Ein hochaktueller Diskurs also, deren Problemstellung Bers als Auftrag zur Feinjustierung begreift. Kein Wunder also, dass die Herausgeberin ihrem Buch „Eine Art Gebrauchsanweisung“ vorangestellt hat. Dabei wird es dann aber gar nicht allzu kompliziert, denn es geht letztendlich immer um Lektüre und Reflexion.

Angefangen beim Ersten Merseburger Zauberspruch über Roswitha von Gandersheim zugeschriebene Widmungstexte bis hin zu Eugen Gomringers „avenidas“-Gedicht, das zu einer Debatte über den Blick auf den weiblichen Körper führte, unternimmt „Frauen/Lyrik“ den Versuch einer Erkundung von weiblichem Schreiben und Schreiben über Weiblichkeit.

Das eingangs zitierte Gedicht stammt übrigens von Heinz Erhardt.

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Autor/in
SWR