Alex ist ein Mädchen im Körper eines Jungen. In den 1980er Jahren wächst sie in einem Arbeiterviertel von Madrid auf. Von diesem Drama erzählt Alana S. Portero in ihrem Roman „Die schlechte Gewohnheit“. Die spanische Autorin weiß, wovon sie spricht: Sie ist selbst Trans-Frau.
Das Kind Alex lebt in einem ärmlichen Stadtteil von Madrid. Schon früh weiß es, dass es ein Mädchen ist, obwohl es im Körper eines Jungen geboren wurde. Heimlich schminkt sich Alex im Badezimmer oder tanzt zur Musik von Madonna, wenn die Eltern nicht zuhause sind. Der Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter Putzfrau. Als Alex älter wird, spielt sie tagsüber den ganzen Kerl, den das Umfeld in ihr sieht. Sie versteckt ihre wahre Geschlechtsidentität – aus Angst und aus Scham.
Selbstverleugnung und Nachtleben
So schildert die spanische Autorin Alana S. Portero Alex‘ inneren Konflikt. Die junge Transsexuelle leidet zutiefst unter der Selbstverleugnung. Die schlechte Gewohnheit, die dem Roman seinen Namen gegeben hat, ist, dass Alex viel weint. Lebendig und wahrhaftig fühlt sie sich erst nach Einbruch der Dunkelheit, wenn sie für einige Stunden in das Madrider Nachtleben eintaucht und in Frauenkleidern ihre weibliche Identität und ihre Sexualität erkundet.
Die 46-jährige Autorin Alana S. Portero ist selbst transsexuell. Früher war sie ein Junge. Jetzt ist sie eine Frau.
Alana S. Portero:
El barrio. ... Y evidentemente la experiencia trans – aunque mi experiencia es diferente de la de la protagonista de la novela. Yo necesitaba esas dos o tres ayudas personales para poder crear una buena ficción encima, para usarlas como suelo para construir un buen texto. La novela tiene mucho menos que ver conmigo de lo que parece.
Voiceover:
Das Viertel San Blas, in dem die Protagonistin aufwächst – da komme ich auch her. Und natürlich die Tatsache, dass sie wie ich eine Trans-Frau ist, obwohl meine Erfahrung anders ist als ihre. Diese paar Bezugspunkte brauchte ich als Grundlage für eine gute Fiktion. Aber der Roman hat viel weniger mit mir persönlich zu tun als es scheint.
Das Kind als Chronistin
Im heruntergekommenen San Blas müssen die Bewohner in den 1980er Jahren hart als Fabrikarbeiter oder Bedienstete schuften. Nachbarinnen werden von ihren Männern verprügelt, Jugendliche betäuben sich mit Heroin. Durch die Augen und die Stimme von Alex erleben wir das Viertel. Das sensible und scharf beobachtende Kind ist eine Chronistin der rauen Wirklichkeit. Zugleich ist sein Blick auf die Menschen von San Blas freundlich und mitfühlend. Alex selbst wird in einer liebevollen Familie groß, aber (eben) auch in einer Umgebung, in der queere Menschen verspottet werden oder sogar Gewalt erfahren.
Vor ihrer Angst und Einsamkeit flüchtet sich Alex oft in Traumwelten, die von Fabelwesen bevölkert werden. Und wenn sie sich als Jugendliche in der Madrider Nacht Männern hingibt, beschreibt sie sie diese als Drachen und sich selbst als geflügelte Nymphe.
Der Mut, sich so zu zeigen, wie man wirklich ist
Ein Roman voller phantastischer Abschweifungen, die etwas mit der Leidenschaft der Autorin für Mythen und Märchen zu tun haben, wie sie selbst erzählt.
Alana S. Portero schildert den schwierigen Prozess von Alex‘ Transition berührend, passagenweise aber auch leicht und humorvoll. Die harten, schmerzhaften Erfahrungen der Protagonistin bricht sie durch die poetischen Einschübe und auch durch die warmherzige Beschreibung einer Reihe von Menschen, die Alex Weg kreuzen und ihr letztendlich Hoffnung geben. Porteros Debüt ist mehr als ein Trans-Roman. Es ist eine universelle Geschichte über die schwierige Suche nach sich selbst und über den Mut, den es braucht, um sich so zu zeigen, wie man wirklich ist.
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