Buchkritik

Susan Sontag – Über Frauen

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AUTOR/IN
Judith Reinbold

Susan Sontag gilt als eine der einflussreichsten Denkerinnen des letzten Jahrhunderts. Der Essayband „Über Frauen“ versammelt ihre wichtigsten Beiträge zu politischen, ökonomischen und ästhetischen Aspekten des Frauseins – die heute mindestens so relevant sind, wie zu Sontags Lebzeiten. Ein weiteres Mal erweist sich die Philosophin als kluge und aufmerksame Beobachterin der Gesellschaft, die ihrer Zeit weit voraus war.

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Die amerikanische Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag  (16. Januar 1933  - 28. Dezember 2004) im Jahr 2000 auf dem Schriftsteller-Festival in Prag.
Die amerikanische Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag (16. Januar 1933 - 28. Dezember 2004) im Jahr 2000 auf dem Schriftsteller-Festival in Prag.

In einem Beitrag für die Frauenzeitschrift Libre schreibt Susan Sontag, die Befreiung der Frauen sei eine notwendige Voraussetzung für den Aufbau einer gerechten Gesellschaft. Der Aufsatz ist Teil des Essaybands „Über Frauen“, den Susan Sontags Sohn, David Rieff, jüngst publizierte. Er enthält die wichtigsten Aufsätze von Susan Sontag zum Thema Frausein. Die US-amerikanische Autorin widmet sich darin politischen, ästhetischen und ökonomischen Aspekten und macht deutlich, wie sich unsere Vorstellungen von Geschlecht auf die Lebenswirklichkeit von Frauen auswirken.

Eine kritische Beobachterin, die ihrer Zeit voraus war

Sontag erweist sich dabei als kluge und aufmerksame Beobachterin der Gesellschaft. Wie ihre Bücher „Das Leiden anderer betrachten“ oder „Über Fotografie“ sind auch die Texte in diesem Band anspruchsvoll und doch gut verständlich. Sontag findet eine Sprache, die ihr eine präzise und wissenschaftlich fundierte Argumentation erlaubt und sich doch flüssig liest. Die Philosophin beweist ein weiteres Mal, dass sie ihrer Zeit weit voraus war. Die Denkmuster und Machtstrukturen, die sie in den USA der Siebzigerjahre offenlegte, lassen sich auch in der heutigen westlichen Gesellschaft beobachten.

Keine Frage, Schönheit ist eine Form von Macht. [...] Beklagenswert ist jedoch die Tatsache, dass es die einzige Form von Macht ist, nach der zu streben Frauen ermuntert werden. Diese Macht definiert sich immer im Verhältnis zu den Männern: Es ist nicht die Macht, zu tun, sondern die Macht, Anziehung auszuüben. Es ist eine Macht, die sich selbst negiert.

Auch unbequeme Wahrheiten kommen ans Licht

Susan Sontag scheut nicht davor zurück, die Dinge beim Namen zu nennen. Auch solche, die vielleicht nicht gern gehört werden, etwa, dass die Befreiung der Frau unmittelbar an den Verlust männlicher Privilegien geknüpft ist. Oder dass Frauen zum Teil selbst an der Aufrechterhaltung repressiver Strukturen mitwirken.

Manche Passagen sind durchaus brisant, etwa wenn die Autorin die Geschlechterdiskriminierung mit der Rassentrennung oder Kolonialzeit vergleicht.

Alle Frauen leben in einer »imperialistischen« Situation, in der die Männer die Kolonialherren und die Frauen die Kolonialisierten sind.

Hier erweist sich eine Anmerkung der Autorin als hilfreich: Sie erläutert, dass der Beitrag in der sozialistischen Frauenzeitschrift Libre erschienen ist, was die revolutionär-sozialistische Rhetorik erklärt. Eine Kontextualisierung wäre auch bei dem Beitrag über die umstrittene Regisseurin Leni Riefenstahl hilfreich gewesen. Dieser weicht nämlich inhaltlich von den vorigen Texten etwas ab und befasst sich vor allem mit Ästhetik und Faschismus.

Diskursfreude statt Dogmatismus

Ein Briefwechsel mit der Dichterin Adrienne Rich zeigt, dass Sontag in der feministischen Szene umstritten war. Sie distanziert sich auch selbst von Teilen der Frauenbewegung und betont, dass sie ihre „Texte nicht von A bis Z in den Dienst der feministischen Sache gestellt“ habe.

Sontag ist engagiert in der Debatte, schlagkräftig und selbstbewusst. Sie greift verschiedene Perspektiven auf, entkräftigt gekonnt gängige Klischees und benennt deutlich, was sich ändern müsste, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen:

Die Demokratisierung der Familienarbeit ist einer der erforderlichen Schritte, um die repressive Definition der Rollen von Ehemann und Ehefrau, Mutter und Vater zu verändern.

Der Band knüpft also eng an heutige Diskurse an und ist beinahe erschreckend aktuell. Darüber hinaus können wir von der Philosophin einiges lernen, was den Umgang mit kontroversen Themen und festgefahrenen Debatten betrifft.

Meiner Ansicht nach verdient nur eine kritische, dialektische, skeptische, jeder Vereinfachung entgegenwirkende Intelligenz, verteidigt zu werden.

Wer entlang von Parteilinien denkt, so Susan Sontag weiter, produziere nichts als „intellektuelle Monotonie und schlechte Prosa“.

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