Der Kölner Künstler Frank Bölter baut in Zusammenarbeit mit Passanten ein begehbares Papp-Modell der Kunsthalle Göppingen auf dem dortigen Bahnhofsvorplatz. Die „Kunsthalle Neo“ wird zum temporären Pavillon für Ausstellungen und Auftritte von jedermann. „Wir bauen nicht für die Ewigkeit“, sagt Bölter, „sondern für die Gemeinschaft.“
Seltsame Gebilde aus Karton
In der Innenstadt von Göppingen haben Passanten derzeit an einigen Stellen guten Grund, sich zu wundern. Auf dem Bahnhofsvorplatz stapeln sich Massen brauner Wellpappenkartons, und ein paar hundert Meter weiter Richtung Rathaus blockieren vier seltsame Gebilde aus weißem Karton die Bürgersteige der Altstadt.
Die Klötze ähneln Autos auf Kinderzeichnungen, sind aber so groß wie echte Fahrzeuge. Ausgeheckt hat das Ganze der Kölner Künstler Frank Bölter, erklärt Veronika Adam von der Kunsthalle Göppingen: „Wir haben mit Frank Bölter mit 110 jungen Menschen vier Autos gefaltet, und die parken jetzt eben falsch in Göppingen, in der fußgängerfreundlichen Innenstadt und sollen im Grunde dazu beitragen, dass wir Autos eben auch mal von der anderen Seite sehen.“
Aus Autos werden Papierblumen
Konstruktive Verwirrung stiften, im öffentlichen Raum und unter Beteiligung möglichst vieler Leute: Das ist ein Markenzeichen von Bölters Eingriffen. Die falsch geparkten Göppinger Karton-Autos wird er an Ort und Stelle zu großen Papierblumen verarbeiten und verschenken.
Vor dem Bahnhof aber ist für die kommenden Wochen Frank Bölters Hauptquartier, denn dort entsteht ein Nachbau der Göppinger Kunsthalle im Maßstab 1:2,5. Zusammen mit Arbeitern des städtischen Bauhofs verlegt er das Fundament, ein Gitter aus breiten Brettern, etwa 120 Quadratmeter groß.
Jedes Kind kann mitmachen
Nachdem das Fundament verschraubt ist, ziehen die Fachleute vom Bauhof ab. Denn von jetzt an soll hier nicht nur ein Museums-Nachbau entstehen, sondern vor allem eine soziale Skulptur.
Buchstäblich jedes Kind kann mitmachen. Auf Biergarten-Tischen liegen vorgestanzte Pappen, aus denen man mit wenigen Handgriffen eine Art breiten Rahmen faltet, etwa doppelt so groß wie ein Schuhkarton: die Bausteine.
Ingenieure der Firma Seyfert aus Reichenbach an der Fils haben diese Module für Bölters Projekt entwickelt – die Stabilität dürfte gewährleistet sein.
Partizipativ bis ins Detail
Eine ganz andere Frage ist, was die zufällig vorbeikommenden Steinfalter und Bauleute mit den Plänen anfangen, die zeigen, wo Wände, Türen und Fenster hingehören. „Ob sich jetzt die Leute daran halten, darauf bin ich auch gespannt. Ich sage denen, wo die Tür hinkommt. Wenn die jemand zumauert, dann muss ich da vielleicht (...) eine Tür wieder reinschneiden. Das ergibt sich dann, auch das muss ich dann lernen, dass ich das nicht alleine entscheide“, sagt Frank Bölter.
Basisdemokratisch entschieden wird auch, was innerhalb der Pappmauern ausgestellt wird. Denn die „Neo-Kunsthalle“, so der Werktitel, soll als offene Präsentationsfläche dienen.
Offener Dialog über das, was ausgestellt wird
Musiker aus Österreich und der Schweiz haben bereits Interesse an Auftritten angemeldet, und natürlich ist Platz für Bilder und Skulpturen.
„Das besprechen wir hier im Dialog mit allen Beteiligten, wer was zeigen darf und wenn es da Dissonanzen gibt, dann kann man auch das Ausgestellte überkleben oder übermalen, überzeichnen oder mit einem Graffiti versehen. Das darf also verändert werden. Es ist sozusagen ein offener Dialog, was es wert ist, ausgestellt zu werden.“
Ein anderer Mitwirkender, der bekanntlich so gar nicht mit sich reden lässt, ist das Wetter. Zum Boden hin soll das hölzerne Fundament vor Wasser schützen, aber was von oben kommt, das weiß der Himmel.
Und selbst wenn irgendwann mal nichts mehr halten sollte, weil Basisdemokratie oder Luftdruckverhältnisse die Neo-Kunsthalle zerbröseln, dann wäre das ihrem Schöpfer gar nicht so unrecht.
„Es geht sowieso grundsätzlich auch darum, dass wir auch mal die Kontrolle verlieren. (...) Insofern sehe ich das mehr als Übung, um den Gemeinschaftsgeist zu bilden und auch in Gemeinschaft das Loslassen zu üben“, sagt der Künstler.
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