In den 1990er Jahren ist Yury Kharchenko mit seinen Eltern als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen. In seinen Werken beschäftigt er sich damit, was jüdische Identität ausmacht und was es bedeutet, wenn das Wissen um den Holocaust immer mehr verloren geht. Seine Bilder sind jetzt im Hällisch-Fränkischen Museum in Schwäbisch Hall zu sehen.
Das Bild erinnert an Jurassic Park: Vor einem kreisrunden, gelben Mond zeichnet sich die Kulisse eines furchterregenden Tyrannosaurus ab. Gelbe Sterne, Davidsterne, regnen vom nachtschwarzen Himmel.
Und über allem schwebt ein Schriftzug, der an die Aufschrift über dem Vernichtungslager Auschwitz erinnert. Doch statt „Arbeit macht frei“ ist dort nun „Welcome to Jewish Museum“ zu lesen.
Erinnerungskultur in Deutschland als prähistorischer Dinosaurier
Hinter dem Werk steht die Frage nach einer deutschen Erinnerungskultur, die Yury Kharchenko als überholt, als träge empfindet:
„Die Erinnerungskultur in Deutschland hat die Atmosphäre eines prähistorischen Dinosauriers, weil es einfach nichts mehr bringt, weil es die Menschen nicht mehr innerlich berührt.“
Der Bezug zur Gegenwart fehlt
Noch schärfer zeichnet Yury Kharchenko diese Kritik in einem Bild mit zwei Comic-Kultfiguren aus einer Zeichentrickserie der 1990er Jahre: Beavis and Butt-Head, zwei dümmliche Teenies, die hier nun ratlos vor dem Auschwitz-Tor stehen und mit den Geschehnissen der Vergangenheit, mit dem Massenmord an den Juden, nichts mehr anzufangen wissen.
Die Erinnerungskultur habe keinen Bezug zur Gegenwart, zu den aktuellen Problemen, meint der Berliner Künstler.
Seit dem 7. Oktober gibt es keinen Schutzraum mehr
„Hätte es das nicht gegeben, den Holocaust, ist es schon sehr zweifelhaft, ob Israel entstanden wäre. Israel ist als Folge der Shoa entstanden, weil es eben um den Schutzraum der Juden ging nach der Ermordung der sechs Millionen Juden.“
Ein Schutzraum, den es seit dem 7. Oktober für Juden nicht mehr gebe. Weder in Israel noch anderswo. Mit dem brutalen Überfall der Hamas auf einen israelischen Kibbuz ist die Zeit für Yury Kharchenko eingefroren.
Eine ganze Bilderserie beschäftigt sich mit dem Gaza-Krieg. Die Uhren auf diesen Werken sind stehen geblieben: Symbol für eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, aus der es kein Entkommen zu geben scheint.
Verweise auf den Ukraine-Krieg
Seinen Großvater, der als Soldat der Roten Armee für die Befreiung von Auschwitz gekämpft hat, steckt er in ein Superhelden-Kostüm und legt ihm einen blutigen Schal um, der auf den aktuellen Ukraine-Krieg verweisen soll.
Daneben zwei Porträts: die Eltern des Großvaters. Die Mutter wurde als Jüdin von den Nazis ermordet, der Vater im sowjetischen Gulag als Volksfeind. Konstrukte wie Identität und Nationalismus tragen vor diesem Hintergrund nicht.
Politik als Konstante
Was Identität stiften könnte, spiegelt eine Reihe völlig anderer Schwarz-Weiß-Porträts wider: „Die sind entstanden während der juristischen Reform von Netanjahu, wo er das Gericht entmachten wollte. Das war die Frage nach der Demokratie: bleibt Israel ein demokratischer Staat oder nicht.“
Das Spannende an dieser Ausstellung und an diesem Künstler: Es gibt keine eindeutige Handschrift, der Stil wechselt und verweigert sich einer klaren Zuordnung. Nur eine Konstante ist nicht zu übersehen. Selbst wenn Yury Kharchenko Blumen malt, sind diese politisch.
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