Eine einfache Mundharmonika und deren Melodie werden zum Symbol des Todes und der lebenslang ersehnten Rache. Dieses einfache Instrument ist im Grunde der unauffällige Protagonist in „Spiel mir das Lied vom Tod“, einem Western von 1968, gedreht von Sergio Leone.
Charles Bronsons Figur, „Mundharmonika“ genannt, will Rache an dem Banditen Frank (Henry Fonda) nehmen und spielt immer wieder auf seiner Mundharmonika, die zu einem Leitmotiv im Film wird.
Western als verlorenes Paradies
Dieser meisterhafte Western gehört zu den Italo- oder auch sogenannten Spaghetti-Western, ein Genre, das vom italienischen Regisseur Sergio Leone geprägt wurde.
Western sind nicht nur brutale Geschichten im Wilden Westen, sondern zeigen auch abgründige urmenschliche Gefühle: Rache, Schmerz, Gier, Einsamkeit und Tod.
Sie seien ein Ausdruck einer verkappten Sehnsucht des modernen Menschen nach einer vermeintlich verlorenen Unschuld, erklärt SWR-Filmkritiker Rüdiger Suchsland: „In aller Härte, Brutalität und Primitivität ist die Welt des Westerns auch ein Paradies, ein lost paradise.“
Western als Darstellung des Zeitgeistes der 70er-Jahre
Western entsprachen vor allem in den 70er-Jahren dem Zeitgeist der kulturellen Revolte und der Hippies, meint Suchsland.
Vor allem bestimmte Figuren, insbesondere die sogenannten „Outlaw“-Figuren verkörperten den Freiheitsdrang jener Generation. Sie konnten auch deshalb zu „Metaphern der Jugendlichen werden, da sie sich auch als Outlaws gefühlt haben, die mit Bankräubern sympathisierten und diese zu anti-kapitalistischen Helden verklärten,“ so Suchsland.
Insbesondere stelle der Western eine archaische Welt dar, deren Helden, die Einzelnen gegen den Staat, gegen die Ordnung, gegen das Gesetz waren und als solche gefeiert wurden.
Clint Eastwood: Ein Western-Held
Clint Eastwood war damals als Schauspieler fast unbekannt, als Leone ihn entdeckte und für seinen ersten Western engagierte: „Für eine Handvoll Dollar“. Dies war Eastwoods Taufe als Western-Held schlechthin.
Im Interview mit Esquire erklärte Clint Eastwood einmal, warum Western seiner Meinung nach so erfolgreich seien: Es habe etwas Fantastisches an sich, wenn ein Mensch allein gegen die Elemente oder sogar Bösewichte kämpfe. Western spielten in einer einfachen Zeit ohne organisierte Gesetzte.
Obwohl Western in einem spezifischen historischen Zeitraum spielen, seien sie doch als Genre universell, sagt Suchsland, weil „es einige archaische Grundmuster menschlichen Lebens aufgreift und relativ unverfälscht auf sich selbst überträgt.“
Tarantino kombiniert die Genres miteinander
Auch zeitgenössische Regisseure haben sich dem Genre gewidmet, beispielsweise Paul Thomas Anderson mit „There Will Be Blood“ – obwohl er üblicherweise andere Genres bedient – oder der Sergio-Leone-Fan Quentin Tarantino, der unter anderem Western wie „Django Unchained“ und „The Hateful Eight“ realisiert hat.
Tarantino sei ein Regisseur der Postmoderne, so Suchsland, das heiße, dass er Genres weniger als strenges Regelwerk und Verpflichtung sehe, sondern eher als Werkzeugkästen, aus denen man sich beliebig bedienen kann und sie „vor allem beliebig miteinander kombinieren kann“. Tarantino interpretiert demnach ein klassisches Genre neu.
Trotz des erkennbaren Tarantino-Stils in seinen Western würdigt der Regisseur Leone, indem er die Film-Musik von Leones Freund und Meister der Western-Musik par excellence komponieren ließ: Ennio Morricone.
Großer Italo-Western-Fan: Bela B von den Ärzten
Auch Bela B von den Ärzten ist ein großer Italo-Western-Fan. 2016 sprach er im Western-Hörbuch „Sartana – Noch warm und schon Sand drauf“ die Rolle des Protagonisten und schrieb auch die Musik dafür. Das Hörbuch ist eine Adaption des gleichnamigen, 1970 von Giuliano Carnimeo gedrehten Films, ebenfalls ein Italo-Western.
Die Weiterentwicklung des Western-Genres
Obwohl Western fest an eine Epoche und einen Ort gebunden sind, habe sich das Genre weiterentwickelt und trotz seiner Klassizität, an die moderne Zeit angepasst, so Suchsland.
Mehr als nur Cowboy-Drama Fünf Gründe, warum „Yellowstone“ ein faszinierender Blick auf Amerikas Gegenwart ist
Mit der finalen Staffel von „Yellowstone“ nähert sich das Cowboy-Epos um die Dutton-Ranch seinem Höhepunkt. Doch die Serie ist auch für Nicht-Western-Fans ein Must-See.
Beispielsweise habe sich die Darstellung des Umgangs zwischen Männern und Frauen sehr verändert: „Frauenfiguren im Western dürfen heute auch alles tun, was Männer schon immer tun durften: Sie dürfen Waffen verwenden, sie dürfen Männer töten – jedenfalls, wenn es gute Gründe dafür gibt – und sie dürfen böse sein.“
Metapher der Moderne
Jedoch bleibe auch ein alter Film wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ „einer der aller-innovativsten Western der Geschichte“, denn schon Leone hatte die Westernwelt auf die damalige Gegenwart übertragen.
Der Bösewicht Frank (Henry Fonda) wird im Film beerdigt und „mit ihm auch das klassische Hollywood“. Durch das Besiegen von Frank werde metaphorisch auch mit dem Kapitalismus, der US-amerikanischen Gesellschaft und ihren Lebenslügen abgerechnet, sagt Suchsland.
Sicherheit in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung
Jetzt läuft in den deutschen Kinos der Western „The Dead Don't Hurt“ von Viggo Mortensen. Auch die Paramount-Serie „Yellowstone“ bewegt sich in diesem Genre.
Und Kevin Costner kehrt mit seinem eigenen Western „Horizon“ auf die Leinwand zurück. Das alles zeigt, dass das Genre das Publikum und die Macher*innen weiterhin fasziniert.
„Alte und bekannte Genres bieten Verlässlichkeit und dieser Sicherheitsaspekt scheint in Zeiten großer Unsicherheit wie der unseren besonders wichtig zu sein“, so Suchsland.