- „Yellowstone“ arbeitet US-Geschichte auf
- Weit mehr als Fernsehen für rechtskonservative Red-State-Fans
- Der amerikanische Traum zerplatzt am Kapitalismus
- Gentrifizierung und Binnenmigration: Die Probleme aus der Serie sind real
- Eine Serie voller Antihelden als Gegenentwurf zum Hochglanz-Hollywood
Die Yellowstone-Ranch in Montana ist die größte Ranch der USA und seit über hundert Jahren im Besitz der Familie Dutton. Es könnte zwischen Pferden und Rindern, der traumhaften Landschaft und dem prunkvollen Familiensitz ein wahres Idyll sein, doch die Ranch wird gleich von mehreren Seiten unter Bedrängnis gesetzt.
Ein angrenzendes, sogenanntes Indianer-Reservat möchte Casinos bauen, Immobilien-Haie möchten inmitten der unberührten Natur Luxus-Wohnungen und später gar ein Ski-Zentrum errichten und die Politik macht es mit der Gesetzeslage immer schwerer, das traditionelle Rancher-Leben zu erhalten – „Yellowstone“ holt den wilden Westen in die heutige Zeit.
Auch innere Konflikte sind eine Bedrohung für das Imperium, denn die Duttons, angeführt von Patriarch John (Kevin Costner), sind eine dysfunktionale Familie, die sich starrsinnig mit ihren Überzeugungen gerne selbst ein Bein stellt und im Verlauf der Handlung so manches Opfer bringen muss.
Weit mehr als nur ein Western-Drama
Hinter Taylor Sheridans Neo-Western steckt weit mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Regisseur Sheridan zeigt hinter der ruppigen Fassade eine Dystopie mit erschreckend aktuellen Bezügen, nur eben in einem vermeintlich ungewöhnlichen Setting.
Das Setting brachte der Serie einen zweifelhaften Ruf ein: „Yellowstone“ biedere sich bei Rechtskonservativen an, die Rede ist von „Red State TV“. Die Familien-Dynastie, die sich Neuem versperrt, polarisiert.
Zum Start der finalen Staffel, die ab dem 10. November auf Paramount Plus verfügbar ist, finden sich hier fünf Gründe, warum die Serie auch für Nicht-Western-Fans ein Must-See ist:
1. Wie die Indianer des 19. Jahrhunderts: Die Serie arbeitet US-Geschichte auf
Die Dutton-Familie wird in „Yellowstone“ metaphorisch in die Rolle der Native Americans des 19. Jahrhunderts versetzt: Eine weiße Rancherfamilie, die um ihr Land kämpft und sich gegen „Eroberer“ und moderne Einflüsse wie Gentrifizierung zur Wehr setzen muss.
Diese, zugegeben ironische, Parallele ist kein Zufall: Regisseur Taylor Sheridan überführt den alten Konflikt um Land und Macht in die Gegenwart und zwingt das Publikum so, sich mit der Geschichte Amerikas und den modernen Verdrängungsprozessen auseinanderzusetzen.
Mit Charakteren wie dem durchtriebenen Häuptling Rainwater (gespielt von Gil Birmingham) bricht die Serie das Klischee von „edlen Wilden“ auf und zeigt die Komplexität der indigenen Kultur. Dabei reflektiert sie klug den historischen Landraub und die kolonialen Wunden des Landes.
Abtreibung als Dreh- und Angelpunkt für die weibliche Hauptrolle
Doch „Yellowstone“ addressiert noch mehr Konflikte der US-Gesellschaft, die jüngst sogar mitentscheidend bei Präsidentschaftswahlen waren, darunter das Tabuthema Schwangerschaftsabbruch.
Als Teenagerin wird Beth Dutton von ihrem Bruder zu einer Abtreibung gezwungen, um die Familienehre zu wahren und wird infolge unfruchtbar. Ein Trauma, das sie für immer prägt.
Gleichzeitig zeigt die einzige Dutton-Tochter die Rolle von Frauen in patriarchalen Strukturen auf, auf brachialste Weise dargestellt von Schauspielerin Kelly Reilly. Ihre Darstellung macht aus Beth einen der spannendsten Charaktere der modernen Serienlandschaft und von Sekunde eins einen absoluten Selling-Point für „Yellowstone“.
2. Fernsehen für Rechtskonservative? Von wegen, denn alle kriegen ihr Fett weg
In „Yellowstone“ wird unabhängig von politischer Zugehörigkeit oder gesellschaftlicher Rolle mit Spott nicht gegeizt. Von der Gouverneurin bis zum Stalljungen, vom Hedgefonds-Manager bis zum Viehzucht-Beauftragen: In der Serie kriegen alle ihr Fett weg, mal mehr, mal weniger deutlich. Regisseur Sheridan hält dem Publikum den Spiegel vor und zeigt, dass die Ursachen für Gier und Machtmissbrauch tief in der Gesellschaft verwurzelt sind und alle betreffen.
Das mag stellenweise einfach daherkommen, sorgt jedoch für eine besondere Dynamik, die die Serie auszeichnet. Gleichzeitig verdeutlicht Sheridan so die Komplexität von moralischen Positionen, um die in der Serie nahezu dauerhaft gezankt wird.
Vegane Umweltschützer in Montana
Einer der amüsantesten Handlungsstränge in „Yellowstone“ beginnt, als die Umweltaktivistin Summer Higgins (gespielt von Piper Perabo) bei den Duttons aufschlägt, um auf die Verfehlungen der Ranching-Industrie aufmerksam zu machen.
Ihre oft radikalen Überzeugungen treffen auf die harte Realität, in der pragmatische Entscheidungen Vorrang haben. Auf beiden Seiten wird kein Klischee ausgelassen, wenn sich John Dutton und Summer Higgins beispielsweise über Vor- und Nachteile von veganer Ernährung streiten. Nichtsdestotrotz werden die beiden sogar Freunde.
3. Kapitalismuskritik: Ist der amerikanische Traum geplatzt?
Immer wieder tauchen wohlhabende Investoren und Immobilienentwickler in „Yellowstone“ auf, die das Land der Dutton-Ranch in Luxusresorts, Wohnanlagen und Touristenattraktionen verwandeln wollen.
Rücksichtslos agieren die Parteien über familiäre Bindungen, Traditionen und die Umwelt hinweg, nur um den eigenen Profit zu steigern. Die Serie entlarvt den amerikanischen Traum als ein oft zerstörerisches Streben nach Erfolg und Besitz, das sogar die Kultur des amerikanischen Westens zu vernichten droht.
Die Dutton-Familie ist dabei kein unschuldiges Opfer des Kapitalismus: Ihr Rinder-Imperium hat sich aus der Kolonialgeschichte heraus entwickelt. John Dutton ist außerdem allzeit bereit, extreme Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich Gewalt und politischer Einflussnahme, um seine Ranch zu schützen.
Der Kapitalismus korrumpiert also auch diejenigen, die ihn eigentlich ablehnen. Die Duttons sind Teil eines Systems, das ihre eigene Existenz bedroht.
4. Gentrifizierung, Binnenmigration, Kapitalismus: Die Probleme sind real
Die traumhaften Landschaftsaufnahmen, das vermeintlich unbeschwerte Leben in der Wildnis: Der Bundesstaat Montana ist zu einem Sehnsuchtsort für viele Städter geworden, nicht erst seit „Yellowstone“.
Die Probleme sind in der Realität die gleichen: Der Zuzug treibt die Immobilienpreise in die Höhe und verdrängt Einheimische, die sich die steigenden Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten können.
Auch ein weiteres Problem aus der Serie bleibt bestehen: Die Bürger sehen ihre kulturellen Wurzeln in Gefahr, stehen den Neuankömmlingen mehr als nur skeptisch gegenüber. Die traditionelle Lebensweise und Existenzgrundlage der Rancher scheint so immer mehr auszusterben.
Viele Einheimische aus den Bundesstaten Montana und Wyoming berichten, dass Binnenmigration und damit einhergehend auch Gentrifizierung sich durch den Erfolg der Serie während der Corona-Pandemie verstärkt hätten.
5. Man muss die Duttons einfach hassen: Antihelden statt Hochglanz-TV
Eine Serie voller unsympathischer Charaktere, die moralisch fragwürdig handeln und den Zuschauer zur Weißglut treiben: Dieses Konzept hat schon bei „Breaking Bad“ oder den „Sopranos“ gut funktioniert und erreicht bei „Yellowstone“ neue Sphären.
Beth Dutton beleidigt jeden, der nicht bei drei auf dem Baum ist und bringt die Familie mit ihren drastischen Taten häufig in Gefahr. Dem entgegen steht ihr verhasster Bruder Jamie (Wes Bentley), der zum Rancher nie taugte und deshalb den Familien-Anwalt mimen muss. Weil er gerne mehr wäre als nur die zweite Geige, wirft er seine Loyalität regelmäßig über Bord.
Doch es gibt noch einen dritten Dutton-Spross: Ex-Navy-Seal Kayce Dutton (Luke Grimes) wäre eigentlich gerne der rechtschaffene Teil der Familie, häuft jedoch fast überall, wo es zu Konflikten kommt, Leichenberge an. Immer dabei: Patriarch John, der seine Kinder zwar zeitweilig zu mögen scheint, sie aber wie Bedienstete für die Interessen der Ranch einspannt und nach Belieben benutzt.
Kurzum: In „Yellowstone“ sind alle Beziehungen dysfunktional. Das macht die Serie unvorhersehbar, spannend und erfrischend kurzweilig – wenngleich die Charaktere mit ihrem irrationalen Verhalten einem zeitweilig den Blutdruck in die Höhe treiben können.