Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin

ARD Miniserie „Marzahn mon Amour“: Care-Arbeit am Stadtrand von Berlin

Stand
Autor/in
Mareike Gries
Mareike Gries, Autorin und Moderatorin bei SWR Kultur

2003 veröffentlichte die Schriftstellerin Katja Oskamp einen Erzählband, inspiriert von ihrem Aufwachsen in der DDR. Das Buch war ein Erfolg, genauso wie wenige Jahre später ihr erster Roman. Danach stagnierte die Karriere und sie wagte sich in eine ganz neue Branche: Fußpflege. Und schrieb weiter: „Marzahn, mon Amour“. Die ARD hat es nun als Miniserie verfilmt.

Tausche Tastatur gegen Nagelfeile

Jenny ist die Chefin der äußerlich recht tristen „Beauty Oase“ in Berlin Marzahn, Lulu ihre Mitarbeiterin. Hauptfigur Kathi heuert in ihrem Schönheitssalon als Fußpflegerin an. Sie tauscht Tastatur gegen Nagelfeile und Hornhauthobel - und damit Menschen auf dem Papier gegen Menschen aus Fleisch und Blut. So wie den alten Herrn Schimke, der noch immer der DDR nachtrauert.

 

Szene aus der ARD-Serie „Marzahn Mon Amour“
Ein Careworkerinnen-Trio, das ist das Marzahner Kosmetik-Trio: Chefin Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann, li.), Kosmetikerin Lulu Moll (Deborah Kaufmann, Mitte) und die Quereinsteigerin Kathi Grabowski (Jördis Triebel, re.). Bild in Detailansicht öffnen
  • Bild 1 von 6

  • Bild 2 von 6

  • Bild 3 von 6

  • Bild 4 von 6

  • Bild 5 von 6

  • Bild 6 von 6

Jördis Triebel in ihrer Paraderolle

Um klar zu machen, dass sie kein Interesse an Geschlechtsverkehr mit der Kundschaft hat, reicht Kathi ein einziger strenger Blick. Ein Blick, wie ihn nur Hauptdarstellerin Jördis Triebel perfektioniert hat. Oft spielt sie unnachgiebige Frauen mit dem Herz am rechten Fleck und viel Wärme unter der rauen Schale. Ihre Kathi ist resoluter als die Ich-Erzählerin in der Buchvorlage von Katja Oskamp.

Ohnehin nimmt sich die Verfilmung von Regisseurin Clara Zoe My-Linh von Arnim alle Freiheiten, die es braucht, um aus einem bemerkenswerten Buch eine fesselnde Miniserie zu machen.

Zum Weinen in die Waschanlage

Der Laden läuft, bräuchte aber selbst längst mal ein Makeover. Und weil sie weiß, dass ihre meist alten Kunden auch kein Geld haben, hält Jenny an ihren Preisen fest. Wenn alles zu viel wird, fährt sie zum Weinen in die Waschanlage.

Neben dem trockenen Humor sind es diese kurzen, anrührenden Momente, die „Marzahn mon Amour“ so besonders machen. Dazu die skurrilen Figuren, die sich mit ihrer gesamten Lebensgeschichte in Kathis heilende Hände begeben.

Liebevolle Verbeugung vor Marzahn und seinen Bewohnern

Die große Stärke von Buch und Verfilmung ist die Menschenfreundlichkeit, die aus jeder Szene spricht. Ekel vor eingewachsenen Nägeln oder Stinkefüßen kennt Kathi genauso wenig wie Standesdünkel, wegen dem sie sich für ihren neuen Job schämen oder ihre Kundschaft herablassend behandeln müsste. 

„Marzahn mon Amour“ ist nicht nur eine liebevolle Verbeugung vor den ganz normalen Menschen, sondern auch vor Marzahn - diesem aus Platten zusammengebauten Parallel-Universum am Rande Berlins, das von seiner Errichtung in der DDR bis heute viele Geschichten erzählen kann. Einige davon hat Katja Oskamp aufgeschrieben. Dank dieser Verfilmung finden sie nun ein noch größeres Publikum.  

„Marzahn mon Amour“ in der ARD Mediathek

Berlin

Leben Eine Fußpflegerin in Marzahn - Katja Oskamp erzählt Geschichten von unten

Die Schriftstellerin Katja Oskamp beschloss 2015, eine Ausbildung zur Fußpflegerin zu machen. Nun hat sie über ihre Klienten ein Buch geschrieben. Nadja Odeh war bei der Fußpflege dabei. (SWR 2019)

Aus der eigenen Biografie geschöpft Schonungslos ehrlich – Katja Oskamp über ihren aktuellen Roman „Die vorletzte Frau“

Katja Oskamps Roman „Die vorletzte Frau“ stößt gerade auf großes Interesse. Doch nicht alle Literaturkritiker kommen mit der Schonungslosigkeit zurecht, mit der die Autorin von ihrer großen Lebensliebe erzählt.

Neue Serie bei Apple TV+ „KRANK Berlin“: Zwischen Sturzgeburt und Straßenschießerei

Mit Empathie und Härte erzählt die neue Krankenhaus-Serie von einer Notfallstation in Neukölln – und thematisiert auf gelungene Weise skandalöse Zustände des Gesundheitssystems.

Im Schatten von Visconti Vom Zerfall einer sizilianischen Adelsfamilie: „Der Leopard“ als Netflix-Serie

Netflix hat Tomasi di Lampedusas Romanklassiker als Serie verfilmt. Ein neuer Blick auf die universelle Geschichte einer sizilianischen Adelsfamilie zwischen Tradition und Wandel.

Serie in der ARD Mediathek Flüchtlingskrise mal anders: In „Families Like Ours“ von Thomas Vinterberg wird Dänemark überflutet

Der dänische Star-Regisseur Thomas Vinterberg macht aus dem Klimawandel ein weiltweites Sicherheitsrisiko: Alle Dänen müssen wegen des steigenden Meeresspiegels ihr Land verlassen.