Intelligente Sommerkomödie

Kleine Lügen erhalten die Liebe –„Liebesgrüße aus Nizza“

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

Als François herausfindet, dass seine Frau ihn vor 40 Jahren betrogen hat, will er ihren ehemaligen Liebhaber, der jetzt in Nizza lebt, zur Rede stellen. „Liebesgrüße aus Nizza“ ist eine leichte Komödie über schmerzhafte Lebensschicksale und erzählt, wie man nach 50 Jahren Ehe mit Enttäuschungen und verpassten Chancen umgeht.

Eine Entdeckung auf dem Dachboden

Ein altes Bild von Präsident Charles de Gaulle hängt an der Wand und auch sonst ist François ein konservativer Mensch. Er war Offizier der französischen Armee, ist autoritär und kommandiert auch in seiner Familie im Offizierston.

Nur seine Frau Annie erträgt seine Launen und seine altmodischen Prinzipien. Aber eines Tages findet er beim Ausmisten einen Karton mit Liebesbriefen, aus denen hervorgeht, dass sie ihn vor 40 Jahren mal betrogen hat. Er sieht nur einen Ausweg: Er will die Scheidung einreichen. 

 Scheidung oder Rache?

Scheidung nach 50 Jahren? Da wird es langsam Zeit, könnte man spontan denken. Oder auch genauso: Jetzt macht es eh keinen Sinn mehr!

Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
Bockig am Mittelmeer: Als François (André Dussollier) auf dem Dachboden 40 Jahre alte Liebesbriefe an seine Ehefrau Annie (Sabine Azéma) findet, fällt er aus allen Wolken. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
Denn die wortreichen Ergüsse über den „vibrierenden Venushügel“ seiner Frau Annie stammen definitiv nicht von ihm. in François steigen furiose Rache-Fantasien auf. Annie bleibt gelassen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
Boris (Thierry Lhermitte) hingegen freut sich, seinen alten Freund François und ganz besonders dessen Frau Annie wiederzusehen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
Sein attraktiver Rivale ist keineswegs unbewaffnet: Als Charmeur und musikalischer Freigeist weiß sich Boris lässig zu verteidigen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
Annie beginnt den Ausflug in die Vergangenheit und das nächtliche Nacktbaden mit ihrem neuen, alten Kavalier Boris zu genießen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill aus "LIebesgrüsse aus Nizza"
François hingegen verrennt sich in seine Rachepläne. Geht es um mehr als nur verletzte Männerehre? Bild in Detailansicht öffnen

Das Nachdenken ist gar nicht so einfach. Der Film wird zwischendurch zur albernen Slapstick-Klamotte a la Buster Keaton, als das Schrankbett mit einem lauten Krach einklappt. 

Immerhin hat das einen heilsamen Effekt, denn statt sich scheiden zu lassen will Francois nun nach Nizza, um dort Annies Ex-Liebhaber zur Rede stellen. 

 Typisch französische Sommerkomödie

Nostalgische intelligente Komödien, die am besten auch noch Anspielungen auf die Filmgeschichte enthalten – so etwas kommt in Frankreich alle zwei Wochen ins Kino. 

In Deutschland muss man auf so etwas ein ganzes Jahr warten. Aber jetzt kommt so eine leichte Sommerkomödie auch ins deutsche Kino, genau richtig zum Ferienbeginn. 

 Sabine Azéma und André Dussollier: legendäres Kinopaar

Seit Mitte der 1980er Jahre gehörten Sabine Azéma und André Dussollier zu den legendären Paaren des französischen Kinos. Vor zehn Jahren hatten sie ihren letzten Auftritt bei ihrem Stammregisseur Alain Resnais.

Obwohl die Komödie von Regisseur Ivan Calbérac nicht ganz so feinsinnig ist wie die sieben Filme, die sie gemeinsam mit Resnais gedreht haben, ist der Film sehr schönes, rundum angenehmes Kino. Geschmackvoll und intelligent. 

Konflikte um Eifersucht und Treue

An der Oberfläche einer fröhliche Komödie, die nicht allzu viel Rücksicht auf die karikierten Figuren der Alten nimmt, verbirgt sich eine elegante Erzählung über den Umgang mit all den Unvollkommenheiten und Enttäuschungen, die das Leben nach 50 Jahren Ehe so mit sich bringt.

Dazu gehört die Erkenntnis, dass ein bisschen Eifersucht und Wut jung halten und ab und zu ganz gut tun. Und ein paar Altersweisheiten gibt es auch.

Lebensschicksale und versäumte Gelegenheiten

Ivan Calbérac erzählt die daraus resultierenden Konflikte der Figuren um Eifersucht und Treue, Identität und sexuelle Orientierung mit Leichtigkeit. Der Film zeigt schmerzliche Lebensschicksale, versäumten Gelegenheiten, autoritären Prägungen, aber eine Familie, die zumindest Sicherheit und Stabilität bietet. 

 Von Altersweisheit kann aber nicht die Rede sein. Wir haben verstanden: Alt sein gibt es nicht. Nur Altern. 

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