"Ich wünsche mir eine bessere, flächendeckende fachärztliche Versorgung - vor allem in ländlichen Gebieten. Und gleichen Zugang für alle Patienten." Sarah Kienes Körper kämpft gegen sich selbst. Die 26-Jährige aus Albstadt (Zollernalbkreis) hat Morbus Behçet. Das ist eine Krankheit, bei der das eigene Immunsystem die Blutgefäße angreift. Um diese Diagnose musste sie kämpfen - rund ein Jahr lang hat sie keinen Arzt gefunden, der sie behandeln kann.

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist ein Thema, das alle Menschen betrifft und das zunehmend zum Reizthema wird. Nicht nur, aber besonders in ländlichen Regionen. Ob leichte Bronchitis oder seltene Hautkrankheit, ob Augenleiden oder Rückenschmerzen: Die Suche nach einem Arzt oder einer Ärztin wird in vielen Gegenden immer schwieriger, und auf Termine müssen Kassenpatienten und -patientinnen mitunter monatelang warten. Überlaufene Praxen verhängen Aufnahmestopps, ältere Ärzte finden für ihre Praxis keine Nachfolger, Kranke haben das Nachsehen und brauchen viel Geduld. Ist das Kassensystem selbst zum Patienten geworden?
Lange Arztsuche wegen Immunkrankheit
Vor etwa drei Jahren ist die Krankheit bei Sarah Kiene ausgebrochen. Auslöser sei vermutlich eine Corona-Infektion gewesen, sagt sie. Von einem Tag auf den anderen habe sie Fieber, Gelenkschmerzen und Ausschlag am ganzen Körper bekommen. Monatelang litt sie unter den Beschwerden und ging kaum noch aus dem Haus. In ihrem Beruf als Krankenschwester war sie immer wieder krankgeschrieben. "Zusammengerechnet waren das bestimmt drei Monate", so Kiene.
Kein Facharzt im Zollernalbkreis verfügbar
Nach einem Besuch beim Hausarzt war klar: Kiene musste dringend zum Facharzt, einem Rheumatologen. Das Problem: Im Zollernalbkreis gab es dafür keine Praxis, die Kassenpatienten behandelt. Sie musste in anderen Landkreisen suchen.
Kiene: Untersuchung beim Arzt war "Massenabfertigung"
"Ich hab dann meinen Suchradius immer weiter ausgebreitet, bis ich wirklich in ganz Baden-Württemberg Praxen angefragt habe", sagt sie, aber erfolglos. Viele der Ärztinnen und Ärzte hatten entweder Aufnahmestopp, nahmen nur noch Patientinnen und Patienten aus dem eigenen Landkreis an oder betrachteten Kienes Laborwerte nicht als Notfall. Die Sprechstunden, die sie bekommen hat, blieben ergebnislos. Untersuchungen hätten meist nur etwa fünf Minuten gedauert. "Ich hatte nicht wirklich das Gefühl, dass auf mich eingegangen wird. Es war eher wie eine Massenabfertigung", sagt sie.
Aber es sind nicht die Ärztinnen und Ärzte, von denen Kiene enttäuscht ist. Sie glaubt, dass das Problem tiefer liegt: im Gesundheitssystem. Und das müsse sich ändern. Die Regierung solle sich etwa dafür einsetzen, dass es auch auf dem Land genügend Fachärzte gibt, sagt sie mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl. Es könne nicht sein, dass man eine Stunde oder länger zur nächsten Praxis fahren muss. Außerdem sagt sie, mit einem akuten Notfall sollte man nicht monatelang auf einen Termin warten müssen. Da sollte auch kein Unterschied zwischen gesetzlich und privat Versicherten gemacht werden.
Dr. Peter Wolf aus Mosbach: Selbstzahler-Praxis als "Befreiung"
Wenn es genügend Fachärztinnen und Fachärzte auch in ländlichen Regionen gäbe, dann würde vermutlich auch Peter Wolf inzwischen seinen Ruhestand genießen. Jetzt, mit Mitte Sechzig, hätte der Mediziner aus Mosbach im Neckar-Odenwald-Kreis aufhören und seine Hautarzt-Praxis an einen Nachfolger übergeben können. "Aber ein Nachfolger ist weit und breit nicht in Sicht", sagt Wolf. Und wenn er die Praxis einfach geschlossen hätte? "Wo würden dann meine Patienten Termine bekommen?", fragt er. Also macht Wolf weiter mit der eigenen Praxis. Jetzt aber ohne Kassenzulassung, die hat er abgegeben.

Peter Wolf behandelt inzwischen nur noch Selbstzahler und macht sich damit also unabhängig von der Gesetzlichen Krankenversicherung. "Vor 20 Jahren hätte ich das nicht gemacht", sagt Wolf. Aber jetzt, "in der letzten Phase meiner Berufstätigkeit" wollte er sich von den Vorgaben der Kasse "befreien".
Facharzt bekommt Druck von beiden Seiten
Wolf sagt: Die berechtigten Erwartungen der Patientinnen und Patienten auf der einen Seite, die Erwartungen und Vorgaben der Krankenkasse auf der anderen Seite - das habe immer wieder zu Konflikten geführt, "das war oft einfach nicht übereinander zu bringen." Die Einschränkungen, die durch die oft strengen Vorgaben der Kassen entstehen, hätten ja nur selten etwas mit medizinischen Erwägungen zu tun - sondern mit wirtschaftlichen Fragen. Mit dem Patienten nach der besten Lösung für sein gesundheitliches Problem suchen, die Erkrankten begleiten, beraten, ihnen alle denkbaren Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ohne zuallererst wirtschaftlich zu denken - darum gehe es ihm, sagt Wolf. Der Schritt raus aus dem Kassensystem sei jetzt so etwas wie eine "Befreiung".
Patienten wollen keine unnötigen Kosten verursachen, sie wollen gut behandelt werden.
Natürlich hatte der Mosbacher Mediziner zunächst Sorge, dass ihm seine Patientinnen und Patienten in Scharen davonlaufen würden, wenn sie Termine mit ihm zukünftig selbst bezahlen müssen. "Ich bin überrascht, wie viele mir treu geblieben sind, weil sie eben meine Art der Behandlung und Begleitung in den vergangenen Jahren schätzen gelernt haben", sagt er. Und noch etwas ist eingetreten, womit er nicht gerechnet hatte: "Es kommen plötzlich viele neue Patienten, die anderswo Monate auf einen Hautarzttermin warten müssen. Bei uns in der Praxis können wir inzwischen wirklich zeitnah Termine anbieten." So kommen mitunter Patienten aus einem 100-Kilometer-Radius. Hauptsache, sie bekommen endlich einen Facharzt-Termin.

Ärztemangel führt Kiene 300 Kilometer in die Ferne
Für Sarah Kiene aus dem Zollernalbkreis ist die Odyssee vorerst vorbei. Sie hat über Facebook einen Rheumatologen im bayerischen Erlangen gefunden, der sie als Patientin aufgenommen hat. Dort fährt sie alle zwölf Wochen zur Untersuchung hin, 300 Kilometer weit. Sie bekommt Immunblocker und Blutverdünner. Schmerzmittel für ihre Gelenke brauche sie nur noch "an den schlechten Tagen", wie sie sagt. Ihr Leben kann sie wieder halbwegs normal führen. Die Krankheit wird sie aber für immer begleiten.
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Kommentare (3)
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Ich habe mal mit einem Kunden, einem Facharzt gesprochen. Er sagte wenn er nur noch Privatpatienten behandeln würde hätte er nur noch die halbe Abeitszeit bei gleichen Verdienst. Er müsste zwar die Hälfte des Personals entlassen und hätte keinen Ärger mit den Krankenkassen mehr abe dagen spricht seine Ehre als Arzt.
Also es ist mal wieder bezeichnend das Problem ist lange bekannt es wurd zu wenig bis gar nichts unternohmen um den Ärztemagel zu beheben. Man die Studienplatzanzahl erhöhen und die Förderung für Landärzte anpassen. An die AFDdullies das Leben ist leicht wenn du dumm bist... .
Den "Elefant im Raum" mag wohl niemand benennen: Die seit 2015 irreguläre Migration legt unsere Sozialsysteme lahm, sie sprengt jeglichen finanziellen Rahmen. Kritiker dieser Massenzuwanderung in unsere Sozialsysteme als, wahlweise, "Rechts oder gar Nazi" zu diffamieren war und ist nicht hilfreich. Sie unterdrückt eine ergebnissoffene Diskussion und verunmöglicht Lösungen zur Zufriedenheit aller.