Die Hausärzte in Baden-Württemberg fordern einen Krisengipfel zur hausärztlichen Versorgung im Land. In einem offenen Brief an Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) heißt es: "Wenn auch in Zukunft eine hochwertige hausärztliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten gewährleistet sein soll, muss jetzt gehandelt werden." Schon jetzt sei die hausärztliche Versorgung im Land akut gefährdet.
Die Mediziner führten anlässlich des 22. Baden-Württembergischen Hausärztetages an, dass derzeit fast 1.000 Hausarztstellen unbesetzt seien. Das bedeute rein rechnerisch fast ein nicht besetzter Hausarztsitz pro Gemeinde. Budgetierungen und Honorarkürzungen schreckten junge Kollegen ab und motivierten ältere Kollegen, ihre Praxen zu schließen.
Hausärzte auf dem Land sind schwer zu finden
Die sogenannten Budgetierung gilt seit dem vierten Quartal 2023 rückwirkend für Hausärzte. Leistungen, die Hausärzte für die Behandlungen von Patientinnen und Patienten bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV BW) einreichen, werden nicht mehr voll ausgezahlt werden. Wie hoch die Abzüge sein werden, wissen die Hausärzte noch nicht.
Betroffen davon ist auch Thomas Heyer, Hausarzt in Stuttgart-Weilimdorf. "Wir Hausärzte haben das Gefühl, wir arbeiten immer mehr und sollen jetzt noch weniger Geld bekommen." Sechs bis acht Patientinnen und Patienten behandelt Thomas Heyer in seinem Behandlungszimmer innerhalb einer Stunde. Telefonieren, Blut abnehmen, Rezepte ausstellen und mehr sind da noch gar nicht mitgerechnet. "Und hier in Stuttgart geht es uns mit der Ärzteversorgung eigentlich noch gut. Jetzt gehen Sie mal aufs Land, auf die Schwäbische Alb. Da finden Sie nur ganz schwierig einen Hausarzt", sagt Heyer.
Rückwirkend ab dem vierten Quartal 2023 wird Thomas Heyer weniger Geld von der Kassenärztlichen Vereinigung für seine eingereichten Behandlungen bekommen. Nur wie viel Abzüge er befürchten muss, weiß er noch nicht. "Die Abrechnungsbescheide bekommen wir erst Mitte April dieses Jahres. Aber was man so hört, fehlen 30 Millionen Euro." Das wären im Schnitt etwa 7.000 Euro für das 4. Quartal 2023 pro Hausarzt, die nicht ausbezahlt werden. Dieses Geld fehlt Thomas Heyer für Personal, Praxisbetrieb und letztlich auch sich selbst.
Fehlendes Geld: KV verweist auf Krankenkassen
Doch auch der KV BW sind die Hände gebunden. Denn die Krankenkassen stellen ihr aufgrund gesetzlicher Regelungen eine begrenzte Summe zur Verfügung, mit denen hausärztliche Leistungen bezahlt werden müssen. "Und bisher haben die Geldmittel immer ausgereicht, auch aus früheren Rückstellungen, um alle hausärztlichen Leistungen zu bezahlen", erklärt Karsten Braun, Vorstand der KV BW, dem SWR. In anderen Bundesländern gebe es das Problem schon länger - jetzt kommt auch Baden-Württemberg um die Budgetierung nicht mehr herum. "Das heißt, wir können nicht mehr alle hausärztlichen Leistungen zu hundert Prozent bezahlen."
Das sei verheerend. Denn gleichzeitig brauche man dringend mehr Hausärzte im Land, durch die das Defizit aber noch größer würde. "Wenn wir jetzt nicht einmal mehr 100 Prozent der erbrachten Leistungen bezahlen, locken wir keine jungen Kolleginnen und Kollegen mehr in diesen Beruf", so Braun weiter. "Gleichzeitig strafen wir die Hausärzte, die jetzt mehr leisten."
Honorare für Hausärzte: Kommt bald die Reform?
Sowohl die Kassenärztliche Vereinigung als auch die Hausärzte fordern eine Reform des Honorarsystems. "Es kann nicht sein, dass einerseits die Politik Patienten uneingeschränkt Leistungsversprechen erteilt, aber andererseits das dazu zur Verfügung stehende Geld limitiert", betont Karsten Braun von der KV BW. Hausärzte sollten nicht mehr budgetiert, entsprechende Gesetze geändert werden. Das wird auch von der Landespolitik gefordert - und es steht sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: "Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf."
Am Donnerstag richtete sich Gesundheitsminister Lucha in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): "Ich fordere Sie daher mit Nachdruck auf, das Gesetz nunmehr so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen und insbesondere auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende echte Entbudgetierung zum Jahresbeginn 2024 zu schaffen." Nur so könne verhindert werden, dass das Gesundheitssystem noch weiteren Schaden nehme.
Bundesgesundheitsministerium verspricht neues System
Bei Kinderärzten wurde diese Reform bereits umgesetzt und Gesundheitsminister Lauterbach hat erst im Januar das Vorhaben bekräftigt. Nur passiert ist bisher nichts, kritisieren die KV BW, der Hausärzteverband und Minister Lucha. "Wir warten seit Jahren darauf", sagt Karsten Braun. Auf SWR-Anfrage erklärt das Bundesgesundheitsministerium, dass ein Entwurf, wie das neue System aussehen könnte, zeitnah vorgestellt werden soll.