Jonathan Glazers Film „The Zone of Interest“ erzählt vom Privatleben von Hedwig Höß und ihrem Mann Rudolf Höß, der von 1940 bis Ende 1943 Kommandant von Auschwitz war. Man erlebt eine Familienidylle, nur durch eine Betonmauer getrennt vom Vernichtungslager. Nichts ist „normal" in diesem Leben, das Hedwig Höß ihr „Paradies“ nennt. Bei der Oscarverleihung wurde der Film für den besten Auslandsfilm und die beste Filmmusik ausgezeichnet.
Familienidylle neben dem Konzentrationslager
Der abgründigste Auftritt in Sandra Hüllers Karriere beginnt mit einer Idylle: Ein Dutzend Menschen, Erwachsene und Kinder verbringen einen Sommersonntag am See. Picknick und Badespaß, das Ganze spielt offensichtlich irgendwann in der Vergangenheit des 20. Jahrhunderts. Erst als alle in zwei Autos wieder nach Hause fahren, bemerkt man die SS-Runen an den Nummernschildern.
Man erlebt eine Familie mit fünf Kindern, Hund und drei Dienstboten in ihrem Alltag. Der findet nur durch eine Betonmauer getrennt, direkt neben dem Vernichtungslager statt, in einem pseudoidyllischen Nebeneinander von Grauen und Normalität.
Hochgradig schizophrener Zustand
Ein solches Leben ist nur als ein hochgradig psychotischer, schizophrener Zustand erklärbar: Kinder plantschen im Pool, Erwachsene laden zu Gartenpartys, während über die meterhohe Mauer immer wieder Hundegebell, Befehle, Schreie und Wehklagen zu hören sind.
Der Dauerbetriebs der Verbrennungsöfen macht einen Höllenlärm und deren Feuerschein die Nacht zum Tage. Nichts ist normal in diesem "normalen" Leben, das Hedwig Höss „Heimat“ und „Paradies“ nennt.
Rudolf Höß ist ein pervers-akribischer deutscher Beamter
Christian Friedel spielt Rudolf Höß als seltsam weichen Massenmörder, der im pervers-akribischem Stil eines deutschen Durchschnittsbeamten seine Arbeit macht, die SS-Kameraden in Briefen zum Schutz der Fliederbüsche im "Interesse der Gemeinschaft zur Ausschmückung unseres gesamten Lagers“ auffordert, und nur ab und zu zur Erleichterung mal kotzen muss.
Auch gibt es gelegentliche sexuelle Dienste von Häftlingen, nach denen sich Höß im heimischen Kellerwerkraum mit viel Seife Hände und Seele schrubbt. Den Sauberkeit ist dem Nazi-Mörder wichtig.
Sandra Hüller spielt Hedwig Höß als ehrgeizige Spießer-Frau
Dagegen ist Hüllers Hedwig Höß „die Königin von Auschwitz“, eine extrem ehrgeizige Spießer-Frau, die ihren Mann auf seinem Karriereweg antreibt, und sich ansonsten so regelmäßig Pelzmäntel und Damenwäsche der Ermordeten liefern lässt, so wie heute der Durchschnittsdeutsche die Amazon-Pakete.
Überhaupt liegt das größte Grauen, das dieser Film entfaltet, in der leicht erkennbaren großen Nähe dieses deutschen Lebens am Rande des Mordbetriebs zu unserer eigenen Gegenwart. Die alten Holzmöbel sind heute in der Mittelklasse von Berlin-Mitte wieder groß in Mode, die geblümten Kleider und Schürzen gibt es bei Manufactum, für das weiße Weiß der deutschen Hemden sorgt damals wie heute Persil.
Jonathan Glazer zeigt die Deutschen, wie sie in deutschen Filmen nie gezeigt werden
Und in der Wohnung leuchtet dieses indirekte, pastellige nicht zu helle Licht. Das deutsche Licht, das wir alle aus unserer Kindheit kennen. Wie dreht man einen Film über das Unaussprechliche? Über das Einmalige? Über das Grauen?
Jonathan Glazer zeigt die Deutschen so, wie sie sind, jedenfalls auch sind, wie Ausländer sie sofort (er)kennen, vor allem aber so, wie sie in deutschen Filmen nie gezeigt werden.
Ein konsequenter Film, der weh tut
Regisseur Jonathan Glazer ist ein tadelloser, konsequenter Film gelungen. Er schüttelt uns, unser Magen zieht sich zusammen, der Film tut weh. Aber alles was der Film schildert, ist so unglaublich und bizarr, wie im Detail belegbar.
Es war einmal im Osten. Und viele dieser damals jungen Männer waren in der Bundesrepublik zum Teil bis in die 1990er Jahre an der Macht. Das Grauen liegt nicht nur im Herzen der Finsternis, sondern in der Art und Weise, wie wir es aus unserer Gegenwart heraus betrachten.