Die Theaterlandschaft steht unter Schock: Der Autor, Regisseur und Intendant der Volksbühne Berlin René Pollesch verstarb am 26. Februar völlig überraschend. Er wurde 61 Jahre alt. Pollesch schrieb über 200 Stücke und prägte das Theater seit den 80er Jahren entscheidend und nachhaltig. Er inszenierte vor allem an der Volksbühne Berlin, wo er von 2001 bis 2007 die kleine Spielstätte den Prater leitete – eine Zeit, die seinen Ruhm begründete. René Pollesch hat Theater gemacht wie kein anderer – seine Handschrift war unverwechselbar.
Sein Tod kommt vollkommen unerwartet, sagt SWR2 Theaterkritikerin Eva Marburg. Noch vor zwei Wochen habe er in Berlin die umjubelte Premiere „ja nichts ist ok" gefeiert. Auch in den ersten Reaktionen auf Social Media sprechen Theatermacher und Wegbegleiter von einem Schock.
Wegbereiter des Postdramatischen Theaters
Pollesch studierte in den 80er Jahren angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und war damit als Regisseur einer der Vorreiter des sogenannten Postdramatischen Theaters. Pollesch habe aus dieser Tradition heraus das Theater als Ereignis interessiert, meint Marburg. Er selbst sprach von Theater als „Reflexionsbude", andere bezeichneten sein Schaffen als „Diskurstheater".
Sprache als Textmedley
Sprache stand für Pollesch im Mittelpunkt und war von der Auseinandersetzung mit Philosophie und Diskursen geprägt. Er sampelte das in ein Sprechmedley zusammen mit Zitaten aus der Popkultur, aus Film, Theatergeschichte, Songs und dem Alltag. „Wenn große Fragen plötzlich ins Alltägliche, ins Banale kippten, ergab das den typischen Pollesch–Humor", so Marburg. Zum Beispiel, die Einsamkeit beim Brötchen kaufen zu überwinden: „Zu versuchen zusammen zum Bäcker zu gehen, das zu versuchen. Zu hoffen, dass das bloß gelingt, dass man nicht einsam ist dabei.“
Was macht der Kapitalismus mit Menschen?
Zentrales Thema war bei René Pollesch auch eine Kapitalismuskritik, durchaus beeinflusst von Bertold Brecht. „Ihm ging es ganz ernsthaft um die Fragen – wie Zusammensein gelingt, wie man der Einsamkeit entkommt, wie Liebe geht und all das in einer Welt, die von Kapitalismus, von Marktlogik, von Verwertbarkeit geprägt ist? Also wie definieren wir eigentlich Menschsein und menschliche Beziehungen und Nähe, wenn alles der Logik des Geldes unterstellt ist – und was macht das mit uns? Das hat er sehr ernst genommen.", sagt Eva Marburg über Pollesch. Das habe sich allein schon in seinen Stücktiteln gespiegelt wie „Ich weiß nicht, was ein Ort ist – ich kenne nur seinen Preis.“
Frage nach dem Menschsein
Dass er die Frage nach dem Menschsein so ernst genommen hat, hat seinen Arbeiten eine ganz besondere Atmosphäre, ein ganz spezielles Gefühl gegeben, meint Marburg. Und das habe auch viele Menschen angezogen, weshalb René Pollesch eine ausgesprochen große Fangemeinde hatte. „So ein starkes Gemeinschafts– und Zugehörigkeitsgefühl, wie er es erzeugen konnte, erlebt man ja sonst sehr selten im Theater". Dieses Gefühl hätte man dann in seinen Inszenierungen immer wieder finden können.